«Wir hören nur noch Impeachment, Impeachment, Impeachment»
Elaine Luria hat das Verfahren zu Trumps Amtsenthebung mit angestossen. Es könnte die Demokratin den Wahlkreis kosten.

Marsha Spain ist gekommen, um sich zu beschweren. Über die Impeachment-Untersuchung gegen Donald Trump. Und über ihre Abgeordnete Elaine Luria, die diese Untersuchung erst möglich gemacht hat. Vor einem Jahr gab Spain der Demokratin bei der Kongresswahl ihre Stimme, obwohl sie gewöhnlich die Republikaner wählt. Jetzt steht die Mitinhaberin eines kleinen Reisebüros an einem Tisch und kritzelt ihre Kritik auf die Zettel, die Lurias Mitarbeiter für Fragen an die Abgeordnete bereitgelegt haben. «Wir hören nur noch Impeachment, Impeachment, Impeachment», sagt Spain, «wir haben es satt. Das lenkt von vielen Dingen ab, die wichtiger sind.»
Donnerstagabend, eine Baptistenkirche in Virginia Beach, vier Autostunden von Washington entfernt. Hier hält Luria eine Bürgerversammlung ab. Die Gegend lebt von den zwei Stützpunkten der Luftwaffe und der Marine. Über den Atlantikstrand donnern tagsüber Kampfjets, ein Stück weit die Küste hoch liegen Flugzeugträger vor Anker. Der 2. Wahlkreis von Virginia schickte viele Jahre einen Republikaner in den Kongress, bei der letzten Präsidentschaftswahl entschied sich eine Mehrheit für Trump – kein besonders gutes Terrain für die Demokraten. Und doch eroberten sie hier 2018 einen Sitz.
Die Macht der Moderaten
Diesen Sitz riskiert Luria gerade. An der Entscheidung ihrer Partei, ein Impeachment-Verfahren gegen Trump einzuleiten, hatte sie einen massgeblichen Anteil. Lange hatte Luria diesen vom linken Parteiflügel geforderten Schritt abgelehnt. Doch dann veröffentlichte sie Anfang der vergangenen Woche gemeinsam mit sechs anderen moderaten Demokraten einen Gastbeitrag in der «Washington Post», in dem sie sich für eine Impeachment-Untersuchung aussprach. Mit dem Versuch, den ukrainischen Präsidenten zu Ermittlungen gegen seinen demokratischen Rivalen Joe Biden zu drängen, habe Trump eine Grenze überschritten. Der Kurswechsel dieser Moderaten liess der Parteiführung um Nancy Pelosi fast keine andere Wahl, als zu einem Impeachment zu schreiten.
In den demokratischen Hochburgen des Landes wurden Luria und ihre Kollegen dafür gefeiert. Doch in ihren eigenen Wahlkreisen, das zeigt die Versammlung in Virginia Beach, ist die Sache etwas komplizierter. «Ich habe das Transkript von Trumps Telefonat mit dem Ukrainer gelesen», sagt Marsha Spain, die Leiterin des Reisebüros, nachdem sie ihren Zettel mit Kritik für die Abgeordnete ausgefüllt hat. «Da war nichts.» Eine Untersuchung im Kongress, hinter verschlossenen Türen und ohne Hysterie – das hätte sie unterstützt. Aber ein Impeachment? «Das geht zu weit.»
«Sie hat das Richtige getan, auch wenn es ihr vielleicht politisch schadet.»
Luria eröffnet die Versammlung auf einer Bühne im Kirchensaal. Die 44-Jährige trägt einen feuerroten Rock und Blazer, ihre Stimme ist kräftig. Vor ihrer Wahl in den Kongress war sie Offizierin der Marine, hatte sich bis zum Kommando über ein Geschwader von Landungsbooten hochgearbeitet. «Ich bin nicht nach Washington gegangen, um Trump des Amtes zu entheben», sagt sie. «Aber ich habe auch nicht 20 Jahre in Uniform gedient, um zuzuschauen, wie er unsere Verfassung mit Füssen tritt.» Für diesen Satz gibt es von den Leuten stehenden Applaus.
Doch so klingt es eben längst nicht immer. «Warum wollen Sie den Präsidenten wegen einer Lappalie aus dem Amt jagen?», will ein Bürger wissen. «Warum haben Sie gehandelt, bevor Sie überhaupt die Fakten kennen?», hat jemand anders hingeschrieben. 14 Fragen zum Impeachment erhält Luria an diesem Abend. Neun davon sind kritisch. Luria begründet ihre Haltung nüchtern: Das Telefonat Trumps mit der Ukraine wiege schwerer als seine früheren Vergehen. «Unser Präsident hat sich um eine ausländische Einmischung in die nächsten Wahlen bemüht. Das können wir nicht zulassen.»
Das Richtige getan
«Es musste getan werden»: Das sagt auch Frank Lang. Der ehemalige Reservist bei der Marine ist gekommen, um Luria den Rücken zu stärken. Zu einem Impeachment gebe es keine Alternative, sagt er. «Niemand steht über dem Gesetz, auch nicht der Präsident.» Luria habe mit ihrer Entscheidung Courage gezeigt. «In meiner Nachbarschaft sind viele sauer auf sie. Aber sie hat das Richtige getan, auch wenn es ihr vielleicht politisch schadet.»
In den nationalen Medien und der Twitter-Blase mag es oft so wirken, als seien die Demokraten die Partei von Alexandria Ocasio-Cortez, der jungen linken Abgeordneten aus New York. Doch die Opposition verdankt ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus Politikerinnen wie Luria, die 2018 in konservativen Gegenden genügend Stimmen von Wechselwählern geholt haben. Wenden sich diese Wähler wegen des Impeachment-Dramas gegen sie, könnte das Repräsentantenhaus nächstes Jahr wieder an die Republikaner fallen – und Trump womöglich Präsident bleiben. Zwar zeigen die landesweiten Umfragen eine steigende Unterstützung für ein Impeachment. Doch über die Stimmung in Orten wie Virginia Beach sagen diese Umfragen wenig aus.
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Ein paar Daten habe sie aber durchaus, sagt Luria. Die Abgeordnete steht kurz vor ihrem Auftritt in der Kirche, um Fragen von Journalisten zu beantworten. Seit sie ihren Gastbeitrag veröffentlichte, habe ihr Büro 420 Telefonate und E-Mails erhalten, sagt sie. Knapp zwei Drittel seien positiv gewesen. «Viele Menschen hier haben einen militärischen Hintergrund. Sie verstehen, was es heisst, wenn der Präsident für seine eigenen Zwecke die nationale Sicherheit aufs Spiel setzt.» In den Gesprächen, die sie mit Bürgern führte, habe sie kaum Negatives gehört.
Und was, wenn er doch noch kommt, der Backlash, vor dem sich manche Demokraten fürchten? Ausschliessen will Luria das nicht. Ihr Sitz sei vorher in republikanischer Hand gewesen, er könne es auch künftig wieder sein. «Aber ich will dereinst in den Spiegel schauen und sagen können, dass ich auf der richtigen Seite der Geschichte stand.»
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