Wo Samsung der Apple Watch voraus ist – und wo nicht
Die neue Galaxy Watch kann fast alles und kommt ohne Google-Software aus. Wir haben sie im Alltag getestet.
Man kennt es aus dem Bekanntenkreis: Ein Paar trennt sich, und alle ausser dem Paar finden es schrecklich. «Die haben doch so gut zusammengepasst!» In der Tech-Welt gibt es das auch. Die Rede ist von Google und Samsung. Die zwei Tech-Konzerne haben zusammen Android zum dominierenden Betriebssystem gemacht. Samsung lieferte die Handys. Google die Software.
Von so einer Partnerschaft kann heute keine Rede mehr sein. Ja, sie arbeiten gelegentlich noch zusammen und arrangieren sich. Aber Google baut nun eigene Handys, und Samsung baut Android nach Belieben um.
Nirgends ist der Bruch aber deutlicher sichtbar als bei den Uhren. Als Samsung 2013 mit der Galaxy Gear die erste Smartwatch vorstellte, lief darauf eine umgebaute Variante von Googles Android. In der Folge entwickelte Google Android Wear, ein Betriebssystem speziell für Uhren. Samsung steuerte mit der Gear Live eine Uhr zum Projekt bei.
Doch als die Software im Sommer 2014 fertig war und die Uhr auf den Markt kam, hatte sich Samsung bereits umentschieden. Statt Android sollte auf den eigenen Uhren künftig die hauseigene Tizen-Software laufen. Die Gear 2 machte im Februar 2014 den Anfang. Der Ausdruck «Galaxy» wurde aus dem Namen gestrichen, da er zu sehr nach Googles Android klang.
Jeder für sich
Während sich langsam abzeichnete, dass die Apple Watch ein Erfolg würde, arbeitete jeder der einstigen Partner mit überschaubarem Erfolg an seiner Plattform weiter. Google setzte auf neue Partner aus der Uhrenwelt und taufte «Android Wear» dieses Jahr in «Wear OS» um.
Samsung versuchte in der Folge verschiedene Uhrendesigns. Erst kantige, dann ein Mini-Handy fürs Handgelenk. Im Herbst 2015 schliesslich stellte der Konzern mit der Gear S2 die erste runde Smartwatch mit drehbarer Lünette vor. Am Konzept hat der Konzern seither festgehalten. Trotzdem gab es immer wieder Gerüchte, der Konzern würde den Software-Alleingang beenden und zurück auf den Google-Kurs einschwenken.
Galaxy statt Gear
Als diesen Sommer durchsickerte, dass die neue Uhr nicht mehr Gear, sondern Galaxy Watch heissen würde, schien der Fall klar und das Google-Comeback besiegelt. Doch Fehlanzeige. Die neue Galaxy Watch nutzt weiterhin Samsungs eigenes Tizen. Name hin oder her.
Somit war klar, die Galaxy Watch ist eine Weiterentwicklung der Gear S2 von 2015 und kein Neustart. Name hin oder her.
Doch wie schlägt sich die Galaxy Watch im Alltag? Was macht sie besser als ihre Vorgänger? Und vor allem: Ist es Samsung gelungen, die Tizen-Software, die grösste Schwachstelle früherer Uhren, aufzupolieren?
Weiterentwicklung statt Neustart
Trägt man die neue Galaxy Watch (ab 300 Fr.) im Alltag, ist sofort klar, dass es sich bei Galaxy Watch, wie vermutet, um eine Weiterentwicklung der runden Gear-Uhren handelt. Design und Bedienung unterscheiden sich kaum. Bedient wird die Uhr über zwei Tasten, die drehbare Lünette und den Touchscreen.
Die Bedienung über die Lünette ist anfangs etwas gewöhnungsbedürftig, da nicht immer klar ist, ob man, um runterzuscrollen, nach links oder rechts drehen soll. Wer aber früher schon eine ähnliche Samsung-Uhr hatte, fühlt sich sofort zu Hause.
Ausdauer und Unabhängigkeit
Die grossen Highlights der Uhr sind der mehrere Tage durchhaltende Akku, die Möglichkeit, per LTE selbstständig ins Handynetz zu gehen und die Tatsache, dass sie mit iPhones und Android-Geräten funktioniert. Insbesondere Letzteres ist ein Kunststück, das Apple bis heute nicht fertigbringt oder wohl eher nicht fertigbringen will.
Auch beim Akku könnte sich die ganze Google- und Apple-Konkurrenz ein grosses Stück abschneiden. Wear-OS- und Apple-Uhren müssen in der Regel nach etwa 24 Stunden wieder aufs Ladegerät. Die Samsung-Uhr hielt im Test mehrfach doppelt so lang oder länger durch.
Selbst wenn die Uhr direkt mit dem LTE-Netz (und nicht via Bluetooth und ein Handy) verbunden ist, hält der Akku gut einen Tag durch. Im Test kam es jedoch vor, dass die Uhr über Nacht vermutlich die Bluetooth-Verbindung zum Huawei-Handy verlor und dann per LTE unnötig viel Akku verbrauchte.
Schlaftracking ohne Zusatzapps
Ein nützlicher Nebeneffekt des ausdauernden Akkus ist die Möglichkeit, mit der Samsung-Uhr ohne Zusatzapps den Schlaf zu vermessen. Zur Erinnerung: Bei der Apple Watch geht das nur mit Drittapps.
Wie einfach oder kompliziert es ist, die verbaute eSIM zu aktivieren und die Uhr erstmalig mit dem Handynetz zu verbinden, konnten wir nicht ausprobieren, da die eSIM der Testuhr bereits aktiviert war.
Mittelgross und sehr gross
Beim Design hat Samsung nun endlich wieder zwei Grössen im Angebot. Für den Test hat uns Samsung das grössere Modell ausgeborgt. (Wohl nicht zuletzt, weil dort der Akku ausdauernder ist.) Persönlich hätte ich mich für das kleinere entschieden. Wobei auch das nicht gerade klein ist.
Besonders gefallen der runde Bildschirm und das Stahlgehäuse. Weniger gefällt, dass die Unterseite aus Plastik ist. Die grösste Enttäuschung ist jedoch das mitgelieferte lumpige Gummiarmband. Natürlich kann man das leicht gegen ein besseres tauschen, da Samsung auf den aus der Uhrenindustrie bekannten Armbandstandard setzt. Aber trotzdem lässt es die Uhr unnötig billig erscheinen. Kommt dazu, dass sich die meisten Kunden wohl kaum ein zweites Band zulegen.
Daher der Tipp: Gleich ein schöneres Band mitbestellen oder kaufen. Das kostet zwar nochmal ein bisschen was. Aber selbst ein Billigarmband aus dem Warenhaus (oder Internet) dürfte das Samsung-Gummibändeli in allen Belangen übertreffen.
Nerviges Gesurre
Eine weitere Nachlässigkeit betrifft den Vibra-Alarm. Der surrt so laut, dass am Morgen der Effekt eines geräuschlosen Weckers gleich wieder aufgehoben wird. Und dann ist da noch eine Kleinigkeit: Das mitgelieferte Ladedock hat einen altmodischen Micro-USB-Stecker. Und das in Zeiten, in denen sogar Apple mit dem iPad auf USB-C wechselt.
Man könnte fast meinen, Samsung sei auf so vielen Ladedocks früherer Uhren sitzen geblieben, dass sie nun erst die loswerden wollen, ehe es ein neues Design mit einem zeitgemässen Anschluss gibt.
Digitaler Kitsch oder Coolness-Faktor?
Ehe wir zur Software kommen, noch zwei Aspekte, die man entweder toll oder ziemlich albern finden kann. Ich dachte erst, ich hätte mich verhört, aber die Galaxy Watch tickt. Wenn der Bildschirm angeht, hört man ein Ticken, fast wie bei einer mechanischen Uhr. Geht der Bildschirm aus, hört auch das Ticken wieder auf.
In dieselbe Kategorie fallen die vorinstallierten fotorealistischen Zifferblätter. Sie imitieren den Look mechanischer Uhren. Teils sogar mit simulierten (wenn auch leicht ruckelnden) Reflexionen. Auch hier ein klarer Fall von Geschmacksache.
Immer bessere Software
Bei der Software fällt auf, dass Tizen Jahr für Jahr besser wird und alles einen polierteren Eindruck macht. Nur noch selten stösst man auf Elemente, die eindeutig für rechteckige Bildschirme entwickelt wurden. Diese Altlast früherer Smartwatches hat übrigens auch Googles Wear OS noch immer nicht komplett überwunden.
Besonders gefällt an der Galaxy Watch das automatische Sport- und Fitness-Tracking. Nur ein Beispiel: Wenn ich in den Zug steige, gratuliert mir die Samsung-Uhr zu meinem kurzen Spaziergang, während die Apple Watch höchstens fragt, ob sie einen Spaziergang aufzeichnen soll. Hier ist Samsung anderen Smartwatches einen Schritt voraus.
Aber noch immer begegnen einem so viele unnötig komplizierte oder unelegante Elemente. Mein Lieblingsbeispiel war schon vor zwei Jahren beim Test der Gear S3 die viel zu komplizierte Wecker-App von Samsung. Das Video zeigt die vielen Schritte, die nötig sind, um einen lautlosen Wecker zu stellen:
Und zum Vergleich, dieselbe Aufgabe mit der Apple Watch:
Bei solchen Unachtsamkeiten wünschte man sich, Samsung und Google würden sich endlich zusammenraufen und alles daransetzen, mit vereinten Kräften der Apple Watch einen würdigen Konkurrenten entgegenzustellen. Längerfristig dürfte es sowieso auf einen Zweikampf hinauslaufen. Je früher man sich also zusammenrauft, desto besser.
Bei allen Unzulänglichkeiten und trotz mangelnden Interesses seitens von Googles Konzernstrategen hat Wear OS doch deutlich bessere Chancen als Samsungs Tizen zur Alternativ-Plattform aufzusteigen. Ausser es gibt noch eine Überraschung und Fitbit landet einen Überraschungshit – oder das für Ende 2018 angekündigte (aber wohl verspätete) Smartwatch-Betriebssystem der Swatch-Gruppe krempelt den Markt nochmals tüchtig um.
Trotzdem: Wer heute explizit eine Nicht-Apple-Smartwatch mit allem Drum und Dran (und vor allem LTE) möchte, macht mit der Galaxy Watch nichts falsch. Aber von Perfektion sind die Samsung-Uhr und vor allem die Tizen-Software immer noch einen grossen Schritt entfernt. Und falls sich Samsung dann doch für den Wechsel auf Wear OS entscheidet, könnte die eben gekaufte Uhr plötzlich ziemlich alt aussehen.
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