«Wir sind die Nächsten»
In der Geisterstadt von Sermin machen sich die wenigen, die nach dem letzten Angriff der syrischen Regierungstruppen geblieben sind, bereit für einen beinahe aussichtslosen Kampf.
Totenstille herrscht in den zerstörten Strassen von Sermin. Es ist die Ruhe vor dem Sturm, vermuten die wenigen, die in der Kleinstadt im Nordwesten Syriens zurückgeblieben sind. Sie rechnen mit einem erneuten Angriff der syrischen Armee, die schon Ende Februar in den Ort eingedrungen war. «Alle erwarten einen neuen Angriff, besonders seit dem Fall von Idlib», sagt der 50-jährige Ahmed. «Wir sind die Nächsten.»
In einer der Strassen hat ein Mann eine Barrikade aus Autoreifen errichtet. Er hat sie vorsorglich mit Benzin übergossen, damit er sie im Ernstfall gleich anzünden kann. Die Erinnerung an den ersten Überfall der Armee von Staatschef Bashar al-Assad Ende Februar treibt ihn an. «Zuerst haben sie mit Panzern und Mörsergranaten geschossen. Dann haben sie die Infanterie geschickt, um die Drecksarbeit zu erledigen», sagt er.
Die Soldaten gingen von Tür zu Tür
Der Angriff am 27. Februar hatte acht Stunden gedauert. Den rund hundert Panzern und tausend Infanteristen konnten die Verteidiger von Sermin nicht standhalten. Die Soldaten gingen von Tür zu Tür und erschossen einige Menschen, berichten die Bewohner. Einschusslöcher in den Gemäuern der Häuser zeugen davon, wie die Soldaten gewütet hatten.
Mashen, einer der wenigen, die nach dem Angriff nicht die Stadt verlassen haben, erzählt von der Ermordung seines Bruders. 20 Soldaten hätten das Türschloss zu dessen Haus gesprengt, erinnert er sich. Neben ihm stehen seine Neffen, zeigen ein Foto ihres getöteten Vaters. «Sie haben ihn nach draussen gezerrt und kaltblütig auf ihn geschossen. Dann haben sie sein Mobiltelefon, seinen Geldbeutel und seine Uhr genommen», sagt Mashen.
«Schlimmer als Tiere»
Jadiya hat bei dem Angriff ihren vierjährigen Sohn Iyad verloren. Er starb, weil er aus dem Fenster schaute, als gerade eine Mörsergranate explodierte. Tränen rinnen über Jadiyas Gesicht, auch ihre überlebenden Söhne schauen traurig.
Sie seien gekommen, um alles zu töten, was sich bewegt, behauptet ein anderer Bewohner von Sermin. Sie hätten getötet um des Tötens willen, «schlimmer als Tiere», sagt er.
Viele flohen in die Türkei
Doch offenbar waren auch mutige Soldaten unter den Angreifern, die sich ihren Befehlen widersetzten und die Menschen in Schutz nahmen. Abu Mohammed, ein anderer Anwohner, berichtet von einer Gruppe Soldaten, die die Bewohner eines Hauses im Keller zusammengetrieben hatte. «Ihr Chef hat ihnen die Anweisung gegeben, sie zu erschiessen, dann ist er gegangen. Kurz darauf baten die Soldaten die Bewohner, zu heulen und zu brüllen. Dann haben sie auf die Mauern geschossen, um den Anschein zu erwecken, den Befehl ausgeführt zu haben», schildert er den Vorfall.
Insgesamt starben laut Zeugenaussagen vor Ort 13 Menschen bei dem Angriff Ende Februar, rund 30 wurden verletzt. Den meisten der schätzungsweise 15'000 bis 20'000 Bewohnern von Sermin war das Warnung genug. Viele flohen in sicherere Gebiete, vor allem in die nur 40 Kilometer entfernte Türkei.
Bereit zu kämpfen
Diejenigen, die geblieben sind, wollen kämpfen. «Ich habe acht Kinder, aber ich bin bereit, mein Leben für die Stadt zu opfern», sagt Ahmed. Späher haben 40 Panzer in nur zwei Kilometern Entfernung gesichtet. Ebenso viele sollen sich in der nur acht Kilometer entfernten Rebellenhochburg Idlib befinden, die die Armee seit vergangener Woche kontrolliert.
Die Männer in Sermin bereiten sich derweil weiter auf den bevorstehenden Kampf vor. Der schwer bewaffneten regulären Armee stehen in Sermin rund 250 Kämpfer der Freien Syrischen Armee gegenüber, schlecht ausgerüstet mit überwiegend leichten Waffen.
Die wenigen Frauen, die sich noch in Sermin aufhalten, wollen trotz der drohenden Gefahr nicht von der Seite ihrer Männer weichen. «Ich habe Angst», sagt eine bei der Suche nach etwas Essbarem für ihre Familie, denn Nahrungsmittel wie Milch, Mehl und Zucker sind seit langem rar in Sermin. «Wir haben keine Angst», sagt eine andere entschlossen. «Eines Tages müssen wir alle sterben.»
AFP/ Antonio Pampliega
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