Zürich steht vor dem Grundeinkommen-Experiment
Ein Pilotversuch mit Gratisgeld in Zürich: Das Stadtparlament hat dem Vorhaben ganz knapp zugestimmt.

Die Utopie lebt weiter: Mit 61 zu 59 Stimmen hat der Gemeinderat den SP-Vorstoss überwiesen, der einen Testlauf mit dem bedingungslosen Grundeinkommen verlangt. Ob das Experiment tatsächlich durchgeführt wird, ist offen: Der Vorstoss wurde nicht wie von der SP ursprünglich geplant als verpflichtende Motion überwiesen, sondern in der abgeschwächten Form eines Postulats; der Stadtrat hat nun zwei Jahre Zeit, dieses zu prüfen.
Finanzierung als Knacknuss
Zwar wurde die Initiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen im Juni 2016 auf eidgenössischer Ebene wuchtig abgelehnt. Doch weil die Zürcher Stadtkreise 4 und 5 die Initiative befürworteten, hält die Zürcher SP dieses Gebiet für einen Testlauf mit dem Gratisgeld für geeignet. Dabei «sollen auch innovative Sicherungssysteme erprobt werden, die den Gang in die Sozialhilfe für bestimmte Gruppen unnötig machen, beispielsweise durch Ergänzungsleistungen für Familien», heisst es im Vorstoss.
Angesichts der gigantischen Veränderungen in der Arbeitswelt seien Ansätze wie ein bedingungsloses Grundeinkommen ernsthaft zu prüfen, um der sozial brisanten Seite dieser Entwicklungen zu begegnen, erklärte Urs Helfenstein (SP). Tests in anderen Städten hätten vielversprechende Ergebnisse gebracht. Katharina Prelicz-Huber (Grüne) sprach von einer zukunftsweisenden Idee mit emanzipatorischem Charakter. Namhafte Ökonomen seien der Ansicht, das Grundeinkommen könnte der Wirtschaft einen Schub verleihen. Für Markus Baumann (GLP) brächte der Pilotversuch neue Erkenntnisse, obschon es viele offene Fragen gebe, etwa zur Finanzierung oder den Auswirkungen auf die Produktivität der Wirtschaft und die Arbeitsmotivation. Ezgi Akyol (AL) begrüsste den Vorstoss, wies aber ebenfalls auf offene Fragen hin: Wer wäre anspruchsberechtigt – nur Schweizer oder auch Flüchtlinge?
Video: Nachgefragt im Kreis 4 und 5
Von einem «sozialistischen Albtraum» sprach dagegen Samuel Balsiger (SVP). Studien zeigten, dass bei der Einführung des Grundeinkommens der Mehrwertsteuersatz auf 56 Prozent erhöht werden müsste. «Unsere Wirtschaft würde komplett zusammenbrechen.»
Christoph Luchsinger (FDP) nannte den Vorstoss «inakzeptabel» und «eine Geringschätzung aller Arbeitnehmer». Die Lösung sei nicht finanzierbar und hätte massive Steuererhöhungen zur Folge. Der Linken warf er «Sozialpolitik mit dem Sprinkler» und «ökonomischen Dadaismus» vor. Ein ausufernder Sozialstaat verliere an Akzeptanz bei all denen, die die wachsenden Ausgaben finanzieren müssten. Alexander Brunner (FDP) warnte vor Fehlanreizen: Die Leute könnten womöglich genau dorthin ziehen, wo ein Grundeinkommen ausgezahlt wird. Auch für Karin Weyermann (CVP) überwogen die Fragezeichen. Ein Ende der Erwerbsarbeit sei nicht in Sicht, es brauche zwar neue Lösungsansätze im Sozialbereich, dazu seien aber kleine Schritte und nicht ein grosser Wurf nötig. Mit Blick auf die Abstimmung zur Initiative gab sie zu bedenken, dass nur ein kleiner Teil der Bevölkerung hinter dem Grundeinkommen stehe.
Stadtrat hält wenig von der Idee
Sozialvorsteher Raphael Golta (SP) hält die Diskussion zum bedingungslosen Grundeinkommen zwar für wichtig, wie er sagte. Es sei aber «kein sinnvolles System». Bereits in seiner schriftlichen Antwort auf den Vorstoss aus seinen eigenen Reihen hatte der Stadtrat der radikalen Idee eine Absage erteilt. Ein Ende der Erwerbsarbeit sei nicht absehbar, und es sei sinnvoller, «dass sich die sozialen Sicherungssysteme nach wie vor am gezielten Ersatz und der gezielten Ergänzung des Erwerbseinkommens sowie an der (Re-)Integration der erwerbsfähigen Bevölkerung in den Arbeitsmarkt ausrichten». Die Zustimmung in einem einzelnen Stadtkreis sei zudem noch keine demokratische Legitimation für einen Pilotversuch in der Stadt.
Video: Auf Wählerfang mit 10er-Noten
In mehreren Ländern laufen bereits Pilotprojekte mit dem bedingungslosen Grundeinkommen, so in Finnland, in den Niederlanden oder in Oakland in Kalifornien. Auch der amerikanische Multimilliardär und Tesla-Gründer Elon Musk zeigte sich schon angetan von der Idee.
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