Bald Schluss mit Vorspulen bei der TV-Werbung?
Im Kampf um Werbegelder scheint es in der Schweiz zu einem überraschenden Schulterschluss zu kommen.

Die Funktion ist weltweit in dieser Form einmalig und beim Schweizer TV-Publikum beliebt: Das zeitversetzte Fernsehen, auch Replay-TV genannt. Niemand muss mehr das Abendessen herunterschlingen, um beim programmierten Start des Krimis dabei zu sein. Ein weiterer Vorteil von Replay-TV: Werbeblöcke können überspult werden.
Was für das Publikum ein Segen ist, ist für die TV-Anbieter ein Fluch: Sie fürchten um ihre Werbeerlöse. Nun zeichnet sich ab, dass es vermutlich im kommenden Jahr neue Regeln für das Replay-TV gibt. Einige Spots könnten dann nicht mehr überspulbar sein.
Derzeit laufen hinter den Kulissen Gespräche zwischen Vertretern der TV-Sender und den Sendeverbreitern, den Telecom- und Kabelnetzbetreibern. «Wir diskutieren die Frage, ob es technisch möglich ist, dass beim Replay-TV einige Spots sich nicht mehr überspulen lassen», sagt Stefan Flück, Leiter Rechtsdienst beim Verband Suissedigital, der die Interessen der Kabelnetzbetreiber vertritt. «Die Gespräche stehen noch am Anfang», sagt er.
Konsumentenschutz drohte mit Referendum
Rückblende: Ende vergangenen Jahres waren TV-Sender und die Sendeverbreiter arg aneinandergeraten. Auf Druck der TV-Stationen hatte die Rechtskommission des Nationalrats eine Änderung des Urheberrechts vorgeschlagen. Demnach sollten künftig die Anbieter von digitalen Programmen die Zustimmung der Sender für das Replay-TV einholen müssen. Ein Ende des Vorspulens der Werbung wäre die Folge gewesen. Die Stiftung Konsumentenschutz drohte mit einem Referendum. Am Ende lehnte der Nationalrat die Gesetzesänderung ab. «Das geschah, weil die TV-Verbreiter uns damals zugesagt hatten, mit den Sendern über eine einvernehmliche Lösung zu verhandeln», erklärt Nationalrat Matthias Aebischer (SP), der in der Rechtskommission sitzt.
Diese Gespräche werden nun geführt. Und die Sendeverbreiter sind bereit, den TV-Sender entgegenzukommen. Handlungsdruck gibt es auch dadurch, dass die Verwertungsgesellschaften den Tarif gekündigt haben, der die Basis für das Replay-TV ist. Rechtlich basiert das zeitversetzte Fernsehen auf dem Urheberrecht. Die zentral auf den Servern gespeicherten TV-Sendungen gelten nämlich als Privatkopie. Die Verwertung dieser Kopien ist in einem Tarif zwischen den Verwertungs- und Nutzungsgesellschaften geregelt. Es muss neu verhandelt werden.
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Wenn Werbespots bei Replay-TV unüberspulbar werden ...
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Laut Suissedigital-Jurist Flück ist fraglich, ob eine Ausweitung der Rückspulfunktion auf mehr als sieben Tage vom Urheberrecht gedeckt wäre. Laut Experten könnte ein möglicher Kompromiss so aussehen, eine neue Variante im Verwertungstarif einzuführen: Wer einen grossen Werbeblock im Film überspulen will, muss einen 30-Sekunden-Spot sehen. Danach würde der Film nahtlos weiter abgespielt, wie das heute bei Youtube der Fall ist.
Offen ist, ob die Zuschauerinnen und Zuschauer solche Änderungen beim zeitversetzten Fernsehen mitmachen. Aus diesem Grund plädiert Kaiser dafür, den Zeitraum des Replay-TV auf über sieben Tage auszudehnen. «Wenn man den Zuschauern zeigt, wie viel mehr Inhalt sie bekommen, wären sie meiner Meinung nach bereit, sich ganz kurze Spots anzuschauen», glaubt er. «Unser neuester Sender 6+ beweist das schon, Singlespots werden kaum geskippt.»
Nachdem sich Sender und Verbreiter im Streit um Replay-TV Ende 2018 gestritten haben, üben sich beide Seiten nun im Schulterschluss: «Wir Sender haben mit den Verbreitern die gleichen Gegner, es sind die Streaming-Angebote wie Netflix oder Amazon Prime», sagt Kaiser. «Wir sitzen im gleichen Boot», stimmt ihm Stefan Flück von Suissedigital zu. Im August soll es eine neue Verhandlungsrunde geben.
Ohne Werbung sinkt Programmqualität
Konsumentenvertreter sind skeptisch: «Die Zuschauerinnen und Zuschauer dürfen nicht schlechtergestellt werden», sagt Raffael Wüthrich von der Stiftung Konsumentenschutz. «Es darf keine Einigung auf dem Rücken der TV-Nutzer geben, damit die Anbieter weiter Profite machen können.»
Ohne Einigung könnten die TV-Zuschauer am Ende die Verlierer sein, warnt Andrea Werder von der Interessengemeinschaft Radio und Fernsehen. «Wenn die Sender immer weniger Einnahmen haben, so droht eine schleichende Verschlechterung des Programms.» Auch der Gesetzgeber verfolgt die Branchengespräche aufmerksam: Sollten TV-Sender und Verbreiter keine vernünftige Einigung erzielen, «so werden wir politisch aktiv», sagt Nationalrat Matthias Aebischer.
Erstellt: 26.07.2019, 09:03 Uhr
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