Wo Abtreibungen kriminell sind
Gesetze zum Abbruch von Schwangerschaften bedrohen Millionen von Frauen-Leben.

Plötzlich wird das Unmögliche möglich. Nach dem Abstimmungserfolg in der Republik Irland wankt jetzt auch im britischen Nordirland das strikte Verbot des Schwangerschaftsabbruchs. Gestern hat das oberste britische Gericht festgehalten: Das nordirische Abtreibungsgesetz widerspricht klar den Menschenrechten. Zwar wiesen die Richter eine Klage gegen die bestehende Regelung dennoch zurück – aber lediglich aus formalen Gründen.

Dass nun eine Liberalisierungswelle über zwei der letzten Bastionen der Abtreibungsgegner in Europa schwappt, ist allerdings nur die bequeme Hälfte der Wahrheit. In einigen Ländern gibt es starke Tendenzen, das Rad wieder zurückzudrehen. Vor allem aber lebt der Grossteil der Frauen in Afrika, Südamerika und Asien nach wie vor unter drakonischen Abtreibungsverboten. Und das hat tödliche Folgen.

Kulturkrieg um die Abtreibung
In Dublin tanzte das Volk vor einer Woche auf der Strasse, man jubelte und lag sich in den Armen. Statt dem bestenfalls erwarteten Zittersieg hatte die Lockerung eines der striktesten Abtreibungsverbote Europas an der Urne einen überwältigenden Erfolg erzielt.
Leo Varadkar, der 39-jährige schwule Premier, sprach von einer «Zeitenwende». Zu Recht. Das Land, das von einem besonders autoritären Katholizismus geprägt ist, hat nach der Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe nun auch in der Abtreibungsfrage den Anschluss an die gesellschaftliche Moderne gefunden. Die Regierung in Dublin will bis Ende Jahr ein Gesetz erlassen, das Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche ermöglicht.
Dem Entscheid war eine Abstimmungskampagne vorangegangen, bei der sich die durch Skandale geschwächte katholische Kirche Irlands zurückgehalten hatte. Umso eifriger aber schalteten sich religiös motivierte Abtreibungsgegner aus anderen Ländern ein. Die Debatte verlief entlang der Frontlinien eines Kulturkriegs, der seit Jahren international mit aller Härte tobt: Der Schutz des ungeborenen Lebens gegen die Selbstbestimmung der Frau.
Der Kulturkampf tobt zurzeit auch anderswo, allerdings unter umgekehrten Vorzeichen: Polen, wo bis 1993 der Schwangerschaftsabbruch erlaubt war, hat die Prozedur unter dem Einfluss des polnischen Papstes Karol Wojtyla wieder kriminalisiert. Nun will die rechtskonservative Regierungspartei PIS die ohnehin schon extrem restriktive Regelung weiter verschärfen.
Die USA kennen seit einem Grundsatzurteil des Obersten Gerichts 1978 ein relativ liberales Abtreibungsrecht. Religiös motivierte Anstrengungen, mindestens auf der Ebene der einzelnen Bundesstaaten restriktivere Regelungen durchzusetzen, sind bisher in aller Regel gescheitert. Das könnte sich aber ändern, wenn die Gerichte im gegenwärtigen politischen Klima durchgehend mit mehr konservativen Juristinnen und Juristen besetzt werden.
Restriktive Entwicklungsländer
Der schärfste Gegensatz bei der Regelung des Schwangerschaftsabbruchs besteht aber zwischen Nord und Süd. Im Gegensatz zu den meisten Ländern im hoch entwickelten Norden hat ein Grossteil der Entwicklungsländer auf der Südhalbkugel sehr restriktive Gesetze. Dahinter stecken religiöse und kulturelle Gründe, die von Land zu Land variieren – aber im Endeffekt zu einem weltumspannenden Graben führen.
Allerdings zeigen alle Statistiken und Untersuchungen, dass strikte Abtreibungsgesetze die Zahl tatsächlich vorgenommener Abtreibungen nicht verkleinern. Eher im Gegenteil: Während sich in den entwickelten Regionen der Welt im Lauf der Liberalisierungsphase seit 1990 die Zahl der Abtreibungen praktisch halbiert hat, verharrt sie gemäss Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation in den Entwicklungsländern praktisch auf dem gleichen Niveau.

Gut zeigen lässt sich der Effekt auch für die Schweiz: Die Liberalisierung von 2002, als das Volk Abtreibungen bis zur zwölften Schwangerschaftswoche landesweit legalisierte, hat zu keiner Zunahme bei den Schwangerschaftsabbrüchen geführt. Mit ihrer liberalen Gesetzgebung gehört die Schweiz heute zu den Ländern mit den tiefsten Abtreibungsraten weltweit: 6,3 Abbrüche kommen hierzulande auf 1000 Frauen im gebärfähigen Alter.
«Verbote hatten noch nie einen Einfluss darauf, wie häufig Abtreibungen vorkommen», sagt Christian Fiala, ein auf das Thema spezialisierter Arzt in Wien. Und er fährt fort: «Aber sie haben einen Einfluss auf die Umstände, unter denen sie stattfinden».
Untersuchungen bestätigen diesen Befund. Fast die Hälfte der 56 Millionen Abtreibungen weltweit finden laut dem renommierten Guttmacher-Institut unter unsicheren Bedingungen statt, und davon praktisch alle in Entwicklungsländern: Frauen in Afrika, Südamerika und Asien beenden ihre Schwangerschaft mit Gift und spitzen Gegenständen oder lassen sich von Quacksalbern behandeln. Mit tödlichen Folgen: Weltweit sterben 47'000 Frauen pro Jahr in der Folge unsachgemäss vorgenommener Abtreibungen, davon die meisten ebenfalls in Entwicklungsländern.
Irland macht das Unmögliche möglich. Der wahre Fortschritt müsste aber im unterentwickelten Süden stattfinden.
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