Volvos halbe Revolution
Die Elektro-Offensive des Autoherstellers wird getrieben von Angst vor Strafzahlungen wegen verschärfter Abgasnormen.

Wenn Marketing und Realität aufeinandertreffen, wird es manchmal verwirrlich. «Volvo setzt voll auf Elektrifizierung. Jedes ab 2019 neu eingeführte Volvo-Modell wird über einen Elektromotor verfügen», kündigte gestern der schwedische Autohersteller an, der seit 2010 dem chinesischem Autokonzern Geely gehört. Mit dieser Neuausrichtung läute Volvo «den Abschied von Fahrzeugen ein, die ausschliesslich mit einem Verbrennungsmotor bestückt sind». Das stimmt zwar alles, ist im Detail aber doch einiges komplizierter.
Voll auf der neuen Linie liegt Volvo mit der Absicht, zwischen 2019 und 2021 fünf neue Modelle mit reinem Elektroantrieb auf den Markt zu bringen. Drei der neuen E-Autos sollen als Volvo verkauft werden. Zwei Modelle sollen wahre E-Boliden sein, sodass sie auch mit einem Tesla S oder dem kommenden Stromer von Porsche mithalten können. Bis 2025 will Volvo eine Million reine Elektroautos verkaufen.
Alle alten, bestehenden Modelle von Volvo, die von einem Benziner oder einem Diesel angetrieben werden, sollen aber auch nach 2019 produziert und verkauft werden – sie werden nur nach und nach durch neue Modelle ersetzt. Wie viele Jahre das noch der Fall sein soll – oder wie hoch der Anteil der Autos mit reinem Verbrennungsantrieb an der Produktion über die nächsten Jahre sein soll, sagt Volvo indes nicht. Kurz: Diesel und Benziner spielen also vom Volumen her noch auf Jahre hinaus eine grosse Rolle. Eingestellt hat Volvo bislang nur Investitionen in neue Dieselmotoren.
Wie gut ist die Ökobilanz?
In andere Modelle baut Volvo neu lediglich zusätzlich einen E-Motor ein – als Zweitantrieb neben dem klassischen Verbrennungsmotor. Solche Hybridautos wird Volvo in grosser Zahl anbieten – als Plug-in-Hybrid, der sich extern etwa an einer Steckdose oder einer Ladesäule aufladen lässt – oder als Mildhybrid, der elektrisch anfährt und beim Fahren oder Bremsen die Batterie lädt.
Ein «Auslaufmodell» sei demnach, genau betrachtet, bloss der «klassische Verbrennungsmotor als alleiniger Antrieb», sagt Christian Bach, Abteilungsleiter Fahrzeugantriebssysteme bei der Empa. Verbrennungsmotoren, die zusammen mit einem Elektromotor als Hybridantrieb für Vortrieb sorgen, werde es noch längere Zeit geben. Bach vermutet den Hauptgrund für Volvos Offensive beim Geld. Die EU etwa verschärfe die Abgasnormen 2021 und 2030 in zwei Schritten erheblich, was «eine flächendeckende Hybridisierung» des Autoantriebs vorantreibe. Volvo wolle diese schärferen CO2-Vorschriften einhalten, «was nur mit viel mehr Elektro- und Hybridautos als heute möglich ist», erklärt Bach. «Wer die schärferen Vorgaben nicht einhält, wird hohe Strafgelder zahlen müssen.» Andere Autokonzerne würden daher bald ähnlich ehrgeizige Elektrifizierungspläne vorstellen.
Vorbehalte äussert der Empa-Antriebsspezialist auch punkto Umweltfreundlichkeit von Elektro- und Hybridautos. Diese stossen zwar weniger Treibhausgase aus. Ihr Verbrauch an Ressourcen für ihre Herstellung sei aber «deutlich höher» als bei herkömmlichen Autos, sagt Bach. «Wie gut ihre Ökobilanz insgesamt ist, hängt eben sehr davon ab, wie umweltfreundlich die Batterien und die verwendeten Energieträger wie Strom oder Gas produziert wurden.» Solche Schattenseiten würden viele bislang lieber ausblenden.
China macht es vor
Hinzu komme, dass Stromer und Hybridautos punkto Reichweite und Anschaffungskosten derzeit einzig «im gehobenen Segment der Mittelklasseautos und teuren Wagen konkurrenzfähig» seien. «Schwieriger ist es bei Kleinwagen oder Kompaktautos, wo die Kosten für Hybrid und Elektro, gemessen am Fahrzeugpreis, immer noch sehr hoch sind», sagt Bach. «Hier könnte ein Gasantrieb die Lösung sein.» Die Empa forsche unter anderem in diesem Bereich.
Solch Vorbehalten zum Trotz macht die Elektrifizierung für Volvo Sinn. Volvo produziert im gehobenen Autosegment, ähnlich wie BMW, Audi und Mercedes. Um auf solche Konkurrenten, die bisher eher zögerlich auf Elektroautos gesetzt haben, Druck auszuüben, setzt Volvo nun voll auf die Karte Geely – und auf den Riesenmarkt China.
Global gesehen ist derzeit weniger als jedes hundertste verkaufte Auto ein Stromer. China etwa setzt voll auf Elektromobilität, es werden hohe Subventionen für die Anschaffung von E-Autos gezahlt. Zudem erhalten in manchen chinesischen Grossstädten bald nur noch reine Elektroautos eine schnelle Zulassung. Nirgends ist derzeit ihr Markt so gross wie in China, wo letztes Jahr 265'000 reine Stromer verkauft wurden. Zum Vergleich: In ganz Europa waren es 110'000 Stück. Und Volvo-Besitzer Geely, der als einziger chinesischer Autokonzern Wagen in die USA exportiert, mischt in Chinas Riesenmarkt für E-Autos vorne mit. Zudem nimmt der Absatz von Stromern und Hybridautos inzwischen auch ausserhalb Chinas Fahrt auf. Wenn der seit 2013 zu beobachtende Trend anhalte, seien bis ins Jahr 2030 acht von zehn verkauften Autos – weltweit gesehen – entweder Stromer oder Plug-in-Hybride, rechnet die Branchenplattform EV-Volumes.com.
Doch Volvos Offensive birgt Risiken. Wie lange es dauert, bis Diesel und Benziner überflüssig sind, ist ungewiss. Ist das Timing falsch, verliert Volvo viel Geld, obwohl es auf den richtigen Trend setzt. Aber vielleicht haben sie Glück. Einzelne Experten denken nämlich, stetig verschärfte Abgasnormen würden bewirken, dass reine E-Autos herkömmliche Wagen mit Verbrennungsmotoren preislich schneller unterbieten könnten, als vielen in der Branche lieb ist.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch