Ein brisantes Begehren der Tabakindustrie
Die Zigarettenindustrie will in Europa an der Kontrolle des Schmuggels beteiligt werden, obwohl einige Unternehmen einst selbst darin verwickelt waren.

«Die Tabakindustrie an den Verhandlungstisch zu holen, das ist, als stellst du Füchse ein, damit sie über deine Hühner wachen.» Mit diesem Satz sorgte die WHO-Generaldirektorin Margaret Chan vor Tabakexperten jüngst für reichlich Gelächter. Zum Lachen ist bei der WHO in Genf momentan allerdings niemandem mehr zumute. Es mehren sich die Stimmen, dass der Tabakindustrie bei der geplanten EU-weiten Schmuggelkontrolle ihrer eigenen Waren eine gewichtige Rolle zukommen soll.
Das wäre aus mehrerlei Hinsicht brisant. Zunächst sind einige Konzerne in der Vergangenheit nachweislich selbst am Schmuggel beteiligt gewesen. Zum anderen torpedieren die Länder in Brüssel damit Bemühungen der WHO, den Einfluss der Industrie einzudämmen.
Dieser Tage verhandeln Ministerialvertreter im Rat der Europäischen Union hinter verschlossen Türen über den ab Mai 2019 EU-weit gültigen Standard des sogenannten Track & Trace: Das ist ein einheitliches System zur Kontrolle des Transports von Zigaretten und Zigarren. Die Verhandlungen, so sagen es Beteiligte, könnten noch vor dem Jahreswechsel beendet sein.
Laut Recherchen dieser Zeitung zeichnet sich ab, dass sich viele grosse EU-Staaten vorstellen können, die Tabakindustrie an der Kontrolle ihrer eigenen Ware zu beteiligen. Schon 2004 hatte die Tabakindustrie mit der EU-Kommission ein Abkommen geschlossen, um einen lang schwelenden Rechtsstreit wegen Schmuggels zu beenden. Das Abkommen sah zum einen milliardenschwere Ausgleichszahlungen der Tabakmultis vor, wenn in der EU illegale Ware der Konzerne auftaucht. Zum anderen willigte die Industrie ein, ihre Zigarettenpackungen mit einem Track-&-Trace-System besser nachverfolgbar zu machen.
Eine Lobby mit viel Einfluss
Bei den aktuellen Beratungen geht es aber um mehr. Die Tabakindustrie dient sich als Partnerin der EU an. Und findet gewichtigen Support. Angeführt wird die Phalanx der Tabakfreunde von Deutschland, wo seit letztem Jahr sogar ein Pilotprojekt in Sachen Partnerschaft mit den Zigarettenkonzernen stattfindet. Weitere gewichtige Mitstreiter sind Österreich, Ungarn und Polen – allesamt Länder, in denen die Tabakindustrie sehr aktiv ist.
Vinayak Mohan Prasad, der Leiter des Anti-Tabak-Programms der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in Genf, ärgern die in Brüssel diskutierten Pläne. Eine «klare Positionierung gegen jegliche Beteiligung der Industrie» in der EU sei wichtig für das Programm, das voraussichtlich kommenden Sommer in Kraft treten soll, so Prasad gegenüber dieser Zeitung. Schliesslich schreibe das WHO-Anti-Tabak-Abkommen vor, dass die Tabakindustrie für Regierungen «keine Verpflichtungen ausführen» und auch «nicht an sie delegiert» werden kann. Und die EU sei diesem Abkommen beigetreten. Prasad erinnert daran: «In den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren waren die vier grossen Zigarettenfirmen am Schmuggel beteiligt.»
Die Zigarettenindustrie befindet sich auch im Wettbewerb mit dem Sicherheitsspezialisten Sicpa aus der Romandie.
Unbeeindruckt von der Kritik aus Genf, tobt in Brüssel ein Lobbykampf darum, wer für die EU das Nachverfolgungssystem aufbauen soll. Es geht um viel Geld. Die Zigarettenindustrie befindet sich dabei auch im Wettbewerb mit dem Schweizer Sicherheitsspezialisten Sicpa. Dieser hat mit Sicpatrace ein Nachverfolgungssystem entwickelt und will gern mit der EU ins Geschäft kommen. Die Tabakindustrie weibelt für das von ihr entwickelte System Codentify.
Denn es ist für die Tabakindustrie schlicht billiger und praktikabler, ihre eigenen Codes aufzudrucken. Sicpa dagegen verspricht in Interviews Tausende neuer Arbeitsplätze, die durch die Einführung von Sicpatrace entstehen könnten. Zudem zeigt sich das Westschweizer Familienunternehmen «besorgt, dass die Rechtsakte (der EU) der Tabakindustrie eine Rolle zuweisen». Das sei nicht im Sinne des WHO-Anti-Tabak-Protokolls. Das eigene Kontrollsystem, das man bei Bedarf auch in der Schweiz anbieten könnte, sei dagegen unabhängig und damit WHO-kompatibel.
Die Schweiz macht nicht mit
Während in der EU der Kampf um die Frage tobt, mit welchem System der Schmuggel bekämpft werden soll, ist in der Schweiz das Thema Schmuggelkontrolle noch nicht einmal mehr auf der Tagesordnung. Während die Eidgenössische Zollverwaltung (EZV) im Jahr 2014 auf Anfrage noch mitteilte, man müsse bei dem Thema «die Entwicklungen beziehungsweise die Umsetzung in der EU abwarten, bevor man über Massnahmen in der Schweiz befinden kann», heisst es nun: Für die Schweiz bestehe «keine Dringlichkeit für eine gesetzliche Verankerung eines Track-&-Trace-Systems».
Die Mitglieder der Vereinigung des Schweizerischen Tabakwarenhandels schreiben auf ihrer Website, sie nähmen die Bedrohung durch illegalen Tabakhandel sehr ernst. So setzen sie sich für wirksame Massnahmen zur Vorbeugung und Bekämpfung des illegalen Handels ein. Ein erfolgreiches Vorgehen bedinge, dass international koordiniert und länderübergreifend vorgegangen werde – «in enger Kooperation zwischen Industrie und Zoll- sowie Strafverfolgungsbehörden».
Einige Schweizer Experten kritisieren die zögerliche Haltung der hiesigen Behörden bei der Tabakkontrolle. «Die Tabakpolitik in der Schweiz tritt auf der Stelle und verschlechtert sich damit im Vergleich mit Europa und der Welt», ärgert sich Thomas Beutler, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Arbeitsgemeinschaft Tabakprävention. Nicht einmal dem WHO-Anti-Tabak-Abkommen sei die Schweiz beigetreten.
Er und auch andere Anti-Tabak-Experten wie Pascal Diethelm vom Verein Oxy Romande vermuten, dass die Schweizer auf einen grossen Steuerzahler und Arbeitgeber Rücksicht genommen haben. Schliesslich arbeiten rund 13 000 Leute hierzulande im Tabaksektor, der pro Jahr 6,5 Milliarden Franken Wertschöpfung generiert.
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