
Wir alle wissen es: Die Steuereinnahmen der Stadt Zürich bei den juristischen Personen (also Firmen) stammen seit Jahren zum allergrössten Teil von Grossbanken und -versicherungen, dazu neuerdings noch von den nach Zürich drängenden Technologiefirmen. Andererseits ist beispielsweise die Kultur- und Kreativwirtschaft mit nur etwa 98’000 Franken Wertschöpfung pro Kopf und Jahr nicht mal in der Lage, dem Grossteil seiner Beschäftigten seriöse Löhne zu bezahlen. Doch auch freiwillig Teilzeitarbeitende in solchen Wirtschaftszweigen verlangen billige Wohnungen in den angesagten Quartieren – ein Umzug in die Zwischenstadt kommt nicht infrage. Diese Ansprüche sollen aber andere bezahlen.
Doch die wertschöpfungsstarken Techkonzerne oder Fintechfirmen mit ihren hohen Löhnen und damit aktive Finanzstütze des generell entspannten «Züri-Lifestyle» ziehen einen anderen Mitarbeitertypus nach sich. Anders als früher Banker oder Versicherer wollen diese Mitarbeiter auch in der Stadt wohnen, sogar genau da, wo sich die prägende Szene niedergelassen hat. Ihre Arbeitgeber ermöglichen ihnen direkt oder indirekt, hohe Mieten zu bezahlen.
Die Gentrifizierer von Aussersihl bis Wiedikon werden nun ebenfalls weggentrifiziert. Alltag in Weltmetropolen wie Zürich. Doch das soll nun nicht sein. Dann lieber auf diese Firmen verzichten, weil man ja ihre Mitarbeiter nicht will – wie neulich die Stadtzürcher SP allen Ernstes vorgeschlagen hat. Doch mehr oder wertschöpfungsorientierter arbeiten soll auch nicht sein. Also lieber «Suffizienz» – also Verbrauchsreduktion und Konsumverzicht – propagieren.
«Wir sollten uns alle schämen.»
Aber die Stadt ist heute das pure Gegenteil von Suffizienz: Zürich hat mehr Wohnfläche pro Kopf als ähnliche Städte wie Wien oder Frankfurt; im Vergleich zu anderen Städten hat das bequeme Zürich die wenigsten Velofahrer im Winter (sie nutzen gerne den bereitzustellenden ÖV, wenn es mal kalt ist), und Zürich hat eine Teilzeitquote, die für eine globale Wirtschaftsmetropole viel zu hoch ist. Das ist Konsum – nicht der Verzicht auf einen neuen Pulli. Dieser indirekte Megakonsum muss bezahlt werden.
Doch Zürich ist auch eine Stadt der Erbenmentalität: Auf irgendeine Art wird das Geld schon da sein. Am besten von den Grossfirmen. Nur ihre in- und ausländischen Mitarbeiter, die sollen zwar irgendwie kommen, um zu arbeiten, aber irgendwie auch nicht kommen. Denn sie stören das sorgsam eingerichtete Dorfleben der Locals.
«Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen», meinte schon Max Frisch. Er zielte damit auf die verbreiteten Ressentiments gegenüber denjenigen, die gekommen sind, um die Schweiz, um Zürich aufzubauen. Dass man das links-grüne Zürich an Frischs Bonmot erinnern muss, ist schon traurig genug. Dass Zürich sich so verkonsumiert hat in Wohnfläche, Mobilität sowie Entspannung auf Kosten anderer, dabei pausenlos Klimakrise und Solidarität ruft, ist an Heuchelei fast nicht zu überbieten. Wir sollten uns alle schämen.
Thomas Sevcik berät Städte bei Zukunftsprojekten. Er gilt als Kopf hinter der Autostadt in Wolfsburg oder des Lab-Campus am Flughafen München.
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Gastbeitrag zur Gentrifizierung – Zürich ist gleichzeitig verkonsumiert und unsolidarisch
Hart arbeitende Ausländer sollen der lokalen Bevölkerung einen angenehmen Lifestyle ermöglichen – aber bitte nicht in der Stadt wohnen und Konkurrenz für die Dorfbewohner sein.