Das letzte Spiel von FC Spass
Die Freestyle Convention begeisterte elf Jahre lang mit ihrer improvisierten Rap-Show die Schweiz. Nun gaben die Jungs ihre Abschiedsvorstellung.

Stipe Svalina sieht aus, als müsste er sich gleich übergeben. Während um ihn herum die Party tobt, kauert er mit bleichem Gesicht neben der Bühne des Jugendkulturhauses Dynamo und kämpft mit einem Hustenreiz. Es wirkt, als hätte er eine Lebensmittelvergiftung oder hätte Alkohol mit Drogen vermischt. Doch nichts davon ist der Fall. Er hat gerade mal ein Bier getrunken und den Grossteil seiner Pizza stehen gelassen. Er ist ganz einfach nur nervös, verdammt nervös – weil er gleich auf der Bühne stehen und rappen wird. Doch wovon er erzählen wird, davon hat er noch keinen blassen Schimmer. Der 33-jährige Svalina, von Beruf Veranstalter und Mitbetreiber des Zürcher Clubs und Konzertlokals Exil, ist einer der besten Freestyle-Rapper der Schweiz. Und trotz mehr als 16 Jahren Erfahrung als Improvisationskünstler und 11 Jahren in dieser Konstellation ist er gegen die Nervosität nicht gefeit.
Vor ihm und seinen fünf Rap-Partnern Lo, Milchmaa, Knackeboul, Hyphen und Homi MC liegt an diesem Abend ein über zweieinhalbstündiges Bühnenprogramm ohne eine einzige vorgeschriebene Zeile. Es ist das Abschiedskonzert der Freestyle Convention, eines Verbundes von Rappern aus allen Ecken der Deutschschweiz, die sich seit elf Jahren in ihrem Bühnenprogramm im Freestylen messen.
«Gnüssemers! Gömmer!»
Moderator Ugur Gültekin, der ebenso wie zwei DJs, zwei Spieleerfinder und ein Tontechniker mit zum festen Team gehört, setzt vor die Freestyle Convention, kurz FC, stets das Adjektiv «legendär». «Jungs, es letschts Mal FC Spass! Gnüssemers! Gömmer!», ruft er in die Runde, die sich jetzt um Stipe versammelt haben. Von der Bühne schallt schon das Stück «King of Rap» von Kool Savas, so etwas wie die Erkennungsmelodie der Freestyle Convention. Kurz danach betritt Homi MC die Bühne. Wenige Augenblicke später kommt Svalina als Letzter auf die Bühne. Flüssig kommen ihm Reime über die Lippen, die er so noch nie gebildet hat. Nervosität und Übelkeit sind wie weggeblasen. Da ist nur noch Konzentration und Emotion. Mit dem Reim: «Ich chönd nöd da si ohni mini Mueter / Sie isch im Himmel und es bitz am Luege», beschliesst er eine Aufzählung von all jenen, die ihn unterstützen und richtet dabei den Blick Richtung Himmel. Im Freestyle-Rap, er beweists, gehts nicht immer nur um Pimmel. Aber oft.

