Zappend durchs Museum
#letsmuseeum sind schräge Führungen durch drei Zürcher Museen. Die Guides sind keine Experten, sondern Fans, und sie zeigen ihre Lieblingsobjekte. Wir waren im Kunsthaus dabei.

«Stellt euch vor, das Kunsthaus Zürich wäre ein riesig grosser Fernseher, und ihr könntet euch durchzappen», sagt unser Tourguide vor dem Höllentor. Es ist die erste Station in einer ungewöhnlichen Museumstour. Das acht Tonnen schwere Meisterwerk des Franzosen Auguste Rodin hat unser Museumsführer bewusst für seine persönliche Reise durchs Kunsthaus Zürich als Ausgangspunkt ausgesucht. Die 37 Jahre, die der Pariser Künstler in dieses gigantische Werk investierte, seien fast so lang wie sein eigenes Leben. «Unvorstellbar», sagt unser Guide, «und das Traurige daran: Er hat es nie fertig gesehen.»
Ob das nun der Grund dafür ist, dass unser Guide seine Tour mit einem Schluck Whisky beginnt, oder ob er das zufällig aus lauter Frauen bestehende Grüppchen nur ein bisschen auflockern will, sei hier das erste Geheimnis. Jedenfalls bekommen alle schon morgens um 10 Uhr vor dem Höllentor einen Shot Whisky eingeschenkt. Zum Zeichen der Ehrerbietung spricht der Guide einen Trinkspruch auf Auguste Rodin. Anstelle eines Applauses schnippen alle mit den Fingern.
Die Tour kann beginnen. Die Teilnehmenden zeigen sich trinkfest. Keine Spur von torkelnden Körpern Richtung Kunsthauseingang. Gestärkt und bereit für «unnützes Wissen, Absurdes und Dinge, mit denen du dein nächstes Date beeinflussen kannst», sagt unser einnehmender Guide. Bereit für Fakten, die uns bis zum heutigen Tag unbekannt waren.
Wir befinden uns auf einer #letsmuseeum-Tour. Unser Guide heisst Jean-Marc Nia und ist Redaktor beim «Züritipp». Seine Tour «Selbstmord, Geld und Olivenöl» soll durchaus Rätsel aufgeben. Der 45-Jährige ist «verliebt ins Kunsthaus, mag keine Picassos, dafür Frauen, die etwas richtig zu Ende bringen».
Von Sex bis Selbstmord
«#letsmuseeum ist für alle, die sich gerne kurz aus dem Alltag beamen wollen», sagt die Gründerin des Kultur-Start-ups, Rea Eggli. «Eine Inspirationsreise mit schnellen Schritten und bester Unterhaltung.» Fünf Guides mit fünf Touren in fünf Museen gibt es, davon drei in Zürich und zwei in Bern. Die Guides seien bewusst keine Experten, sondern Fans, die in ihrem Lieblingsmuseum Werke ausgesucht haben, die sie ansprechen. Die einzelnen Touren seien so unterschiedlich wie die Charaktere der Guides, drei Frauen und zwei Männer. Die Touren thematisieren Interessantes von Sex über Selbstmord bis Social Media und dauern rund 90 Minuten. Die Touren werden autonom entwickelt und realisiert, die Museen gewähren #letsmuseeum nur Gastrecht.
Ermöglicht wurde #letsmuseeum von Engagement Migros. Petra Miersch, Projektleiterin Engagement Migros, sagt: «Das amerikanische Beispiel zeigt eindrücklich, wie gute Geschichten Tausende von Menschen plötzlich zu Museumsfans machen. #letsmuseeum tritt den Beweis an, dass sich auch in der Schweiz noch mehr junges Publikum für Museen begeistern lässt.» Inspiriert und beraten wurde #letsmuseeum von «Museum Hack», 2013 in New York City gegründet. Die Firma bietet Touren in den bekanntesten Museen in New York, Chicago, Washington D.C., San Francisco und Los Angeles an.
In Zürich gehts im Kunsthaus nach Rodin in den Miró-Garten. Guide Nia hat viel recherchiert und bringt sein Wissen charmant an die Frau. Er weiss, weshalb das Werk trotz Zürichs kalten Wintern nicht längst auseinandergebröckelt ist. Aber wir wollen nicht alles verraten und folgen dem Guide weiter Richtung Warenlift. Zügig soll die Tour vorangehen, hat er während seiner Museumsguide-Ausbildung in New York gelernt. «Die Leute können ja wiederkommen und sich die Sammlung im Detail nochmals ansehen.» Und auch hier in Zürich gilt wie in der amerikanischen Metropole: Oberste Priorität soll die Unterhaltung haben.
