
Wie eine Verbrecherin wird sie dargestellt. Ein schwarzer Balken über den Augen, dazu die Überschrift: «Wegen ihr mussten 280 Leute in Quarantäne!» Lange sei die Identität der Person, die trotz Corona-Infektion an einer Party im solothurnischen Grenchen tanzte, unbekannt gewesen, schreibt der «Blick». Doch nun brächten Recherchen endlich Licht ins Dunkel.
Es ist wichtig, dass wir verstehen, wie es in der Schweiz zu Neuansteckungen kommt. Weil die Medien über den Superspreader-Fall im Zürcher Flamingo-Club berichteten, schlossen einige Clubs, und weniger Menschen gingen in den Ausgang. Doch die anklagende Art im «Blick»-Artikel geht zu weit. Der richtige Name der Frau wird zwar nicht genannt, dennoch denunziert der Artikel sie.
Klar: Die Frau hat einen schweren Fehler gemacht. Sie missachtete die verordnete Isolation und ging so das Risiko ein, beim Feiern viele Menschen anzustecken. Der wirtschaftliche Schaden ist hoch, weil viele wegen ihr in Quarantäne müssen. Im schlimmsten Fall könnte sie sogar dafür verantwortlich sein, dass andere Menschen an Covid-19 sterben. Es ist deshalb gut, dass gegen die Frau ermittelt wird. Eine Busse bis zu 10’000 Franken droht, was gerechtfertigt ist. Sie aber zusätzlich öffentlich anzuprangern, ist verwerflich. In sozialen Medien überbieten sich die Kommentatoren mit Grausamkeiten. Einzelhaft und Fussfesseln werden gefordert.
Die Medien stehen in der Verantwortung, wenn sie diskriminierende Narrative transportieren.
Die Medien spielten eine wichtige Rolle dabei, die Stigmatisierung von Menschen zu vermeiden, schreibt Unicef in einem Leitfaden zur Corona-Krise. Die Denkmuster, die Zeitungen anwenden, prägen die Gesellschaft. Der «Blick» steht also in der Verantwortung, wenn er diskriminierende Narrative transportiert. Gerade während einer Pandemie, in der Menschen ihre Jobs und ihre Angehörigen verlieren, sind wir dafür anfällig.
Denn aus Angst und Unsicherheit werden Schuldige gesucht: um sich selbst zu schützen und zu stützen. Während der Corona-Krise gab es bereits hässliche Szenen. Autos aus dem Deutschen Kreis Heinsberg wurden zerkratzt, weil es dort viele Corona-Fälle gab. Asiaten wurden angefeindet, weil sie angeblich das Virus einschleppen. Und Senioren wurden beleidigt und gar bespuckt, wie Bea Heim sagte, die Co-Präsidentin des Schweizerischen Seniorenrats.
Den Datenschutz hochhalten
Gegen diese soziale Stigmatisierung müssen wir kämpfen. Es kann nicht sein, dass Menschen, die an Covid-19 erkrankt sind, wie Aussätzige behandelt werden. In Südafrika beispielsweise haben manche Menschen grosse Angst vor Tests, weil Corona-Positive von der Gemeinschaft verstossen werden. Die Erkrankung wird verborgen, medizinische Hilfe vielleicht nicht sofort in Anspruch genommen. Ein Student sagte zu SRF: «Der Mob kann dein Haus abbrennen; es wird heissen, dass du derjenige bist, der das Virus in die Nachbarschaft gebracht hat.» So weit darf es in der Schweiz nie kommen. Es kann nicht sein, dass es plötzlich peinlich und schäbig ist, Covid-19 zu haben. Deshalb macht es Sinn, dass die Behörden den Datenschutz hochhalten, um Menschen, die das Coronavirus haben, zu schützen. So wurde auch bei der Corona-App ein aufwendiges System ausgeklügelt, damit keine Daten preisgegeben werden.
In die Privatsphäre einer erkrankten Person einzugreifen und sie anzuprangern, schadet. Besser wünschen wir gute Genesung.
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Kommentar zu Corona-Artikel – Wir brauchen keinen Corona-Sündenbock
Der «Blick» hat eine junge Frau angeprangert, die das Coronavirus verbreitete. Das fördert, was niemand will: Diskriminierung.