Wo in Zürich Tempo 30 ausgebremst wird
Die Stadt muss ihre Einwohner vor Verkehrslärm schützen. Doch 83 Einsprachen der Automobilverbände blockieren die Temporeduktionen.

Am nächsten Montag endet die Einsprachefrist gegen den Abschluss der stadtweiten Strassenlärmsanierung, den das Tiefbauamt im «Tagblatt» vor einem Monat ausgeschrieben hat. Darin werden knapp 40 Strassenabschnitte genannt, für die die Stadt Sanierungserleichterungen beantragt. Sie will sich dort der Pflicht entheben, die Grenzwerte der Lärmschutzverordnung einzuhalten. Es handelt sich um Abschnitte von stark befahrenen Strassen wie Am Wasser, Glattalstrasse, Überland-, Wehntaler- oder Winterthurerstrasse. Auch auf der Rämistrasse vor dem Universitätsspital können die Grenzwerte nicht eingehalten werden, obwohl dort künftig mit Tempo 30 gefahren werden soll.
Entlang dieser 40 Strassenabschnitte werden insgesamt 860 Liegenschaften übermässig beschallt. Dort sind wegen der engen Platzverhältnisse weder Lärmschutzwände möglich, noch bringen die geplanten Temporeduktionen den erwünschten Erfolg. Anders formuliert, bedeuten Sanierungserleichterungen, dass den betroffenen Anwohnern und Beschäftigten die Duldung des übermässigen Lärms auferlegt wird, was gemäss Bundesgericht in Sonderfällen rechtens ist. Was bleibt, ist der Einbau von Schallschutzfenstern.
Infografik: Weniger Strassenlärm durch Geschwindigkeitsreduktion

Die Zeit drängt
In Zürich sind rund 130'000 Einwohnerinnen und Einwohner einem Strassenlärm ausgesetzt, der über den Grenzwerten der eidgenössischen Lärmschutzverordnung liegt. Die Gemeinden und Kantone sind zur Lärmsanierung verpflichtet; ab April 2018 gibt es für Massnahmen keine Bundesgelder mehr.
Das Umweltschutzgesetz schreibt vor, als Erstes Massnahmen an der Quelle zu ergreifen. Temporeduktionen stellen eine solche Massnahme dar. Sie reduzieren die Lärmbelastung bei den angrenzenden Häusern um 2,5 bis 3 Dezibel, was in der Wahrnehmung etwa der Halbierung der Verkehrsmenge entspricht. Weiter ist Tempo 30 kostengünstig und beeinträchtigt das Ortsbild nicht, wie es Lärmschutzwände tun.
In den Quartieren der Stadt Zürich gibt es Tempo 30 seit langem, eingeführt, um die Sicherheit und die Lebensqualität zu erhöhen. Jetzt aber geht es um Tempo 30 als Lärmschutz, auch auf überkommunalen Strassen. Von Oktober 2011 bis November 2015 veröffentlichte die Stadt die «akustischen Projekte»: Stadtkreis für Stadtkreis hat sie die Temporeduktionen ausgeschrieben. Den Anfang machte der Kreis 2, den Schluss bildeten die Kreise 1, 4 und 5. Zusammen waren es über 100 solcher Ausschreibungen im Zürcher Amtsblatt, verfasst vom Vorsteher des Sicherheitsdepartements.
Strassenabschnitte mit hohem Abklärungsbedarf oder bevorstehenden Umbauten waren von der kreisweisen Lärmsanierung ausgenommen. Ein Teil davon wurde vor einem Monat im «Tagblatt» nachgereicht, darunter die Hofacker-, die Klosbach- oder eben die Rämistrasse auf der Höhe der Universität und der ETH. Für über ein Dutzend Strassenabschnitte liegt noch kein Projekt für den Lärmschutz vor.
ACS und TCS auf der Bremse
Wenn Tempo 30 keine Auswirkungen auf den Verkehrsfluss in der Region hat, darf die Verlangsamung von der Stadt in eigener Kompetenz signalisiert werden. Die Einwilligung des Kantons braucht es, wenn Temporeduktionen auf Stadtgebiet Auswirkungen über die Stadtgrenze hinaus haben.
Die Automobilverbände ACS und TCS lehnen Tempo 30 auf Hauptstrassen grundsätzlich ab und haben gegen jede Ausschreibung im Rahmen der Lärmsanierung Rechtsmittel eingereicht. Sie bezweifeln die Wirksamkeit von Tempo 30 und die Werte im Lärmkataster. Weiter berufen sie sich auf das Strassenverkehrsgesetz, wonach eine abweichende (tiefere) Höchstgeschwindigkeit innerorts nur für besondere Fälle statthaft sei, während die Stadt die Ausnahme zur Regel mache.
Derzeit sind 83 Strassen und Strassenabschnitte aus dem Lärmsanierungsprogramm mit Rechtsmitteln belegt. Bereits rechtskräftig und umgesetzt sind einige Temporeduktionen von 60 auf 50: Allmendstrasse, Seestrasse/Mythenquai, Soodstrasse, Badenerstrasse zwischen Farbhof und Stadtgrenze oder Europabrücke.
Bürgerliche empfehlen manchmal Flüsterbeläge als Mittel zur Lärmsanierung. Doch spielen diese für die Stadt keine Rolle. Ein Bericht des Bundesamts für Strassen und des Bundesamts für Umwelt kam 2007 zum Schluss, dass offenporige Beläge für den Verkehr innerorts untauglich sind. Je grobporiger und damit lärmschluckender die Beläge sind, desto heikler sind sie im Einbau und desto empfindlicher auf Druck, auf häufiges Abbremsen und Beschleunigen, auf Temperaturunterschiede – und desto schneller verstopfen die Hohlräume. Semidichte Beläge sind gemäss Bericht besser geeignet, aber teurer im Einbau und müssen fünf bis zehn Jahre früher ersetzt werden als konventionelle Beläge. Die Stadt setzt deshalb weiterhin auf dichte Beläge – abgesehen von einigen Teststrecken mit erhöhtem Hohlraumgehalt, wo die Abnutzung und die Akustik langfristig untersucht werden.
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