80'000 Big Macs aus einem Rind
Die Coop-Tochter Bell beteiligt sich an einem Start-up, das Rindfleisch im Reagenzglas züchtet. Herkömmliches Fleisch soll ersetzt werden.
Für diesen Burger muss kein Tier sterben: Das niederländische Start-up Mosa Meat züchtet Rindfleisch im Labor. Bis 2021 will das Unternehmen die ersten kommerziellen Produkte auf den Markt bringen. Nun hat die Firma die nächste Finanzierungsrunde abgeschlossen und sich 7,5 Millionen Euro (rund 8,6 Millionen Franken) gesichert. Unter den Investoren ist auch die Schweizer Coop-Tochter Bell.
Mit dem kultivierten Fleisch entstehe eine Alternative für jene Kunden, die aus ethischen Gründen ihren Fleischkonsum hinterfragen, teilt das Fleischunternehmen mit. Für Vegetarier oder Veganer sei dies allerdings nichts: Kultiviertes Fleisch wird aus tierischen Zellen hergestellt, sagt Bell-Sprecher Fabian Vetsch. Mit der Entwicklung von künstlichem Fleisch könnte aber eine neue Bewegung entstehen: «Die Clean-Meat-Vegetarier», sagt Christine Schäfer, Foodtrendforscherin am Gottlieb-Duttweiler-Institut. Also Menschen, die zwar auf Fleisch verzichteten, bei solchem aus dem Labor aber eine Ausnahme machten.
Eine Probe: 80'000 Big Macs
Laborfleisch biete eine Möglichkeit, die steigende Nachfrage nach Fleisch auf nachhaltige Art und Weise zu decken, so Bell. Der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinigten Nationen (FAO) zufolge wird die weltweite Nachfrage nach Fleisch bis 2050 um 70 Prozent ansteigen. Diese Zunahme beim Fleischkonsum könne nicht mehr alleine durch die bestehenden Produktionsmethoden nachhaltig gedeckt werden, so Bell-Sprecher Vetsch.
Das Start-up Mosa Meat züchtet sein futuristisches Laborfleisch aus tierischen Zellen. Wenn Rindfleisch hergestellt werden soll, werden diese mittels Biopsie aus dem Muskel eines Rinds entnommen – unter Betäubung des Tieres. Die Zellen werden dann zusammen mit Nährstoffen und Wachstumsfaktoren in einen Bioreaktor gelegt, wo sie sich wie im Tier vermehren. Es entstehen Muskelfasern, die sich zu Fleisch komprimieren lassen. Aus einer Probe eines Rinds lassen sich Mosa Meat zufolge 800 Millionen Muskelstränge gewinnen: genug für die Herstellung von 80'000 Big Macs.
Dieses In-vitro-Fleisch ist echtes Fleisch, das sich dem Start-up zufolge unter dem Mikroskop nicht von Rind-, Schweine-, oder Pouletfleisch unterscheiden lässt. «Der biologische Prozess gleicht der Fleischerzeugung aus der Tierproduktion, nur wachsen die Zellen ausserhalb des Tierkörpers.»
Laborfleisch soll Fleisch komplett ersetzen
Im Labor kultiviertes Fleisch werde langfristig Fleisch aus dem Stall oder von der Weide vollständig ablösen, sagte Mosa-Meat-Gründer Mark Post zuletzt gegenüber dieser Zeitung. Dies, weil die herkömmliche Fleischproduktion dem Klima schade, die industrielle Tierhaltung ethische Fragen aufwerfe und die Nachfrage nach tierischer Nahrung nicht durch konventionelle Viehwirtschaft zu decken sei, ohne die Ernährungssicherheit infrage zu stellen.
Auch Trendforscherin Schäfer sieht die Entwicklung von Laborfleisch als Trend mit guten Zukunftsaussichten. Dieser laufe parallel zum global wachsenden Fleischkonsum: «Besonders in Ländern mit wachsendem Wohlstand, etwa Indien und China, steigt dieser an», so Schäfer. In der Schweiz und anderen entwickelten Ländern – besonders in urbanen Regionen – gehe der Trend derweil eher in Richtung bewusstem und reduziertem Fleischkonsum.
Kosten sollen sinken
Welche Produkte aus kultiviertem Fleisch in die Schweizer Läden kommen, könne man zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, sagt Bell-Sprecher Vetsch. Zunächst gehe es darum, das Verfahren für eine gross angelegte Produktion zu marktfähigen Preisen weiterzuentwickeln. Derzeit ist die Produktion noch relativ teuer: Mit der heutigen Technologie komme Mosa Meat auf einen Preis von 60 Franken pro Kilo Rindfleisch, sagte Gründer Post zuletzt. 2021 wolle er seine Rindfleischprodukte an europäische Restaurants zu einem Preis von 10 Dollar pro Burger verkaufen, sagte er dem «Wall Street Journal».
Derzeit ist die Produktion im Labor auch noch ressourcenaufwendig: Besonders die Reinigung der Bioreaktoren ist energetisch aufwendig. «Daher entwickeln wir sanftere Reinigungstechniken, die mit weniger Energie auskommen», so Post.
Gewinnwarnung
Ob Bells Investition in Mosa Meat in diesem schwierigen Umfeld eine Absicherung für die Zukunft ist, wollte Bell so nicht bestätigen. Neue Einnahmequellen könnte die Firma aber gut gebrauchen. Denn das Unternehmen hatte heute – etwas versteckt in der Mitteilung über die Investition in Laborfleisch – auch eine Gewinnwarnung herausgegeben. Im ersten Semester habe das Unternehmen weniger operativen Gewinn erzielt als im Vorjahr. Das Ebit reduzierte sich um rund 10 Millionen Franken. Grund seien das «dynamische Marktumfeld in der Schweiz und in Österreich».
Global steigt der Fleischkonsum zwar, in der Schweiz und vielen anderen Ländern verändern sich die Essgewohnheiten allerdings: Der Markt für Fleisch- und Charcuterieprodukte war hierzulande in den letzten Jahren leicht rückläufig. Das dürfte ins Gewicht fallen – denn trotz Auslandsexpansion stammt ein Grossteil des Umsatzes von Bell aus der Schweiz.
Convenience-Bereich stark ausgebaut
Der Einkaufstourismus sei in diesen Berechnungen zum Fleischkonsum allerdings nicht enthalten, gibt Bell-Sprecher Vetsch zu bedenken. Ob die Schweizer also tatsächlich weniger Fleisch konsumieren oder dieses einfach im grenznahen Ausland einkaufen, ist demnach unklar. Die Bell Food Group habe sich zudem breiter aufgestellt und seit vielen Jahren schon den ganzen Teller im Fokus, nicht nur das Fleisch, sagt Sprecher Vetsch.
Die Gruppe hatte in den letzten Jahren stark zugekauft – besonders im Convenience-Bereich. 2016 übernahm die Kette die Eisberg-Gruppe, einen Anbieter von Fertigsalaten und geschnittenen Früchten. 2017 kam die Hilcona AG dazu, die Vegiprodukte auf Basis von Gemüse, Käse und Weizen produziert, 2018 folgte Hügli, mit einem auf haltbare Produkte ausgerichteten Sortiment. Sowohl Eisberg wie auch Hilcona entwickelten sich Bell zufolge «sehr positiv».
So entsteht das Laborfleisch:
Animated video - cultured beef process from Sarah Lucas on Vimeo.
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