Fahrlehrer bei Seniorentests unerwünscht
Dürfen Hausärzte einen Fahrlehrer beiziehen, wenn sie an der Fahrtauglichkeit zweifeln? Nein, sagen Behörden und Fachleute.

Automobilisten über 70 müssen sich alle zwei Jahre einer Kontrolluntersuchung beim Hausarzt unterziehen. Dieser klärt ab, ob sie die medizinischen Mindestanforderungen für das Lenken eines Fahrzeugs noch erfüllen oder ob Krankheiten ein sicheres Fahren infrage stellen. Zur Diskussion steht die sogenannte Fahreignung. Nicht abklären darf der Arzt hingegen, wie gut oder schlecht jemand fährt (Fahrkompetenz).
Kritiker monieren, diese Trennung sei lebensfremd. Sie verweisen auf das Beispiel eines Probanden, dessen Schulterbeweglichkeit nach einer Fraktur eingeschränkt ist. Ob dieses medizinische Problem den Senior am sicheren Fahren hindere, lasse sich am besten bei einer Probefahrt beobachten. Das sieht auch der pensionierte Fahrlehrer und ehemalige Prüfungsexperte Hansueli Bleiker so: «Bei leichteren körperlichen oder kognitiven Defiziten könnte eine auf die Schwachstellen des Probanden ausgerichtete Fahrprobe dem Arzt die klärende Antwort geben.»
Bilder: Rentner am Steuer
Bleiker fordert seit längerem den Einbezug seiner Zunft in die ärztlichen Abklärungen: «Hausärzte sollten anlässlich der obligatorischen Fahreignungsuntersuchung nicht nur die an sie gestellten medizinischen Fragen beantworten müssen, sondern mindestens in Grenzfällen auch die Möglichkeit haben, auf unkomplizierte und praxisnahe Art die Fahrkompetenz prüfen zu lassen.» Bei beginnender Demenz etwa gebe eine Kontrollfahrt dem untersuchenden Arzt «den überzeugenderen Aufschluss zur Hirnleistung des Probanden als ein abstraktes Testverfahren», sagt Bleiker.
Im Gesetz nicht vorgesehen
Auf seine Initiative bildet der Schweizerische Fahrlehrerverband seit einigen Jahren erfahrene Fahrlehrer zu sogenannten Fahrberatern weiter. Sie sind auf ältere Automobilisten spezialisiert und sollen Ärzten eine Rückmeldung zu deren Fahrfähigkeit geben. Für die Senioren sei eine Probefahrt mit einem Fahrberater meist weniger stressig als mit einem Experten des Strassenverkehrsamts, sagt Hansueli Bleiker. Und: «Sie unterziehen sich erfahrungsgemäss lieber einer Fahrprobe als einem nach ihrem Empfinden mysteriösen Test in der Arztpraxis.»
Bei den Hausärzten stösst die Forderung nach Fahrberatern laut Bleiker auf Wohlwollen. In einer Umfrage seiner Beratungsstelle für Auto fahrende Senioren seien 85 Prozent der Antworten positiv ausgefallen. Es gebe Adresslisten von Ärzten, die mit Fahrberatern zusammenarbeiteten. Sogar der Hausärzte-Verband habe sich anfänglich zustimmend geäussert. Inzwischen hat der Wind aber gedreht. «Als Hausarzt habe ich keine Kompetenz, eine Fahrprobe anzuordnen», schreibt der Präsident des Verbands der Schweizer Hausärzte dem TA auf Anfrage. Laut Philippe Luchsinger sei eine Fahrt mit einem Experten zwar unterstützungswürdig, «aber eben freiwillig, ohne Konsequenz und ohne Einfluss auf meine Beurteilung».
Zum gleichen Schluss kommt der Jurist Matthias Pfau in einem Fachaufsatz in der Onlinezeitschrift «Jusletter»: «Es fehlt eine gesetzliche Grundlage, um die Fahrberatung in die medizinische Kontrolluntersuchung einfliessen zu lassen. Der Arzt ist weder befugt noch verpflichtet, Hilfspersonen dieser Art beizuziehen.» TA-Leser Hansruedi Hartmann aus Gossau ZH bedauert dies, wie er kürzlich in einem Leserbrief schrieb: «Wenn ich da und dort Senioren beim Fahren und Manövrieren beobachte, denke ich oft, es wäre gut, wenn nicht nur der Arzt die Fahrtüchtigkeit prüfen würde, sondern auch ein Fahrlehrer.»
