«Wir sollten an Wunder glauben»
Wayde van Niekerk soll die Leichtathletik nach der Ära Bolt prägen. Der Olympiasieger und Weltrekordler über 400 m ist auch über 100 und 200 m top – und wird von einer Urgrossmutter trainiert.

Sie sind der einzige Mensch, der 100 m unter 10 Sekunden, 200 m unter 20 Sekunden und 400 m unter 44 Sekunden gelaufen ist. Was visieren Sie langfristig an?
Ich möchte der Grösste auf allen Strecken sein, die ich liebe – und das sind die 100, 200 und 400 m.
Messen Sie «der Grösste» zu sein nur an Medaillen und Zeiten oder auch an persönlichem Glück?
Ich denke, persönliches Glück, Zeiten und Medaillen spielen beim Erfolg eines Athleten alle eine Rolle. Mein Ziel ist es einfach, der Beste zu sein, der ich in jedem Wettkampf sein kann.
Was heisst das nun für die WM?
Ich mache einen Doppelstart, laufe 200 und 400 m. Und ich möchte auf beiden Strecken unter die Top drei kommen.
Wie stark sind Sie über 200 m, und wie gehen Sie diese Strecke an?
Die 200 m sind meine Lieblingsdistanz. Die Strecke, die mir am meisten Spass macht, auf der ich das Training geniesse. Aber bei einem Doppelstart muss man einen weitaus höheren Aufwand betreiben. Und das Pensum in London wird natürlich grösser.
Welchen Einfluss hatte der Goldlauf über 400 m in Rio auf Ihr Leben?
Ich denke, es war ein Prozess. Die vergangenen Jahre haben mich bereits so geformt, dass ich in Rio gut vorbereitet an den Start ging. Die gesamte Entwicklung war eine Herausforderung. Ich bin ein sehr introvertierter Mensch. Und so war es extrem schwierig für mich, und ist es sogar manchmal heute noch, mich dem anzupassen, was um mich herum passiert. Deshalb bin ich einen Schritt zurückgegangen, mache alles in meinem eigenen Tempo.
Die Skepsis der Zweifler zeigt, dass mir etwas Grossartiges gelungen ist.
Wie oft haben Sie sich Ihren Goldlauf denn angeschaut?
Wenn ich Auftritte habe, kommt es vor, dass ich den Lauf ziemlich oft sehe, weil Leute das Video zeigen. Und ich bekomme beim Zuschauen immer wieder Gänsehaut, werde sogar ein wenig nervös. Dieser Lauf war eine ganz besondere Erfahrung.
Was sehen Sie, wenn Sie sich Ihren Lauf anschauen?
An dem Tag war es ein perfektes Rennen. Aber als Athlet weiss ich, dass es immer noch Luft nach oben gibt und viele Verbesserungen möglich sind. Wir haben 2017. Es ist Zeit, das zu verbessern, was ich 2016 geleistet habe.
Sie haben den 17 Jahre alten Weltrekord von Michael Johnson gebrochen. Er sagte danach, wenn jemand unter 43 Sekunden bleiben könne, dann Sie.
Diese Worte waren eine gewaltige Ehre. Aber ich stimme Michael zu. Ich bin jetzt so weit gekommen, und ich glaube an eine Entwicklung. Ich sehe mich selbst als jemanden, der noch nicht am Ende seiner Leistungskurve angekommen ist. Und da meine Bestzeit nun bei 43,03 liegt, ist für mich nur eine 42er-Zeit eine Verbesserung.
Johnson hat zudem betont, dass Sie nach dem Karriereende von Usain Bolt der grosse Star der Leichtathletik werden könnten.
Das wäre auf jeden Fall eine unglaubliche Ehre. Aber ich muss meinen Titel und die Anerkennung, die ich von den Menschen bekomme, mit Leistungen untermauern. Ich konzentriere mich ohnehin nur auf die harte Arbeit, die ich als Sportler verrichten muss. Was auch immer ich an Titeln und Erfolgen damit holen kann, ist ein Bonus.
