Plädoyer der StaatsanwältinAn’Nur-Prozess: Anklage spricht von Mob-Verhalten
Neun Besucher der ehemaligen An’Nur-Moschee sollen zwei angebliche «Verräter» drangsaliert haben. Die Staatsanwältin sagte in ihrem Plädoyer am Dienstag Obergericht, die Beschuldigten hätten sich verhalten wie ein «Mob».

Für einen zum Tatzeitpunkt noch minderjährigen Beschuldigten gilt das Jugendstrafverfahren, er muss nicht vor Gericht erscheinen. Den zehn Männern wird vorgeworfen, am Abend des 22. November 2016 zwei andere Moscheebesucher festgehalten, bedroht und teilweise geschlagen zu haben. Einem der Besucher soll zudem eine Zehnernote in den Rachen gestopft worden sein, die er schlucken musste.
Der so Geschädigte fordert vor Gericht Schadensersatz und Genugtuung von insgesamt gut 100'000 Franken. Sein Anwalt sagte am Dienstag, sein Mandant habe eine posttraumatische Belastungsstörung davongetragen. In der Folge sei er für einige Monate weder studier- noch arbeitsfähig gewesen.
Verhalten wie ein «Mob»
Insgesamt habe es sich bei den Vorkommnissen um eine dynamische Situation gehandelt, die als Ganzes – und nicht als Einzelhandlungen – betrachtet werden müsse, sagte die Staatsanwältin.
Die Beschuldigten hätten sich gebärdet und verhalten wie ein Mob. Es habe sich um «Gruppendynamik in Reinkultur» gehandelt. Es sei allen Anwesenden darum gegangen, «Spione, Verräter an der eigenen Sache oder Informanten» zu erwischen und zur Rechenschaft zu ziehen.
Für den Imam, der von der Vorinstanz mit bedingter Geldstrafe bestraft worden war, und den freigesprochenen Vereinspräsidenten der Moschee forderte sie Freiheitsstrafen sowie Landesverweise. Den beiden wird vorgeworfen, die zwei Moscheebesucher gegen deren Willen im Büro festgehalten zu haben. Dazu hätten sie ein Geständnis erpresst und per Mobiltelefon aufgenommen.
Gemäss den Aussagen der Staatsanwältin geht es ihr auch darum, zu zeigen, dass Selbstjustiz einzelner Gruppen vom Schweizer Rechtssystem nicht toleriert wird.
Besucher machte widersprüchliche Aussagen
Zwei Rechtsvertreter machten geltend, dass die Staatsanwaltsschaft nach der «Pausenplatzweisheit» «mitgehangen – mitgefangen» argumentiere. Mehrere Anwälte wiesen zudem darauf hin, dass der auf Schadensersatz klagende Moscheebesucher während des Verfahrens widersprüchliche Aussagen gemacht habe.
Der Vertreter des Imams sagte, die zwei Moscheebesucher machten auf keinem der verfügbaren Bildern den Eindruck, «verprügelt» worden zu sein, vor allem nicht derart, wie sie es behaupteten.
Die zwei Moscheebesucher seien zudem nicht am Verlassen der Moschee gehindert worden. Ein andere Anwalt sagte, die Ringhörigkeit der – mittlerweile geschlossenen – Moschee könne ohne Augenschein vor Ort nicht als erstellt gelten.
Besucher haben «nie verlangt» Moschee zu verlassen
Die Beschuldigten sagten bei der Befragung durch das Obergericht am Montag, sie hätten nichts von den vorgeworfenen Tätlichkeiten gegen die zwei Moscheebesucher mitbekommen.
Der Imam beteuerte vor Gericht, die beiden hätten auch nie gesagt, dass sie die Moschee verlassen wollten. «Das haben sie nie verlangt.» Die Tonaufnahmen des Geständnisses sei zudem auf Wunsch eines der Moscheebesucher entstanden.
Die Beschuldigten wiesen die Vorwürfe gegen sie unter anderem als Lüge zurück. Was ihnen widerfahren sei, sei ungerecht, sagte einer. Ein anderer Beschuldigter nannte das Verfahren «Theater» und sich «Opfer».
Vorinstanz verhängte bedingte Strafen
Im Oktober 2018 hatte das Bezirksgericht sieben der beteiligten Männer im Alter zwischen 17 und 24 Jahren wegen Freiheitsberaubung, Nötigung und Drohung zu bedingten Freiheitsstrafen zwischen 6 und 18 Monaten verurteilt. Zwei der Männer – ein Mazedonier und ein Afghane – sollen zudem für sieben Jahre des Landes verwiesen werden.
Der Imam wurde nicht mit einer Freiheitsstrafe, sondern mit einer bedingten Geldstrafe von 180 Tagessätzen bestraft. Neben dem Vereinspräsidenten wurde ein weiterer junger Mann mangels Beweisen ebenfalls freigesprochen.
Das Zürcher Obergericht hat für das Berufungsverfahren fünf Tage eingeplant. Die letzten Plädoyers werden voraussichtlich jedoch am Mittwoch gehalten werden können. Die Urteile sollen im Oktober verkündet werden.
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