Es brodelt bei den Raiffeisen-Genossenschaftern
Die Bank ist stolz auf ihre demokratische Struktur. In den kommenden Wochen halten viele Genossenschaften ihre Jahresversammlung ab. Dort dürften Fragen zur Vincenz-Affäre laut werden.

Sie ist die drittgrösste Bank der Schweiz. Die Strukturen bei Raiffeisen funktionieren aber ganz anders als bei den beiden Grossbanken UBS und Credit Suisse. Denn es sind nicht professionelle Investoren, die Einfluss auf die Bank nehmen. Die Raiffeisen-Zentrale in St. Gallen bestimmt zwar den Kurs, die 255 regionalen Raiffeisenbanken sind aber im Besitz von rund zwei Millionen Genossenschaftern. Am Hauptsitz schaltete 16 Jahre lang Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz.
Er sorgte bis zu seinem Rücktritt 2015 dafür, dass aus dem losen Zusammenschluss von regionalen Banken eine nationale Kraft wurde – und erwarb sich damit den Respekt bei vielen Genossenschaftern. Seit einigen Tagen sitzt er in Zürich in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm ungetreue Geschäftsbesorgung vor. Sein Handeln soll also von ihm geleiteten Firmen geschadet und ihm einen finanziellen Vorteil eingebracht haben. Die Bank selbst hat eine Anzeige gegen ihren einstigen Übervater eingereicht. Er selbst bestreitet die Vorwürfe vehement.
Genossenschafter fordern Aufklärung
In den kommenden Wochen finden bei vielen Genossenschaften die jährlichen Generalversammlungen statt. Vincenz war dort früher ein gern gesehener Gast, heute dürfte das nicht mehr der Fall sein. Die Anlässe waren in den vergangenen Jahren eher gesellschaftlicher Natur. Tausende Genossenschafter versammeln sich in der Stadthalle, dem Gemeindesaal oder auch schon mal einem Zirkuszelt. Ein schönes Essen, Vorträge rund ums Bankengeschäft und dabei noch die Rechnung der Bank absegnen. Dieses Jahr dürfte das vielerorts anders aussehen. «Die Affäre Vincenz wird ein Thema an der nächsten Generalversammlung», so Erwin Scherrer, Präsident der Raiffeisen-Genossenschaft Wil. Sie hält am 4. April ihre Jahresversammlung ab und lädt dazu mehr als 10'000 Mitglieder ein, von denen rund 6000 erscheinen werden. «Ich muss an der GV eine Antwort auf die Fragen der Genossenschafter haben», so Scherrer.
Eine Raiffeisen-Sprecherin sagt dazu: «Soweit es uns aufgrund des laufenden Verfahrens möglich ist, informieren wir die Raiffeisenbanken möglichst zeitnah und stellen ihnen Hilfsmittel zur Beantwortung von Anfragen zur Verfügung.» Zudem nehme die Geschäftsleitung vereinzelt an Generalversammlungen teil.
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Raiffeisen-Chef Patrik Gisel äussert sich zur Strafanzeige gegen Pierin Vincenz. Video: Lea Koch
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Kurt Sidler, Präsident des Raiffeisen-Regionalverbandes Luzern, findet ebenfalls, dass die Ermittlungen gegen den einstigen Raiffeisen-Chef an der nächsten GV aufgenommen werden müssen. «Es bewegt unsere Mitglieder», so Sidler. Doch es sei schwierig, die relevanten Informationen zu bekommen, diese seien jetzt aber notwendig. Denn das Vertrauen der Basis habe zuletzt gelitten. «Wenn nun alles auf den Tisch kommt und die Vorgänge wirklich aufgearbeitet werden, dann wird das Vertrauen in die Raiffeisen wieder gestärkt», so Sidler. Die Hoffnung ist also gross, dass die von Raiffeisen-Chef Patrik Gisel angekündigten internen Untersuchungen rasch und ernsthaft umgesetzt werden.
Diversifikationskurs wird kritisiert
Scherrer von der Raiffeisen-Genossenschaft in Wil geht auch davon aus, dass die Vorwürfe gegen die einstige Raiffeisen-Spitze in einer Form in den Jahresbericht fliessen. Er erwartet zudem, dass die Ereignisse der letzten Tage den Anlass dazu geben sollten, die Diversifikationsstrategie der letzten Jahre zu überdenken. Die Bank sei gut im Geschäft mit lokalen Kunden, das habe die Zentrale aber aus den Augen verloren.
Die vergangenen Jahre der Raiffeisen-Gruppe waren geprägt von einem rasanten Wachstum im Hauptgeschäft, der Eigenheimfinanzierung, und von zahlreichen Beteiligungen und Übernahmen an anderen Unternehmen. Viele davon haben den Genossenschaftern nichts gebracht. Dazu gehören etwa der Kauf der Privatbank Notenstein La Roche oder die Beteiligung an der Derivatefirma Leonteq. Für so manchen Genossenschafter passen sie nicht in das Gefüge der Bank, auch dazu könnten an den Jahresversammlungen wieder Fragen aufkommen.
Wahl der Delegierten «zufällig»
Die regionalen Versammlungen der Raiffeisengenossenschafter bieten den Vorlauf zur Delegiertenversammlung in Lugano. Dort wird im Juni der Verwaltungsrat der grossen Raiffeisen-Gruppe gewählt. Die Regionalverbände stellen jeweils zwei Delegierte. Hinzu kommt ein Anspruch auf zusätzliche Delegierte für Raiffeisenbanken mit vielen Mitgliedern oder einer grossen Bilanz. Die Auswahl der Delegierten sei ein politischer Prozess, der oft etwas zufällig ablaufe, so Scherrer. Es würden die Genossenschafter teilnehmen, die Lust und Zeit hätten, aber nicht unbedingt diejenigen, die besonders kritische Fragen an den Verwaltungsrat stellen würden.
Die Bank hat bereits bekannt gegeben, dass sich der Verwaltungsrat komplett erneuern will. Bis 2020 sollen neun des mit zwölf Verwaltungsratsmitgliedern gross angelegten Gremiums ausgetauscht werden. Ein schneller Abgang des heftig kritisierten Präsidenten Johannes Rüegg-Stürm ist aber nicht zu erwarten. Er will an der kommenden GV noch einmal antreten.
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