Reicht es heutzutage noch, schnell zu laufen, um ein Superstar in der Leichtathletik zu werden? Oder muss man da noch anderes bieten?
Ich sehe mich selbst als einfachen Menschen und nicht als jemanden, der besonders aussergewöhnlich oder besonders charismatisch ist. Ich möchte einfach den normalen, fleissigen Menschen darstellen, der hart arbeitet für seinen Traum und das, was er im Leben sein möchte. Mein Ziel ist es, die Leichtathletik so erfolgreich wie möglich für mich selbst zu machen – und zwar als der Mensch, der ich gegenwärtig bin.
Mit Gold kommen auch Sponsoren und Rummel. Wie sehr bestimmen Sie noch Ihren eigenen Tagesablauf?
Es ist schwer und ein schmaler Grat, ob du hart arbeitest oder nicht. Das kann zu Problemen führen. Aber wir haben es bislang gut im Griff. Und wir sind in Bloemfontein zu Hause, dort ist es ziemlich ruhig. Da habe ich die Gelegenheit, zu machen, was ich machen muss. Andererseits ist die Anreise zu Wettkämpfen immer ziemlich weit und anstrengend. Ich hoffe und bete einfach, dass ich in meiner Karriere die richtigen Entscheidungen treffe.
Er hat das Image der Leichtathletik verändert, viele Athleten inspiriert, mich inklusive.
Ihre Trainerin Anna Botha ist 75. Welchen Einfluss hatte Ihr Olympiagold auf sie?
Ich würde sagen, keinen. Sie ist immer noch dieselbe Trainerin und Person. Da hat sich nichts verändert.
Es ist ungewöhnlich, dass eine Urgrossmutter einen Topstar trainiert. Was macht sie besonders?
Sie weiss einfach, wie man seinen Grundlagen treu bleibt und dem, woran man glaubt. Was sie fühlt und denkt, ist wichtig für einen Athleten. Ich denke, sie hat eine, für jeden wie eine Mutter zu sein. Das macht sie zu einer speziellen Trainerin. Aber sie kann auch sehr strikt sein. Wenn du ihre Regeln nicht respektierst, bekommst du jede Menge Ärger.
Wie ist Ihre Beziehung zu Usain Bolt?
Ich habe riesigen Respekt vor ihm. Wir kennen uns seit einiger Zeit, hatten einige Events zusammen. Er hat das Image der Leichtathletik verändert, viele Athleten inspiriert, mich inklusive. Seine Leistungen und sein Vermächtnis nutze ich als Antrieb, um dort hinzukommen, wo er ist.
Es gibt Zweifler, die sagen, dass Bolts Zeiten nur mit Doping zustande kommen konnten. Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?
So ist das Leben. Aber ich konzentriere mich nur auf das, was ich kontrollieren kann – und das ist der Weg, den ich gehe, und der Glaube an mich selbst. Auf die Zweifler oder gar Hasser hingegen habe ich keinen Einfluss.
Aber können Sie die Zweifler etwas verstehen? Es hat so manche Leichtathleten mit grossartigen Leistungen gegeben – und letztlich kam heraus, dass sie betrogen hatten.
Auf jeden Fall. Aber ich kann nicht kontrollieren, was die Athleten um mich herum machen. Was ich hingegen kontrollieren kann, sind mein Verhalten und Situationen, auf die ich mich einlasse. Ich glaube daran, ein sauberer und fairer Sportler zu sein. Und darauf konzentriere ich mich. Dass es viele Zweifler gibt, sehe ich positiv. Deren Skepsis zeigt mir eben, dass mir etwas Grossartiges gelungen ist. Aber ich lasse es nicht zu, dass die Zweifler mich hinunterziehen. Im Gegenteil. Ich nutze sie, um mich noch zu steigern. Um ihnen zu zeigen, dass ich sogar noch besser sein kann. Wir alle sollten an das Unmögliche glauben, an Wunder. Und genau so lebe ich mein Leben.
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