Medien-Konsortium als Wikileaks-Gegenentwurf
Enthüllungen über Missstände sind auch ohne die berühmte Whistleblowing-Plattform möglich. Eine internationale Medienkooperation sorgt mit Offshore-Leaks nun für Schlagzeilen und politische Sprengkraft.
Das Wort «leaks» wurde in den letzten Jahren ausnahmslos mit einer Plattform in Verbindung gebracht: Wikileaks. Durch zahlreiche Enthüllungen kamen spektakuläre Missstände an die Öffentlichkeit. Dabei arbeitete die Whistleblowing-Plattform jeweils mit ausgesuchten Medien zusammen.
Blicken wir zurück: Da war zum einen das sogenannte «Afghan War Diary». Im Juni 2010 kamen zehntausend geheime US-Militärdokumente über den Alltag in Afghanistan zum Vorschein. Monate später war der zweite US-Krieg im Irak das Thema. Für eine weltweite Empörung sorgte ein Video, das zeigte, wie ein Helikopter eine Gruppe Zivilisten und Journalisten unter Feuer nimmt. Und als dritte grosse Enthüllung ist der Datenberg der Diplomatendepeschen zu nennen. Die Medien konnten in ihren Auswertungen zeigen, wie die US-Botschafter die Welt sehen.
«Leaking» ist nicht vom Tisch
Wikileaks existiert aber nach diesen drei Geschichten so gut wie nicht mehr. Gründer Julian Assange liegt mit Behörden und Medien im Zwist, eine Verurteilung wegen Vergewaltigung in Schweden ist wahrscheinlich, und Wikileaks kämpft mit Geldproblemen. Das Thema «Leaking» ist allerdings nicht vom Tisch. Auch ohne die prominente Plattform sind weltumspannende Enthüllungen möglich, bei denen verschiedene Medien international zusammenarbeiten.
Der jüngste Skandal «Offshore-Leaks» zeigt das eindrücklich. Eine geheime Quelle hat eine Steuersünderliste gigantischen Ausmasses dem Internationalen Konsortium investigativer Journalisten (ICIJ) zugesteckt. Die Dokumente sollen die Steuertricks von 130'000 Reichen weltweit entlarven.
ICIJ das bessere Modell
Der Fall zeigt, dass es keine Plattform wie Wikileaks braucht, damit gravierende Missstände aufgedeckt werden können. Vielleicht ist sogar das ICIJ das bessere Modell. Denn hatte Wikileaks in der Vergangenheit Mühe damit, Informanten zu schützen, ist die Geheimhaltung und Quellenschutz beim Konsortium oberstes Prinzip. «Das Projekt ist ein Gegenentwurf zu WikiLeaks», erklärte Sebastian Mondial, der als Datenjournalist am Offshore-Projekt beteiligt ist, der Nachrichtenagentur dpa. «Wir haben von vornherein versucht, Geheimhaltung und Quellenschutz nach vorn zu stellen.»
Zigarettenschmuggel, Thunfisch-Schwarzmarkt, Handel mit Leichenteilen
Die Organisation gehört zum «Center for Public Integrity», einer in Washington ansässigen, Spenden-finanzierten Organisation, die sich dem investigativen Journalismus verschrieben hat. Wenn man die Scoops des ICIJ in den letzten Jahre näher anschaut, dann hat die Organisation womöglich mehr Potenzial als Wikileaks. Zu nennen wären Recherchen aus dem Jahr 2008, als die Organisation den Zigarettenschmuggel und illegalen Tabakhandel aufdeckte. 2010 zeigte das ICIJ auf, wie der Thunfisch-Schwarzmarkt floriert. Und als letzte grosse Leistung konnte das Netzwerk aufzeigen, wie der Handel mit Leichenteilen betrieben wird.
Und womöglich kann das Konsortium mit den jüngsten Auswertungen mehr erreichen, als sämtliche Wikileaks-Enthüllungen zusammen, die im Prinzip nur für Empörung in der Öffentlichkeit sorgten, aber praktisch keine Konsequenzen hatten. In den kommenden Tagen will das Konsortium mit neuen Skandalstorys für Furore sorgen. Im Fokus steht Frankreichs Regierung, weil der Schatzmeister des Wahlkampfteams von Hollande angeblich Aktionär von zwei Offshore-Firmen auf den Kaiman-Inseln, ist, wie «Le Monde» berichtet. Wenn das nicht eine politische Sprengkraft hat.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch