Wirtschaft fürchtet sich vor Lex Glencore
Migros und Pharma drängen auf einen Gegenvorschlag zur Konzernverantwortungsinitiative.
Besorgt war die Wirtschaft schon länger. Seit dieser Woche und den Enthüllungen der Paradise Papers greift auf den Teppichetagen der Schweizer Unternehmen aber die Angst um sich – die Angst vor der Konzernverantwortungsinitiative. Das 2015 von NGOs und Gewerkschaften lancierte Volksbegehren will Schweizer Firmen verpflichten, die Menschenrechte und den Umweltschutz über die ganze Wertschöpfungskette im In- und Ausland einzuhalten. Strengen sich die Unternehmen nicht genügend an, drohen Klagen und harte Strafen.
Vor dem Hintergrund der Paradise Papers und den Resultaten einer aktuellen Meinungsumfrage ist offensichtlich, dass der Wirtschaft ein delikater Abstimmungskampf bevorsteht. Die Initiative könnte zum Plebiszit über Glencore und Co. werden. Sprich, zum Volksentscheid über einige Rohstoffmultis, die in Entwicklungsländern in problematische Geschäfte verstrickt sind und ihre Verantwortung gegenüber Menschen und Umwelt nicht genügend wahrnehmen. Betroffen von einem Ja wäre aber die gesamte Wirtschaft.
Martullo-Verband macht Druck
Mit der Nervosität steigt auch der Druck auf die Politik, einen Gegenvorschlag zur Initiative auszuarbeiten. Economiesuisse spricht sich zwar dagegen aus. Man lehne eine weitere Verrechtlichung ab, weil juristische Auseinandersetzungen der falsche Weg seien, um nachhaltige Fortschritte im Schutz von Mensch und Umwelt zu erreichen, heisst es beim Wirtschaftsdachverband. Doch die Wirtschaft ist gespalten. Erst letzte Woche empfahl der Chemie- und Pharmaverband Scienceindustries, dem unter anderem Nestlé, Novartis und die Ems-Gruppe von SVP-Nationalrätin Magdalena Martullo-Blocher angehören, dass sich «die Politik einen Gegenvorschlag überlegen soll». Dieser müsse weniger technisch sein. Zudem gelte es, Klagemöglichkeiten für Geschädigte in der Schweiz zu vermeiden.

Just in diese Richtung geht ein Entwurf, der in Bern kursiert und der Redaktion Tamedia vorliegt. Er will die Wirtschaft stärker in die Pflicht nehmen, Sorgfaltsprüfungen für die gesamte Wertschöpfungskette durchzuführen und darüber Bericht zu erstatten. Der indirekte Gegenvorschlag kommt der Wirtschaft aber in drei wichtigen Punkten entgegen:
Erstens sollen kleinere KMU und Firmen ohne Auslandtätigkeit von der Sorgfaltsprüfungspflicht befreit werden. Darüber hinaus könnte der Bundesrat sogenannte Risikobranchen (zum Beispiel den Rohstoffhandel) definieren, in welchen die Pflicht auch unabhängig von der Grösse des Unternehmens gilt.
Fehlbare Unternehmen weniger hart bestrafen
Zweitens soll die Offenlegungspflicht der Unternehmen eingeschränkt werden. Damit greift der Gegenvorschlag die in der Wirtschaft verbreitete Befürchtung auf, dass sie künftig genötigt wären, Unternehmensgeheimnisse der Öffentlichkeit preiszugeben. Gemäss dem skizzierten Gegenvorschlag soll nur der unbedenkliche Teil des Sorgfaltspflicht-Reportings öffentlich zugänglich gemacht werden. Weitergehende Informationen könnten einem neuen bundesnahen Gremium vorgelegt werden, welches prüft, ob die Firmen sich ausreichend für den Schutz von Mensch und Umwelt engagieren.
Drittens schlägt der Entwurf vor, fehlbare Unternehmen weniger hart zu bestrafen. Firmen, die ihrer Sorgfaltsprüfungspflicht trotz Ermahnung nicht nachkommen, sollen öffentlich genannt werden. Auch die Haftung bei Schäden soll gegenüber der Initiative gelockert werden. Unternehmen sollen etwa nicht für Schäden büssen müssen, die durch Zulieferer verursacht wurden.
Wie die Wirtschaft diesen Gegenvorschlag beurteilt, ist schwer zu ermitteln. Viele Firmen halten sich vorerst noch bedeckt. Coop etwa will «den Entscheid über die Initiative den Stimmbürgern überlassen». Offensiver ist die Migros. Die Initiative lehne man zwar ab. Aber: «Wir setzen uns aktiv dafür ein, dass die Politik einen Gegenvorschlag erarbeitet», sagt Martin Schläpfer, Leiter Wirtschaftspolitik der Migros. Gespräche mit Politikern, Unternehmern und Verbänden seien im Gang. Vor zusätzlicher Bürokratie fürchtet man sich bei der Migros nicht. «Kommt ein intelligenter Gegenvorschlag zustande, so sollte sich der Mehraufwand zumindest für grössere Unternehmen in engen Grenzen halten», so Schläpfer.
Aktivitäten hinter den Kulissen
Auch Politiker befassen sich schon intensiv mit der Frage eines Gegenvorschlags. Besonders wichtig dürfte dabei die CVP sein. «Hinter den Kulissen laufen momentan sehr viele Aktivitäten, so viele wie kaum einmal in dieser frühen Phase», sagt CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt. Er führte diverse Gespräche, innerhalb des christlich-sozialen Parteiflügels, aber auch mit Experten und nahestehenden Organisationen. «Bei den Diskussionen kam man schnell zum Schluss, dass ein Gegenvorschlag wohl klug wäre», so Müller-Altermatt. Denn für ihn sei klar, dass etwas gegen das Reputationsrisiko von Schweizer Unternehmen gemacht werden müsse. «Dies hat angesichts der Paradise Papers an weiterer Dringlichkeit gewonnen.» Dieser Meinung ist auch die jurassische CVP-Ständerätin Anne Seydoux-Christe.
Video: Hinter den Kulissen der Paradise-Papers-Enthüllungen
Ob die Initianten ihr Volksbegehren im Falle eines Gegenvorschlags zurückziehen würden, ist jedoch fraglich. Alt-FDP-Ständerat Dick Marty signalisiert Gesprächsbereitschaft: Man begrüsse Bestrebungen, verbindliche Regeln für Unternehmen auf einem schnellen Weg umzusetzen. «Für uns steht eine gute Lösung im Zentrum, ob mit oder ohne Abstimmungskampagne.»
Zurückhaltender äussert sich Dominique Biedermann, Präsident der Stiftung Ethos. Man schätze die Erfolgschancen der Initiative optimistisch ein. Falls die Politik aber einen seriösen Gegenvorschlag präsentiere, so werde man diesen selbstverständlich mit grosser Aufmerksamkeit analysieren.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch