Würste statt Schmerzen
Fabian Cancellara besucht die Flandernrundfahrt als Ex-Profi. Und ist nun schon nach 85 Kilometern «kaputt».

Am Oude Kwaremont ist immer noch alles, wie es war. Der Fabian-Cancellara-Fanclub hat sich hier installiert, am zentralen Kopfsteinpflaster-Aufstieg der Flandernrundfahrt, wie er das in den vergangenen Jahren stets gemacht hat. Es ist ein wenig, als hätte den Leuten niemand mitgeteilt: Ihr Held, er fährt heuer nicht mehr mit.
Dafür hat er nun am Freitagabend Zeit für Würste. Das hat Tradition: Der Cancellara-Fanclub feiert den Beginn des «Ronde»-Wochenendes jeweils direkt an der Rennstrecke. Früher mit Raclette, heuer mit Würsten. Nun lässt es sich auch Cancellara nicht nehmen, da zuzulangen. Das Essensregime ist als Ex-Profi nicht mehr ganz so strikt wie einst.
Wie immer im Teamhotel
Dass sein Fanclub mit seinem Rücktritt nicht einfach aufgelöst würde, war sein Wunsch gewesen. Nun sind die Mitglieder also wieder nach Belgien gereist, und feiern «Vlaanderens Mooiste» – Flanderns Schönste – ganz generell. Und die Schweizer im Rennen ebenso.
Auch bei Cancellara ist noch einiges gleich wie in den vergangenen Jahren. Er wohnt wie jeden Frühling im Teamhotel von Trek-Segafredo am Rand von Brügge. Der einzige Unterschied: Als Ex-Profi hat er ein Zimmer für sich, muss es nicht mehr mit einem Teamkollegen teilen. Er wird sich auch aufs Rad setzen, zögert aber noch, ob er sich an die berühmten Rampen der Flandernrundfahrt wagen wird: im Rahmen des Volksrennens von heute, einen Tag vor den Profis. «Vielleicht gehe ich stattdessen auch mit meinen ehemaligen Teamkollegen ausfahren», sagt Cancellara, der versucht, sich am Ronde-Wochenende so viele Optionen wie nur möglich offenzulassen.
Er will sich damit auch einen gewissen (emotionalen) Puffer schaffen vor dem, was auf ihn zukommt. Denn Cancellara kennt den Enthusiasmus der belgischen Radfans. Doch jetzt ist er nicht mehr der Star, der sich im Teambus verstecken kann, der abgeschirmt wird. Jetzt wird er mitten unter ihnen sein.
«Wie werde ich einschlafen?»
«Es wird spannend, wie ich darauf reagieren werde. Wie werde ich am Samstag einschlafen im Wissen, dass am nächsten Tag dieses grosse Rennen folgt, bei dem ich immer Favorit war? Welche Gefühle werde ich haben, wenn es auf die letzten 50 Kilometer geht?», fragt er sich. Ansatzweise kennt er die Antworten, er hat diese Emotionen nun schon einige Male erlebt – bei den bisherigen Rennen, die einst zu seinen Saisonhöhepunkten zählten. Bei den Strade Bianche, Mailand–Sanremo oder dem E3 Harelbeke. «Ich merkte, dass auf den letzten Kilometern mein Pulsschlag deutlich höher war. Aber Wehmut, ein ‹Ich wäre jetzt gerne dort›, das spürte ich nie», sagt er. Dafür hatte er sich zu lange auf seinen Rücktritt vorbereitet, dafür ist er jetzt auch zu beschäftigt mit neuen Dingen, mit dem Einrichten seines neuen Lebens.
Er arbeitet weiter mit Trek zusammen, dem Hauptsponsor seines Ex-Teams, er reisst neue Projekte an, ist in diese involviert. «Ich will nicht nur meinen Namen hergeben», sagt er. Details? Mag er keine herausrücken: «Vieles wird in den nächsten Wochen öffentlich werden.» Zudem wird er am übernächsten Montag erstmals seit seiner Lehre als Elektriker wieder zur Schule gehen. Er hat sich an der Universität St. Gallen für eine Weiterbildung in Sportmanagement eingeschrieben. Darum verzichtet er auch auf einen Besuch von Paris–Roubaix, seinem anderen grossen Rennen. «Der erste Schultag ist mir wichtiger. Roubaix wird auch in Zukunft noch stattfinden», sagt Cancellara.
Namensgeber eines neuen Volksrennens
Sein Leben ist also ziemlich ausgefüllt. Sein wichtigster Schachzug? «Dass ich eine Assistentin engagiert habe. Überhaupt ist das die wichtigste Erkenntnis: Ich muss lernen, Sachen abzugeben.» Es läuft so viel bei Cancellara, dass er kaum Zeit findet, sich noch aufs Rad zu setzen: «Weil ich nicht mehr muss, sondern darf.»
Dass er deshalb nie mehr das Gefühl von einst erleben würde, in Topform über die Strasse und übers Pavé zu brettern, dessen war er sich bewusst. Trotzdem staunte er am vorigen Sonntag. Er ist Namensgeber des neuen Volksrennens des E3 Harelbeke, der «kleinen Flandernrundfahrt», die nun «Fabian-Cancellara-Classic» heisst. «Nach den 85 Kilometern war ich kaputt wie alle anderen Teilnehmer auch.» Es waren neue Gefühle, die er auf den gepflästerten Hellingen erlebte: «In diesen steilen Rampen tut es einfach weh, wenn man nicht mehr trainiert ist. Und dann schnaufst du oben und merkst: Die Lunge wird nicht mehr so strapaziert wie einst.»
Nicht wie die Profis, seine Ex-Kollegen, die am Sonntag 260 Kilometer auf dem Programm haben. Natürlich wollen nun alle vom dreifachen Flandern-Sieger wissen, wer denn gewinnen wird. Er sagt keine Wunderdinge, hat wie alle anderen auch Peter Sagan und Greg Van Avermaet zuoberst auf der Liste. «Natürlich hoffe ich auf einen Erfolg meines Ex-Teams. Aber vor allem freue ich mich, wenn es ein cooles Rennen gibt.» Eines, für das er nicht mehr leiden muss.
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