Wo ist das Jungblut der Schweizer Wirtschaft?
Der Tech-Boom macht die Wirtschaftswelt immer jünger – die Verwaltungsräte bleiben grau. Warum das gefährlich ist.

Acht Jahre lang stand Barack Obama an der Spitze des mächtigsten Landes der Welt. Er ist weltgewandt, ein Sympathieträger, bestens vernetzt und führungserprobt. Damit ist er der Traumkandidat eines jeden Unternehmens für den Verwaltungsrat. Und doch wäre der Mann aus Chicago zugleich ein Exot. Er ist mit 55 Jahren sehr jung. Die Mitglieder in Aufsichtsgremien weltweit sind deutlich älter als Obama. In der Schweiz sind sie im Durchschnitt 59 Jahre alt.
Die Wirtschaftswelt ist durch den Technologieboom jünger geworden. Unter 30-Jährige sind an Konzernspitzen keine Seltenheit mehr. Der 26-jährige Evan Spiegel beispielsweise hat kürzlich sein Snapchat mit einem Wert von 24 Milliarden Dollar an die Börse gebracht. Facebook-Chef Mark Zuckerberg ist mit 32 Jahren schon eine feste Grösse unter den wichtigsten Managern.
Alter hat auch Vorteile
An den Aufsichtsgremien ist diese Verjüngung vorbeigegangen. Das Durchschnittsalter von Schweizer Verwaltungsräten blieb in den letzten acht Jahren stabil, wie eine Analyse des Rekrutierungsunternehmens Guido Schilling der 120 grössten hiesigen Unternehmen zeigt. Während es in den meisten Berufen schwierig ist, nach 50 noch eine neue Stelle zu bekommen, wird man für Verwaltungsräte offensichtlich erst dann langsam interessant – wohl weil Ü-50er sich tendenziell im Kreis von Ü-50ern am besten auskennen.
Das vorgerückte Alter hat durchaus Vorteile. Ältere Menschen können auf eine lange Karriere zurückblicken, in der sie viele unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben. Sie haben Booms erlebt und Krisen, Fusionen mitgemacht und Entlassungen durchziehen müssen. Das hilft, Situationen besser einzuschätzen. Zudem zeigen wissenschaftliche Studien, dass Menschen im Alter weniger emotional entscheiden. «Geistige Verlangsamung ist ein ganz normaler Vorgang im Rahmen des Alterns», schreibt Managementprofessorin Wändi Bruine de Bruin von der Universität Leeds in einem Fachbeitrag. «Aber es muss nicht den Entscheidungsprozess hemmen.» Fehlende Geschwindigkeit wird durch Erfahrung aufgewogen.
65 ist das neue 55
Nicht umsonst heisst es auch, 65 sei das neue 55. Ältere sind heute fitter denn je. «Wir altern tatsächlich langsamer», sagt Christoph Englert, Professor für Molekulare Genetik am Leibniz-Institut für Altersforschung. Das liege an der besseren Ernährung und den Fortschritten in der Medizin. Zudem hätten Menschen früher häufiger körperlich gearbeitet. Bei der Einführung der AHV im Jahr 1948 lag die Lebenserwartung eines Mannes bei 65,1 Jahren und damit nur knapp über dem festgelegten Rentenalter. Heute leben Schweizer Männer im Schnitt 80,7 Jahre lang.
Dass Alter an den Unternehmensspitzen gefragt ist, scheint daher logisch. Doch der Fokus auf Ü-50-Verwaltungsräte ist gefährlich. Angeeignetes Wissen hat eine Halbwertszeit. Sein Nutzen sinkt über die Jahre. Dies gilt umso mehr in Zeiten schnellen Wandels wie der laufenden Technologierevolution. Zudem nehmen analytische Fähigkeiten ab. So hat eine Studie von US-Finanzprofessor Sumit Agarwal und Kollegen ergeben, dass Menschen nach 53 Jahren schlechtere finanzielle Entscheidungen treffen.
Der Jüngste bei Nestlé ist 60
Insgesamt ist aber weniger das Durchschnittsalter ein Problem, sondern die Zusammensetzung der Gremien. So ist das jüngste Mitglied im Verwaltungsrat der UBS 52 Jahre alt, bei ABB sind es 54 Jahre, bei Nestlé gar 60 Jahre. Gesunde Durchmischung sieht anders aus. Gremien riskieren so, zentrale Entwicklungen nicht mitzubekommen. Zudem laufen sie Gefahr, den Kontakt zu neuen Kundengruppen zu verlieren. «Ältere Verwaltungsräte punkten zwar mit Wissen, jüngere bringen aber neue Perspektiven ein. Das darf nicht unterschätzt werden», schreibt Führungsexperte Johan Erasmus vom Beratungsunternehmen Deloitte in einem Fachbeitrag.
Hinzu kommt, dass eine breite Durchmischung – egal ob nach Herkunft, beruflichem Hintergrund, Geschlecht oder Alter – generell Risiken vermindert. Homogene Gruppen tendieren zu ähnlichen Denkmustern und übertriebener Einmütigkeit. Die Wissenschaft nennt das Phänomen Groupthink. Eine Studie der amerikanischen Wake Forst University fand denn auch heraus, dass besser durchmischte Verwaltungsräte risikoaverser sind. Sie geben weniger Geld für Übernahmen und Investitionen aus. Das Resultat lässt sich gemäss den Forschern an der Börse messen. Die Aktien dieser Firmen sind viel weniger anfällig für extreme Kursschwankungen.
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