«Leider ein Langweiler»
Auch die Liftfahrt nutzt Nia für eine Geschichte. Nur so viel: Es geht um einen Elefanten. Aber schon stehen wir vor seinem Lieblingsbild. Ein riesiger Helgen des Künstlers Franz Kline. Schwarze, eindrückliche Pinselstriche auf weissem Untergrund. In New York habe er zum ersten Mal ein Bild von Kline gesehen und sei hin und weg gewesen. «Das hat mich gekillt», sagt Nia in seiner eigenen Art. Er hätte uns gerne etwas Interessantes über den Erschaffer erzählt, «diesen mittelmässig bekannten Expressionisten», doch «leider war er ein Langweiler».
Zwischen den Werken erfährt die Gruppe, dass Nia bei «Lüthi & Blanc» für die Set-Requisiten zuständig war, und wird den Verdacht nicht los, ihm sei von den Schauspielerdarbietungen von damals das eine oder andere hängen geblieben, so wie ihm unnützes Wissen komischerweise immer am längsten bleibe, wie er selber sagt. Die Teilnehmenden geniessen seine humorvollen bis philosophischen Kommentare, wenn er sagt: «Steht dazu, wenn euch etwas gefällt, das vielleicht gefällig ist.»
Bald versammeln wir uns vor einem kleinen Raum, der eingerichtet ist wie die unaufgeräumte Werkstatt eines Chaoten. 17-mal sei er daran vorbeigegangen, sagt Nia, habe die Kammer des Künstler-Duos Peter Fischli und David Weiss nie wahrgenommen. «Unglaublich, jeder, der einen Blick riskiert, glaubt zuerst, das könnte er selber auch. Doch schaut man genauer hin, kommt man aus dem Staunen nicht mehr heraus.» Spannend wird es erst, wenn man das Geheimnis darin sucht. Aber das zu verraten, überlassen wir Nia.
«Henry Fuseli, der Geck»
Nias Anekdoten geben den Takt vor. Doch die Führung hat auch eine pädagogische Note. Ab und zu stellt er Aufgaben, die gelöst werden sollen. Die von ihm Geführten müssen mit ihren Handys fotografieren, Postkarten schreiben und Symbolen hinterherrennen. Dann führt er die Gruppe zu den mit Olivenöl gefüllten Kalksteinwannen von Joseph Beuys. Alle paar Jahre brauchen sie einen Ölwechsel. «Manche Museumsbesucher können ihre Finger nicht vom Öl lassen», erzählt unser Guide. Dabei stehe klar «Bitte nicht berühren» auf der Wand. «Aber leider nur auf Deutsch.»
Das absolut «gfürchigste» Bild für Nia ist die Darstellung des Rütlischwurs, ein gigantisches Werk von Johann Heinrich Füssli aus dem 18. Jahrhundert. Ein «eitler Socken» sei er gewesen, der Füssli, konnte stundenlang an seiner Perücke herummachen. «Zurück von einer Reise nach England, nannte er sich fortan Henry Fuseli, der Geck.» Nia setzt sich unters Bild, um zu demonstrieren, wie sehr er sich als Bub davon erschrecken liess. Die Gruppe setzt sich um ihn.
Vor den christlichen Werken beginnt Nia bei Adam und Eva, redet über Symbole wie Schneckenhäuser und Brillen mit kaputten Gläsern, ausgelöschte Kerzen, die Erbsünde und die todbringende Tugendhaftigkeit von Lukretia. Ja, unser Guide Nia ist sogar einem historischen Fehler auf die Spur gekommen. Eine Windmühle auf einem Bild, das eine Szene aus dem 12. Jahrhundert zeigen soll. «Damals aber», sagt er, «gab es noch gar keine Windmühlen.»
Die Idee ist das Zappen
Das Feedback zu seinen Beta-Touren sei bis jetzt durchwegs positiv ausgefallen. Zu Beginn habe sich jemand beklagt, er habe keinen roten Faden durch seine Führung. Aber die Idee sei ja gerade das «Zappen durchs Kunsthaus», sagt Nia. Und er meint dies nicht despektierlich, sondern nur anders im Zugriff. Er würde aus dem Kunsthaus Zürich nie einen Vergnügungspark machen wollen, «aber für meinen Geschmack dürften Museumsbesuche gerne weniger akademisch, dafür lockerer sein». Und dazu leistet Jean-Marc Nia seinen Beitrag.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch