1.40 Franken Umsatz pro Jahr – Telefonkabine im Niemandsland
In Braggio im Calancatal steht ein öffentliches Telefon, das in 12 Monaten zweimal benützt wurde. Nun bringt Swisscom eine Reportage darüber – und verfolgt damit ein Ziel.

Die Swisscom hat auf ihrer Internetsite kürzlich eine Reportage veröffentlicht. Sie trägt den Titel «Die einsamste Telefonkabine der Schweiz» und erzählt in poetischen Worten deren traurige Geschichte. Es ist eine Geschichte, wie sie auch DVD-Player, Disketten oder Röhrenbildschirme erzählen könnten: einst begehrt, heute unnütz und überholt.
Die laut der Swisscom einsamste Telefonkabine steht in Braggio im Calancatal. Braggio ist nur zu Fuss oder per Seilbahn erreichbar. Früher sei die Telefonkabine das Zentrum des Dorfes gewesen, heisst es in der Reportage, beliebt bei verliebten Jugendlichen und anderen, die den Kontakt zur Aussenwelt suchten. Heute werde sie noch alle zwei Monate von einem Swisscom-Mitarbeiter gereinigt. Das sei häufiger, als sie benutzt werde. Durchschnittlich würden aus der Kabine zwei Anrufe pro Jahr getätigt. Dennoch stehe sie stolz und glänzend da, bis sie wohl eines Tages aus dem Dorf verschwinde.
Ein Artikel schützt die Kabinen
Die Swisscom hat die Reportage mit idyllischen Fotos bebildert und die Story breit gestreut. So erscheint sie dieser Tage als bezahlter Inhalt im Facebook-Feed zahlreicher Schweizerinnen und Schweizer. Doch was bezweckt das Telecomunternehmen mit der Reportage? Warum wird die Überflüssigkeit des eigenen Produktes hervorgehoben?
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Umsatz: 1.40 Franken im Jahr
Dass dies finanziell nicht lukrativ ist, liegt auf der Hand. Dem Swisscom-Text zufolge belief sich der Umsatz der Telefonkabine in Braggio in den letzten zwölf Monaten auf 1 Franken und 40 Rappen. Und es ist nicht das einzige der insgesamt 4096 öffentlichen Telefone, das kaum Umsatz generiert. Schweizweit gebe es mehr als 1000 Telefonkabinen, die über mehrere Tage hinweg unbenutzt blieben, teilt Swisscom-Mediensprecher Sepp Huber auf Anfrage mit.
Welche finanziellen Konsequenzen dies hat, gibt die Swisscom nicht bekannt. Klar ist jedoch, dass das Unternehmen gewisse Kabinen nicht weiterbetreiben würde, wenn es nicht müsste. Die Swisscom formuliert es anders: Man wolle das «Publifongeschäft am geänderten Kundenbedürfnis ausrichten».
Dabei sind ihr ab nächstem Jahr wohl keine rechtlichen Schranken mehr gesetzt. Denn die Telefonkabinen fallen vielleicht demnächst aus der Grundversorgung. Derzeit werden die Vernehmlassungsantworten zur Revision der Fernmeldeverordnung ausgewertet. Widerstand gegen die Aufhebung der Telefonkabinenpflicht gibt es kaum. Als einer der wenigen Teilnehmer kritisiert die Stiftung für Konsumentenschutz, dass der Schritt zu früh komme, weil noch nicht jeder ein Handy habe und die Mobilfunkabdeckung nicht überall ausreichend sei. Trotz vereinzelter Kritik: Das Vorhaben dürfte durchkommen.
Der Tod der Telefonkabinen naht
Damit wird ab der Vergabe der nächsten Konzession – gegen Ende 2017 – keine einzige Telefonkabine mehr per Gesetz betrieben werden müssen. Wie die Swisscom darauf reagiert, sei noch nicht bestimmt, da der Entscheid zur künftigen Grundversorgung noch ausstehe, heisst es. Das Telefonkabinensterben wird sich sich wohl weiter beschleunigen. Der Schluss liegt nahe, dass die Swisscom mit ihrer Reportage die Öffentlichkeit darauf vorbereiten will.
Ein Teil der Telefonkabinen wird jedoch auch diese Zeitenwende überleben: Denn nur gut 70 Prozent aller Telefonkabinen in der Schweiz gehören zur Grundversorgung. Die restlichen betreibt die Swisscom, obwohl sie per Gesetz nicht müsste. Das bedeutet, dass sie kostendeckend betrieben werden können. Denn einige Leute nutzen noch immer Telefonkabinen: Laut der Swisscom sind es etwa preisbewusste Leute, die ins Ausland telefonieren, Touristen und Notfall-Nutzer mit einem leeren Handyakku.
Wenn der Empfang ausfällt
Langfristig kaum überleben dürfte allerdings die Telefonkabine in Braggio. Vor einiger Zeit habe die Swisscom angefragt, ob man die noch brauche, sagt Rodolfo Keller, Präsident der Gemeinde Calanca, auf Anfrage. Damals sei die Handynetzabdeckung im Tal aber noch sehr schlecht gewesen. Daher habe man nicht auf die zwei Kabinen in der Gemeinde verzichten wollen. Mittlerweile sei der Empfang besser, die Swisscom habe aber nicht mehr nachgefragt. Völlig bedenkenlos würde Keller aber auch heute nicht auf die Kabinen verzichten. Falls der Handyempfang einmal ausfallen sollte, beispielsweise wegen eines Unwetters, dann wäre man auch heute noch froh um die Kabinen, sagt er.
Erstellt: 23.08.2016, 08:04 Uhr
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