Wie das genau geht mit dem Freestylen, scheint schwer zu erklären. «Du hörst ganz genau hin, was die anderen rappen, und droppst dann mit deinen Ideen rein», sagt Svalina. «Mindestens einen Sekundenbruchteil hast du immer Zeit, dir was zurechtzulegen.» Wichtig seien vor allem die geraden Zeilen, die sogenannten Punchlines, jene, auf denen die Betonung liegt. Die ungeraden Zeilen dienen nur der Vorbereitung. Stipes eigener Rapstil ist simpel und reduziert. Er arbeitet gern mit Spannung, baut oft Pausen ein. Inspiriert wurde er von den Münchner Gruppen Blumentopf und Main Concept. «Ich bin manchmal recht lustig. Innerhalb der Convention habe ich die Rolle des Clowns.» Neben dieser hat er auch die des Motivators und Vermittlers inne. Die erste Freestyle Convention fand im Januar 2007 in der Rampe in Bubikon statt. Jenem Club, den er damals gemeinsam mit Junus Celebi, dem Spielentwickler der Convention, betrieb. Ohne ihn hätte es die FC nie gegeben, wäre es nie zu jenen Blitzmomenten wie jenem beim Spiel «Wer bin ich?» gekommen.
Die letzte Freestyle Convention in voller Länge. Video: Youtube
Bei diesem müssen die sechs Rapper in Reimform erraten, welcher Name ihnen auf die Stirn geheftet wurde. Knackeboul, auf dessen Stirn «Mani Matter» steht, kommt in dieser Freitagnacht irgendwie nicht weiter. Lo hilft ihm: «Du häsch dini Karriere schon früe gäge en Boum gesetzt.» Der Rest ist Formsache. Es hätte auch nie Leistungen wie jene von Homi MC zu bewundern gegeben, der sich beim Spiel «Memory» in fünfzehn Sekunden ganze neun Gegenstände merkt und sie anschliessend souverän in seine Reime einbaut. Klarer Sieg.
Entspannt wie im Schaumbad
Oder es wäre auch nie zu jenem stupenden Soloritt von Lo im Spiel «Tabu» gekommen, bei dem er einem Besucher, der mit verbundenen Augen auf der Bühne sitzt, den Begriff «Kernspintomograf» umschreibt. Er zerlegt ihn dabei mühselig in Einzelteile, entdeckt darin unter anderem das Wort Tomate und verliert nie die Geduld. Am Schluss ist ihm der grösste Applaus sicher. «Lo und Knackeboul kennen keine schlechten Tage», sagt der Churer Claudio Candinas alias Hyphen. «Oder vielleicht schon. Ich merke es einfach nicht. Sie spielen in einer anderen Liga.»
Knackeboul wirkt geradezu so, als sei ihm wohler, ohne Text anzutreten. Als er nach einer knappen Stunde ganz alleine für das Spiel «Stimmungswechsel» antritt und den gleichen Sachverhalt aus vier verschiedenen Gemütslagen kommentiert, wirkt er so entspannt wie andere in einem Schaumbad.

Kurz vor halb zwei Uhr nachts setzt die grosse Bedankung ein. Stipe übernimmt das Wort und kündigt eine letzte Session an. Dann tritt das Team unter grossem Applaus ab. Es folgen unzählige Umarmungen und Zigaretten, viel Prosecco mit Wasser. Selbstkritische Diskussionen. Freude, Erleichterung und der eine oder andere Joint.
Die Protagonisten wirken ausgepowert nach zweieinhalb Stunden vollster Konzentration. Mit einer Ausnahme: Die Stimmung von Goran Vulovic alias Milchmaa scheint keine Schwankungen zu kennen. Er wirkt immer gut gelaunt und gleichzeitig kumpelhaft und unnahbar. «Alle sagen, diese Auflösung sei auf meinem Mist gewachsen. Keine Ahnung, ob das stimmt», sagt er lächelnd. «Was sicher stimmt: Ich war immer der lauteste Kritiker.» Auch von sich selbst: «Ich bin mir in den letzten Jahren immer öfter komisch vorgekommen auf der Bühne. Ein Familienvater, der über Schwänze rappt – das passt irgendwie nicht zu meinem Selbstbild.»
«Es war ein richtig schöner Abend», sagt Stipe zwei Tage später am Telefon, die Momente der Übelkeit komplett verdrängend. «Er hat meiner Meinung nach das ganze Spektrum dessen abgedeckt, was ein Freestyle-Konzert zu leisten imstande ist, samt allen Höhen und Tiefen.» Er fährt gerade ins Oberland, ist auf Weg zum Vater nach Wald, dorthin, wo er aufgewachsen ist.
Der Abschiedsabend im Dynamo war von langer Hand geplant. Seit mindestens drei Jahren diskutiere man intern über das Aufhören. Es sei immer schwieriger geworden, alle zusammenzutrommeln. Es habe auch immer wieder frustrierende Auftritte gegeben. Aber so ganz klar benennen, wieso es jetzt fertig ist, das kann Stipe nicht. «Ich habe es ja selbst noch nicht richtig realisiert.» Gleich am Tag nach der Dynamo-Show dachte er über mögliche Formatänderungen und Anpassungen nach. «Rein aus Automatismus.» Auf die Bühne will er unbedingt in anderer Formation zurückkehren. «Ich fühle mich wohl dort oben.» Wie und in welcher Form, sei derzeit noch offen.
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