
Die Botschafter der G-7-Länder in Bern werden gemeinsam im Bundeshaus vorstellig, kurz darauf der amerikanische Sanktionsverantwortliche. Bundespräsident Alain Berset hört die Ermahnung persönlich in Berlin. Die offizielle Schweiz aber gibt sich hart und empört. Ist diese Pose selbstgerechten Patriotismus, die Rolle der beleidigten Souveränitäts-Leberwurst angebracht?
Eine nüchterne Betrachtung fällt klar negativ aus; es wäre vielmehr angebracht, die Demarche unserer wichtigsten Partnerländer als Alarmzeichen aufzufassen und unsere gesamte Ukraine-Politik einer Prüfung zu unterziehen. Die Schweiz liegt am Schwanz der Rangliste aller westlichen Länder bei der Unterstützung der Ukraine gegen den Kriegsverbrecher Putin und seinen Aggressionskrieg.
Die Schweiz muss und kann mehr tun. Die Lieferung von Kriegsmaterial, auch im Ringverkauf via eine dritte Partei, ist im Moment blockiert durch den Bundesrat. Dies entspricht kaum einer Mehrheit in der Schweiz.
Die schweizerische Teilnahme an der internationalen Taskforce zur Überwachung der Ukraine-Sanktionen ist überfällig.
Als weltweiter Leader in der Vermögensverwaltung und des Rohstoffhandels ist der Finanzplatz Schweiz auch Hauptdrehscheibe für russische Vermögen. Ein abstraktes Recht auf russisches Eigentum mit den buchstäblich von Tod und Vernichtung bedrohten Ukrainerinnen und Ukrainern – und deren Unterstützung durch beschlagnahmte russische Vermögenswerte – auf dieselbe Ebene zu stellen, ist nicht angebracht. Die russischen Gelder in der Schweiz stammen mindestens von Diebstahl am russischen Volksvermögen her – Stichwort überstürzte Privatisierung nach dem Zusammenbruch der UdSSR – und maximal von Korruption und der Umgehung von rechtsgültigen Sanktionen.
Dies sind alles strafrechtliche Tatbestände, die hier das «Recht auf Eigentum» absurd erscheinen lassen. Die Charakterisierung der diplomatischen Vertreter der G-7-Staaten in der Schweiz, welche entsprechend beim Bundesrat vorstellig werden, im Kommentar dieser Zeitung als «Radau-Diplomaten» abzustempeln, ist kontraproduktiv. Dies weil das Ansehen der Schweiz und damit auch die Einstellung unserer Partnerländer gegenüber unseren Begehren in der Europapolitik sich momentan auf einem Tiefstand befindet.
Die schweizerische Teilnahme an der internationalen Taskforce zur Überwachung der Ukraine-Sanktionen ist überfällig. Sie ist zusammengesetzt aus demokratischen Rechtsstaaten wie der Schweiz. Und wenn diese nach der Gewichtung der erwähnten Interessen der Ukraine einerseits und Russlands andererseits die Beschlagnahmung russischer Vermögenswerte beschliesst, soll sich die Schweiz beteiligen und wird das mittelfristig auch müssen. Der Bundesrat hat bei der Kernschmelze der CS gezeigt, dass im Notfall Notrecht angewandt werden kann und soll.
Die offizielle Schweiz hat noch nicht begriffen, dass mit der russischen Aggression ein Notfall bereits eingetreten ist. Um Putins Expansionswahn wirklich zu begegnen, muss dieser zunächst eine deutlich sichtbare Niederlage erleiden. Erst dann können Waffenstillstand und Wiederaufbau folgen. Wir sollten also die Mahnungen der G-7 ernst nehmen, anstatt mit gekränktem Patriotismus wild um uns zu schlagen. Bekanntlich folgen auf diplomatische Demarchen Massnahmen, welche dann wirklich wehtun können, wie Boykotte und Weiteres mehr.
Daniel Woker ist ehemaliger Botschafter und Experte für Geopolitik.
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Gastbeitrag zur Aussenpolitik – Wir sollten die Mahnungen unserer Partnerländer ernst nehmen
Ungenügende Unterstützung der Ukraine, fehlende Gründlichkeit bei den Sanktionen gegen Russland: Die Kritik an der Schweiz löst eine Welle selbstgerechter Entrüstung aus. Dabei können und müssen wir mehr tun.