Zürich bekommt gut versteckt einen neuen Stadtteil
Wohnungen für über 2000 Menschen, 3000 Arbeitsplätze, ein Hotel mit 600 Betten und eine neue Schule für 250 Kinder: Hinter dem Entlisberg wächst Zürichs neustes Quartier.
Es geht rasant voran in der Manegg. Manegg? Ja, in der Manegg, wo Autobahnen sich winden, Hunde ihre Halter ausführen und sich Industriebauten aneinanderreihen – zumindest bisher. Denn dort hinten, gut versteckt vom Entlisberg, entsteht ein neuer Stadtteil. In drei Jahren soll Greencity auf einem acht Hektaren grossen Landstück zwischen der Allmend und Leimbach in Zürich-Süd fertiggebaut sein.
13 neue Gebäude werden dereinst dort stehen, acht davon Wohnhäuser. Die Fläche der 731 Wohnungen umfasst 85'400 Quadratmeter – das entspricht in etwa der Grösse von 12 Fussballfeldern. Hinzu kommen drei Büro- und Dienstleistungsgebäude mit 3000 Arbeitsplätzen, ein Hotel mit 600 Betten und eine neue Schulanlage für 250 Kinder.
Im Juli ziehen die ersten Bewohner ein
Noch fällt es schwer, zu glauben, dass schon im Juli die ersten Bewohner einziehen werden. Zwischen den bereits fertiggestellten Genossenschaftshäusern versinkt man an einigen Stellen im Morast und muss Pfützen umgehen, auf denen locker ein paar Enten schwimmen könnten.
Im südlichen Baufeld in Richtung Leimbach klafft eine riesige Baugrube, wo bald die Siedlung Wolo stehen wird. Die Eigentumswohnungen des Gebäudes sind bereits seit einem Jahr ausverkauft, obwohl die Betonwände im Untergeschoss noch nicht trocken sind. Auch bei den drei Genossenschaften und der Stiftung Wohnungen für kinderreiche Familien, die mehrere Bauprojekte auf dem Areal umgesetzt haben, stapeln sich die Bewerbungen.
Von der Büro-City zur Greencity
Angesichts der enormen Nachfrage ist es heute kaum vorstellbar, dass die Stadt Zürich noch vor 13 Jahren für das Gebiet Manegg einen Wohnanteil von 5 Prozent vorgesehen hatte. Damals wollte man dort eine «Büro-City» bauen. Das Leitbild wurde jedoch überarbeitet und 2013 durch den Gestaltungsplan «GreenCity.Zurich» ergänzt, der den Wohnanteil je nach Parzelle auf bis zu 80 Prozent erhöht und eine Bebauung nach den Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft festlegt.
Der Gestaltungsplan und das überarbeitete Leitbild hat die Stadt Zürich gemeinsam mit der Losinger Marazzi AG ausgearbeitet, die das neue Stadtquartier entwickelt und die Umsetzung der Bauprojekte betreut. 2014 startete die Totalunternehmung mit dem Abbruch der ehemaligen Produktionshallen der Sihl-Papierfabrik auf dem Areal. Innert neun Monaten musste sie 33 Gebäude abreissen – und auch dabei war Nachhaltigkeit gefragt. 90 Prozent der Materialien wurden wiederverwertet. «11'500 Kubikmeter Recyclingkies haben wir beim Abbruch der alten Häuser gewonnen. Daraus konnten wir direkt vor Ort Recyclingbeton herstellen», sagt Alain Capt, Gesamtprojektleiter Greencity der Losinger Marazzi AG.
Capt lotst uns durch einen von zwei Zugängen zur Baustelle. 400 Arbeiter müssen täglich auf das Areal. Hinzu kommen 50 Projekt- und Bauleiter, die regelmässig ein- und ausgehen. Die Zutrittskontrollen sind streng. Ein Fingerabdruck-Scanner checkt die biometrischen Daten. Zugangsberechtigt ist nur, wer vorgängig eine Sicherheitsschulung absolviert hat und belegen kann, dass er über eine Arbeitsbewilligung verfügt. Eine Massnahme, um Schwarzarbeit zu verhindern, sagt Capt. Damit man sicheren Fusses durch die riesige Baustelle gelangen kann, gibt es schon jetzt eine Art Stadtplan für die Greencity, auf dem die Fahr- und Fusswege eingezeichnet sind. «Der Plan ändert sich allerdings jede Woche. Je nachdem, wo gerade gebaut wird», sagt Capt.