Tatsächlich sieht das Gesetz für Fahrlehrer oder eben Fahrberater bei Seniorenchecks keine Rolle vor. Nur speziell ausgebildete Verkehrsmediziner dürfen überhaupt eine Kontrollfahrt anordnen. Diese findet im Beisein eines Verkehrsmediziners und eines Experten des Strassenverkehrsamts statt. Damit ein Senior überhaupt bei einem Verkehrsmediziner landet, muss ihn der Hausarzt zur genaueren Abklärung dorthin überweisen. «Eine Kontrollfahrt führen wir durch, wenn unsere Testergebnisse im Graubereich liegen», erklärt Rolf Seeger vom Institut für Rechtsmedizin der Universität Zürich, das im Kanton Zürich die meisten Untersuchungen durchführt. Der Verkehrsmediziner findet es «die reine Katastrophe» und «eine klare Sorgfaltspflichtverletzung», wenn Hausärzte einen Fahrberater beiziehen.
Fahrberater als neutrale Instanz
Rückendeckung erhält er von behördlicher Seite: «Der Entscheid, ob eine Person die gesundheitlichen Voraussetzungen erfüllt, um weitere zwei Jahre ein Auto zu lenken, ist eine Aufgabe für medizinische Fachkräfte», betont ein Sprecher des Bundesamts für Strassen (Astra). Und bei der Vereinigung der Strassenverkehrsämter heisst es kurz und bündig: «Der Hausarzt darf gar keinen Fahrberater beiziehen.» Hinter vorgehaltener Hand ist bei Ämtern auch zu hören, es sei schwierig, einem Senior klarzumachen, dass er nicht mehr fahren dürfe, wenn ihm zuvor ein Fahrberater das Okay gegeben habe.
Fahrberaterpionier Hansueli Bleiker kämpft weiter dafür, dass Fahrlehrer mit entsprechender Weiterbildung den Hausärzten Empfehlungen abgeben dürfen. «Astra und Rechtsmedizin sollten ihren Widerstand endlich aufgeben. Für sicheres Autofahren braucht es mehr als medizinische Fahreignung. Unser Angebot sehen wir als nützliche Ergänzung zur ärztlichen Untersuchung.»
«Senioren unterziehen sich lieber einer Fahrprobe als einem mysteriösen Test beim Arzt.»Hansueli Bleiker, pensionierter Fahrlehrer
So verhärtet die Fronten sind, so einig ist man sich, was Fahrberatung für ältere Autofahrer ausserhalb der periodischen Kontrolluntersuchungen anbelangt. Dies sei eine gute Sache, heisst es allenthalben. «Wir unterstützen es, wenn sich Senioren auf freiwilliger Basis mit ihrer Fahrkompetenz auseinandersetzen und die Verkehrsregeln auffrischen», sagt etwa Carlo Gsell vom Zürcher Strassenverkehrsamt. Der Bundesrat will die geplante Erhöhung des Kontrollalters von 70 auf 75 abfedern, indem die 70-Jährigen per Brief auf Fahrkurse aufmerksam gemacht werden.
Die Beratungsstelle für Unfallverhütung hält von Fahrberatern «sehr viel», wie ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter Uwe Ewert sagt. «Wir empfehlen sie vor allem, wenn sich Angehörige Sorgen machen, der Betreffende aber weiterhin fahren will. Beide Seiten akzeptieren den Fahrberater als neutrale Instanz, und sein Urteil geniesst eine hohe Akzeptanz.» Eine Fahrt mit dem Fahrberater sei zudem unverbindlicher als eine freiwillige Fahrprobe beim Strassenverkehrsamt, sagt Ewert: «Wer dort einmal durchfällt, ist den Ausweis los und bekommt ihn auch nicht wieder.»
Infos zur fahrerischen Weiterbildung:
www.sicher-mobil.ch
www.fahrlehrerverband.ch
www.tcs.ch/de/kurse
Erstellt: 03.09.2017, 23:18 Uhr
Obligatorische Checks
Ärzte haften nur für grobe Fehler
Macht sich ein Arzt strafbar, wenn er die Fahreignung eines über 70-Jährigen bei der obligatorischen Kontrolluntersuchung allzu günstig einschätzt und der Proband in der Folge wegen eines gesundheitlichen Problems einen Unfall verursacht? Laut Bundesgericht ist eine solche Fehleinschätzung strafrechtlich nur relevant, wenn sie «nach dem allgemeinen fachlichen Wissensstand nicht mehr als vertretbar erscheint». Mit anderen Worten: Es braucht eine grobe Sorgfaltspflichtverletzung, einen Kunstfehler.
Zieht der Arzt aber einen Fahrberater bei und belässt dem Senior auf dessen Empfehlung hin den Führerausweis, könnte er sich nach einem Unfall dem Vorwurf aussetzen, er habe die Untersuchung nicht korrekt durchgeführt. Gerichtsentscheide dazu fehlen bis jetzt.(thm)
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