Höheres Rentenalter durch die Hintertür?
Die Pensionskasse der AZ Medien probt den Alleingang: Sie will das Rentenalter von 65 auf 66 Jahre anheben. Die Gewerkschaften fordern Garantien.

Für Doris Bianchi ist es «nur eine Frage der Zeit» gewesen, bis eine Pensionskasse den Beschluss fasst, das Rentenalter für Männer und Frauen über den gesetzlichen Rahmen hinaus zu erhöhen. Eine Anhebung des Frauenrentenalters auf 65 Jahre – über das geltende Renteneintrittsalter von 64 hinaus – hätten die Pensionskassen hierzulande «bereits in grossem Stil gemacht», sagt die stellvertretende Sekretariatsleiterin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB). Dass die Pensionskasse der AZ Medien jetzt einen Schritt weiter gehen und gemäss «SonntagsZeitung» ab 2018 das Pensionierungsalter in vier Schritten für alle Mitarbeitenden von 65 auf 66 Jahre ausdehnen will, hat die Gewerkschafterin bislang noch von keiner anderen Vorsorgeeinrichtung gehört.
Auch dem Pensionskassenverband Asip sind Beschlüsse nach dem Muster der AZ Medien «kaum bekannt», wie dessen Direktor Hans-Peter Konrad sagt. Er verweist auf die diesjährige Pensionskassen-Studie von Swisscanto, derzufolge bei rund 90 Prozent der Kassen das ordentliche Rücktrittsalter 65 für Männer gilt. Bei Frauen hingegen haben laut der Studie 32 Prozent der Kassen das Rücktrittsalter von den gesetzlichen 64 auf 65 Jahre angehoben. Dafür brauche es, so Konrad, «einen sozialpartnerschaftlich zu fällenden Entscheid des Stiftungsrats».
Freie Handhabe im überobligatorischen Teil
Gleiches gilt selbstredend für die Pensionskasse der AZ Medien – wobei der Asip keine Empfehlung zur Erhöhung des Rentenalters abgeben will. «Massgebend sind die konkreten Verhältnisse der einzelnen Pensionskassen», ergänzt Konrad. Der Stiftungsrat könne eine solche Massnahme aus demografischen, strukturellen, sozial- und gesellschaftspolitischen sowie branchenspezifischen Überlegungen beschliessen. Das Gesetz über die berufliche Vorsorge (BVG) erlaubt den Kassen, das Rentenalter in den Reglementen abweichend von der gesetzlichen Regelung festzusetzen, sofern die BVG-Mindestansprüche der Versicherten gewahrt bleiben.
Anders ausgedrückt: Nur im überobligatorischen Bereich – bei Einkommen ab 84’600 Franken oder bei anderen Abweichungen der obligatorischen beruflichen Vorsorge – können die Pensionskassen eigenständig das Rentenalter generell auf 66 Jahre oder das Frauenrentenalter auf 65 erhöhen; im obligatorischen Bereich hingegen müssen sie sich an die gesetzlichen Vorgaben halten. Dennoch verfügen die Kassen laut Doris Bianchi über einen grossen Handlungsspielraum. «Wenn sie im überobligatorischen Bereich das Rentenalter erhöhen, schenkt das gehörig ein», sagt die SGB-Vertreterin.
Das Vorpreschen der AZ-Pensionskasse zeigt aus ihrer Sicht «das ganze Malaise bei der Finanzierung der zweiten Säule». Auch wenn Bianchi den Schritt für «problematisch» hält, weil es auf diese Weise zu einer schleichenden Erhöhung des Rentenalters komme – aus Sicht einzelner Pensionskassen, die heftig unter Druck stünden, könne sie das Vorgehen nachvollziehen. Zumal es mit einer Erhöhung des Rentenalters möglich sei, den Umwandlungssatz weniger stark abzusenken als ursprünglich angenommen.
Beschäftigungsgarantie nicht durchsetzbar
Worauf Bianchi aber ganz grossen Wert legt: Wenn die Pensionskasse das Rentenalter über die gesetzliche Vorgabe hinaus erhöht, müssten die Beschäftigten im betreffenden Unternehmen auch eine Garantie dafür bekommen, dass ihr Arbeitsverhältnis entsprechend verlängert wird. «Der Arbeitgeber muss sich dazu verpflichten, die Mitarbeitenden weiter zu beschäftigen», betont die Gewerkschafterin. Ansonsten bestehe die Gefahr, dass die Anhebung des Rentenalters vollauf zulasten der Arbeitnehmer gehe.
Nach Meinung von Adrian von Kaenel, Mitinhaber der Anwaltskanzlei Streiff von Kaenel und Lehrbeauftragter an der Universität Zürich, ist indes eine derartige Beschäftigungsgarantie «rechtlich nicht durchsetzbar». Nichtsdestotrotz entspreche sie einem «Gebot der Fairness». Vorbildcharakter haben für den Arbeitsrechtler die Regelungen gewisser öffentlicher Pensionskassen, auch wenn er deren Beschlüsse zur Erhöhung des Frauenrentenalters auf 65 nicht vorbehaltlos billigt. Falls die betroffenen Mitarbeiterinnen dieser Kassen dennoch schon nach Erreichen des gesetzlichen Rücktrittsalters 64 in Rente gehen wollen, kommen sie laut von Kaenel in den Genuss grosszügiger Übergangsregelungen. Diese wiederum finanziere der Arbeitgeber dadurch, dass er jüngere Arbeitskräfte einstellen könne, die ihn deutlich weniger kosten.
«Nicht die schlechteste Idee»
Für den Unidozenten ist ein höheres Rentenalter «ganz sicher nicht die schlechteste Idee, solange eine Vorsorgeeinrichtung dadurch nicht ihre hausgemachten Probleme zukleistert». Die Langlebigkeit, so von Kaenel, sei eines der grössten Risiken in alternden Gesellschaften. Oberste Priorität habe deshalb, das System der Altersvorsorge nicht durch unseriöse Leistungsversprechen zu gefährden. Dennoch ist Asip-Direktor Konrad skeptisch, ob das Beispiel der AZ-Pensionskasse schon bald Schule machen wird. Zum einen sei der mit einem höheren Rentenalter verbundene Umsetzungsaufwand erheblich, weil die Pensionskasse ihre sogenannte Schattenrechnung (zur Berechnung der Mindestleistungen für ihre Versicherten) anpassen müsse.
Zum andern würden die meisten Kassen wohl erst die parlamentarischen Beratungen zum Projekt «Altersvorsorge 2020» abwarten, wie Konrad geltend macht. Diese Vorlage sieht unter anderem ein für Männer und Frauen gleiches Referenzalter bei 65 Jahren vor. Gleichzeitig ist der Asip-Vertreter überzeugt davon, dass «einseitige Massnahmen – wie zum Beispiel ein auch nur schrittweises Erhöhen des Rentenalters über die vorgesehenen 65 Jahre hinaus – im heutigen Umfeld beim Volk keine Mehrheiten finden».
(Tagesanzeiger.ch/Newsnet)
Erstellt: 12.12.2016, 16:37 Uhr
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