Zürcher Szenebeizer gibt Flaschenwurf am G-20-Gipfel zu
Jetzt spricht die Anwältin des 29-jährigen Schweizers, der in Hamburg verhaftet wurde.
Die Gewalt erfasst Hamburgs Strassen am 7. Juli. Sie tritt in Form schwarz gekleideter Gestalten mit Kapuzen und Schutzbrillen über den Augen auf. Wie Kampftrupps ziehen sie durch einzelne Quartiere, entzünden Strassenbarrikaden, plündern Geschäfte und greifen Polizisten an. Für einige Stunden verliert die Polizei die Kontrolle über die deutsche Hafenstadt. Bilder wie aus dem Bürgerkrieg fluten die Newssendungen in ganz Europa. Die G-20-Teilnehmer zeigen sich schockiert. Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz äusserte sich schon einen Tag später dahingehend, «dass die Gewalttäter, die wir gefasst haben mit sehr hohen Strafen rechnen müssen.»
Während all dies passierte, sass der Zürcher, der sich am Donnerstag vor dem Hamburger Amtsgericht verantworten muss, bereits in Haft. Die Polizei nahm den 29-Jährigen schon vor der eigentlichen Gewalteskalation um den G-20-Gipfel, am Rande einer friedlichen Tanzdemonstration in Haft. Der Vorwurf: versuchte gefährliche Körperverletzung und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen sowie einfache Körperverletzung. Der Zürcher soll zwei Flaschen auf Polizisten geworfen und bei einem anschliessenden Handgemenge einen Unbekannten geschlagen haben. Den Flaschenwurf bestreitet der Zürcher nicht, die Körperverletzung danach aber schon. Wie er dafür bestraft wird, entscheidet morgen das Gericht. Doch die öffentliche Meinung scheint bereits gemacht.
Morddrohung gegen Umfeld
Ende Juli berichteten erste Schweizer Medien über den Zürcher, auch die Deutsche «Bild» nahm die Geschichte auf. Das verpixelte Bild zum Artikel zeigte den Zürcher und seine Freunde in einem Szenerestaurant im Kreis 4, das der 29-Jährige mitbegründet hat. Den Rest taten ein lokaler Rechts-Politiker und Social-Media-Nutzer, die das Bild in unverpixelter Form weiterverbreiteten. Wer den Namen und Arbeitsort des Betroffenen wissen wollte, fand ihn per Suchmaschinen innerhalb von Sekunden.
Bildstrecke: Ein G-20-Gipfel, der auf der Strasse ausser Kontrolle geriet
Die Onlinebewertungen des Restaurants rasselten in den Keller: «Zum Essen gibt es nur Zecken und das schmeckt überhaupt nicht. Wenn man hier isst, unterstützt man die Antifa und deren Krawalltouristen!», schreibt ein gewisser Eizi Eiz und bewertet das Restaurant mit nur einem Stern. Auf Facebook war der Hass noch heftiger: «Drecks-G-20-Chaoten», «Auf der Tageskarte stehen fliegende Gehwegplatten» und «Hier werden Polizisten mit Molotowcocktails beworfen». In die Mail-Box des Restaurants flattert ein E-Mail. Absender: «Ein freudiger Nationalsozialist». «Ihr werdet haufenweise verrecken», steht darin. Über 200 Kommentare, Mails und Bewertungen prasseln auf das Lokal ein. Das Team beschliesst, die Sommerpause des Betriebs zu verlängern. «Wir waren schockiert», sagt ein Freund des Zürchers. Bisher wollten er und sein Umfeld nicht mit Medien sprechen. Da der junge Mann weitere Anfeindungen befürchtet, will er auch jetzt anonym bleiben. «Was passiert ist, ist ganz klar ruf- und geschäftsschädigend», sagt er.
Dass er und seine Freunde Teil der linksautonomen Szene seien, sei aus der Luft gegriffen. «Meine Freunde demonstrierten gegen G-20, weil es ihnen ein politisches Anliegen war», sagt er. Der Flaschenwurf seines Kollegen schätzt er als ungeplant und dem Alkohol geschuldet ein. Er selber sei nicht dabei gewesen. Der Beschuldigte hat eine Zeit lang in Hamburg gewohnt. Hinweise darauf, dass er tatsächlich nicht der Zürcher linksautonomen Szene angehört, gibt die Gruppierung «Revolutionärer Aufbau» selbst. Normalerweise solidarisiert sich die Gruppe auf einer einschlägigen Website mit ihren Verhafteten. Doch hier findet sich nichts über den Zürcher Beizer.
«Unverhältnismässige» Haft
Dieser sitzt seit der Tanzdemonstration vor 11 Wochen, an der zwischen 11'000 und 20'000 Menschen teilnahmen, in einer Einzelzelle. Von den rund 180 weiteren um den G-20-Gipfel verhafteten Personen, sind bis auf rund 30 alle wieder auf freiem Fuss. Der zuvor noch nie straffällig gewordene Zürcher darf in der Untersuchungshaft nur eine Stunde pro Monat telefonieren, zwei Stunden Besuch empfangen. Drei Stunden pro Tag darf er sich ausserhalb der Zelle aufhalten. Seinen zweiten Job neben dem Restaurant hat er verloren, seine dreijährige Tochter wartet auf ihren Vater.
Für seine Hamburger Anwältin Iris Killinger ist klar: «Mein Mandant muss als Sündenbock für die späteren Verwüstungen hinhalten.» Der Schweizer sei zuerst haftverschont worden, bevor das übergeordnete Gericht auf Beschwerde der Staatsanwaltschaft hin wieder die Haft anordnete. Die lange U-Haft bezeichnet Killinger als «vollkommen unverhältnismässig». Der Fall hätte, so die Anwältin, ohne weiteres per Strafbefehl, ohne öffentliche Verhandlung, erledigt werden können, da ihr Mandant die Flaschenwürfe eingeräumt und sich entschuldigt habe. Sie wirft der Staatsanwaltschaft und dem Oberlandesgericht andere Motive vor: «Hier wurde ein legaler Haftgrund nur vorgeschoben, in Wirklichkeit geht es um Abschreckung.»
Auch ein Vergleich mit der Schweiz verdeutlicht das harte Vorgehen in diesem Fall: Ein aus Deutschland angereister Randalierer, der am 1. Mai 2012 in Zürich zwei Flaschen gegen den Pressesprecher der Stadtpolizei warf, wurde innerhalb dreier Wochen per Strafbefehl zu einer bedingten Geldstrafe und einer Busse von 500 Franken verurteilt.
Die Hamburger Staatsanwaltschaft verteidigt sich: «Abschreckung ist kein Haftgrund», sagt Oberstaatsanwältin Nana Frombach. Im konkreten Fall seien die fehlende Auslieferungsmöglichkeit aus der Schweiz, fehlende soziale Bindungen in Deutschland und die hohe Straferwartung auschlaggebend gewesen. Dass der Zürcher eine ältere Schwester in Deutschland hat, reichte nicht als «soziale Bindung». Sie hat ihren Bruder in U-Haft besucht: «Er will im Moment einfach nur raus», sagt sie. Seine Tat relativieren, will sie nicht. «Doch ein neutrales Gericht soll darüber urteilen und nicht die Öffentlichkeit.»
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