Gebaut wurde auch einmal rund um die Uhr in drei Schichten, erzählt der Projektleiter und zeigt auf eine Stelle in der Baugrube neben uns. «Sehen sie die Zufahrt zur unterirdischen Garage? Um diese 500 Tonnen schwere Unterführung einzubauen, mussten wir die Geleise der S-Bahn entfernen. Wir hatten gerade mal 54 Stunden Zeit dazu, weil der Bahnbetrieb nicht länger gestört werden durfte.» Das vorfabrizierte Betonelement sei schliesslich innert einer Stunde an seinen Standort verschoben worden. «Wenn ein so komplexer Bauschritt reibungsfrei abläuft, sind natürlich alle Beteiligten besonders stolz», sagt Capt.
Entkerntes Herzstück
Eine Herausforderung stellt auch der Umbau der alten Spinnerei aus dem Jahr 1857 dar – dem eigentlichen Herzstück der Greencity. Das denkmalgeschützte Gebäude drohte zu zerfallen. Seit 2007 stützen riesige Metallstreben die Fassade. 40 Eigentumswohnungen sollen in der Spinnerei entstehen. Im Erdgeschoss ist ein Restaurant geplant mit Aussenbereich auf dem Spinnereiplatz, der sich später zwischen dem alten Fabrikgebäude, den S-Bahn-Gleisen und zwei Wohnhäusern auftun wird.
Derzeit braucht es noch viel Vorstellungskraft, um sich die neuen Lofts im Industrielook vorzustellen. Das Haus ist vollständig entkernt. Um ein stabiles Untergeschoss bauen zu können, mussten die bestehenden Mauern in Etappen mit Beton unterfangen werden. Das sei nicht ganz ohne Überraschungen abgelaufen und habe einiges an Anpassungsfähigkeit abverlangt, sagt Capt. «Als an einer Stelle die Mauern einzustürzen drohten, mussten wir mit einem Kran spezielle Gerätschaften ins Innere des Hauses hieven, um die Arbeiten abzuschliessen.» Es stecke viel Herzblut in dieser Arbeit, sagt der Projektleiter beim Blick auf die nackten Mauern der Spinnerei. «Es ist aber ein sehr befriedigendes Gefühl, wenn man am Ende das fertige Bauwerk sieht. Das motiviert einen jeden Tag.»

Etwa in der Mitte des Areals auf den Baufeldern B3N und B4N stehen die Wohnbauprojekte der Swisslife. Gut 200 Mietwohnungen sind mit dem Projekt «Green Life» entstanden, grosszügige Objekte mit Balkon und hellem Klötzchenparkett. Zwei Badezimmer sind ab 4 Zimmern Standard – auch in den Genossenschaftswohnungen. Grosse Fensterfronten geben den Blick frei auf die bewaldete Flanke des Entlisbergs –oder auf die nächste Fassade. Es wird dicht gebaut in Greencity. Viel Umschwung lässt sich nicht mit einer nachhaltigen Nutzung der Bodenressourcen vereinbaren.
Das Schulhaus lässt auf sich warten
Keine einfache Aufgabe war auch der Umgang mit dem Strassenlärm. Im nördlichen Bereich des Areals, dem Teil, welcher der Autobahn am nächsten liegt, seien die Lärmschutzwände bereits erhöht worden, sagt Capt. «Die Bürogebäude, die auf dieser Parzelle noch gebaut werden, schützen die Wohnhäuser zusätzlich vor Lärm.» Von den drei Office-Projekten «Vergé» und «Pergamin I & II» – mit 40 Metern Höhe und elf Geschossen die höchsten Objekte in der Greencity – ist derzeit allerdings noch nichts zu sehen. Frühestens in zwei Jahren werden diese Büroräume bezugsbereit sein. Im «Meininger» kann man erst 2020 einchecken. Das 3-Stern-Hotel mit seinen 170 Zimmern ist Teil des Bauprojekts «Ingres», das im nordwestlichen Teil des neuen Quartiers nach den Plänen von Gigon/Guyer gebaut wird. Die übrigen Bereiche dieses Gebäudes sind ebenfalls für Office-Nutzungen vorgesehen.
Noch länger müssen die Kinder des Quartiers auf die Schule in der Greencity warten. Die Stadt Zürich, die zum Bau der neuen Schulanlage Allmend eine 4500 Quadratmeter grosse Parzelle zwischen Hotel, Bürogebäude und Swisslife-Wohnhaus erworben hat, wird das Projekt «Salto» frühestens im Sommer 2023 fertigstellen können – sofern das Stimmvolk Ja sagt zum Baukredit von 39 Millionen Franken.
Bis dahin dürfte es in Greencity bereits ziemlich lebhaft zu- und hergehen. Kinder werden im autofreien Bereich des Areals auf ihrem Bobbycar herumfahren, Banker gönnen sich auf dem neuen Manegg-Platz ein Sandwich, Nachbarn plaudern nach dem Einkauf auf einer Café-Terrasse ein wenig miteinander. Man kann sich das alles gut vorstellen – auch wenn es dazu momentan noch viel Fantasie benötigt.
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