Und wie steht es mit Downtown Switzerland?
Sechs Wochen lang haben wir als Touristen das eigene Land bereist. Zum Abschluss wollen wir schauen, was eigentlich dessen grösste Stadt zu bieten hat – farblos und nüchtern.


Zufall — Vielleicht ist es kein touristentypisches Verhalten. Vielleicht ist es die Zuzügerin in mir, die Zürich noch immer so sieht, als wäre es das erste Mal, obwohl ich seit sechs Jahren hier lebe. Auf dem Heimweg mache ich hin und wieder einen Umweg, um mehr von der Stadt mitzubekommen, Nebengassen, verborgene Innenhöfe, schöne Häuserfassaden. Sonntags spaziere ich los in jene Richtung, in die es mich intuitiv zieht. Ich gebe mir Mühe, nicht die immergleichen Restaurants, Bars und Badis aufzusuchen – ungefähr bei jedem siebten Mal klappt es. Die Brunchlisten meiner Freundinnen helfen dabei, Gutscheine und «Zürich geht aus» ebenfalls, und auch, wenn ein neues Restaurant eröffnet. Ich betrete kleine Boutiquen, von denen ich weiss, dass ich mir weder die Kleider noch den Schmuck leisten kann, aber ich muss rein. Ich muss in die Stadt hineinsehen können, um sie zu spüren. Ich setze mich manchmal allein in ein Café und kenne niemanden. Ich trinke meinen Kaffee, ich schweige. Ich bin so anonym, als wäre ich fremd hier. (slm)
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Chinagarten — «Zu wissen, was man weiss, und zu wissen, was man nicht weiss, das ist Wissen.» Wie nur schafft man es, etwas so Gescheites und Tiefsinniges auf so simple und doch verständliche Art zu formulieren? Das war eine jener Fragen, die mich beschäftigten, als ich den Comics Adieu gesagt und mehr und mehr begonnen hatte, mich an Vaters Bücherregal ranzumachen. Und eine andere Frage lautete: Wie gut schmecken eigentlich geröstete Honigbienen? Beides hatte mit China zu tun, auf Konfuzius und seine Weisheiten vertraue ich bis heute, beim Insekten-Dessert jedoch glaube ich inzwischen, dass es eher ins Reich der Legenden als ins Reich der Mitte gehört. In China war ich leider noch nie, doch in seiner hiesigen Dependance, dem Chinagarten im Seefeld, bin ich Stammgast. Nicht einmal in den Bergen plätschert das Wasser so lieblich wie in dieser Oase, mit seinen unzähligen Sitzgelegenheiten ist es der angenehmste Freiluftlesesaal der Stadt Zürich, und die Fische kommen so nah ans Ufer, dass man sie streicheln kann, wenn man will. Para mi Zurich’s finest lieu turistico! (thw)
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Dampfschiff — Sie ist klein, die Stadt Zürich. Als müsste man in Zürich selbst Raddampfer verdichten: Vom Kamin schaut nur ein kümmerlicher Wurmfortsatz übers Dach hinaus. Als Innerschweizerin bin ich Dampfschiffe mit stattlichen Schornsteinen gewohnt. Den Zürichsee habe ich dampfertechnisch sträflich vernachlässigt, die Fahrt mit der Stadt Zürich ist meine Premiere. Da sitze ich zwischen den Rentnern auf dem Oberdeck. Alles isst, plaudert, trinkt, lacht – nur die Aussicht beachtet niemand. Nach einer Weile weiss ich auch, warum: Man hat sich schnell sattgesehen. Bei all den Häusern am Ufer kann ich nicht ausmachen, wo eine Ortschaft aufhört und die nächste beginnt. Ein paar Hügel, der eine oder andere Rebhang und viel zu weit weg die Berge. Ich sehne mich nach dem Urnerbecken, wo die Felshänge steil aus dem Wasser in den Himmel schiessen, den bewaldeten Buchten am Fuss des Bürgenstocks. Der Zürisee ist schtier dagegen. In Stäfa gebe ich auf und nehme den Zug zurück in die Stadt. (tif)
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Museum — Als wäre ich ein Schwamm. So empfinde ich auf Reisen. Es ist das Gefühl, das Nicht-Alltägliche in seiner Ganzheit aufzusaugen. Mit allen Sinnen. Möglichst breit. Möglichst tief. Man könnte es mentales Konservieren nennen. Es hilft, die Seele in trüben Alltagsmomenten zu wärmen. Vielleicht ist es die Leere, die Entspanntheit im Kopf während der Ferienzeit, die das Aufsaugen von Neuem erst zulässt. Vielleicht ist es eine Charaktereigenschaft. Jedenfalls teile ich sie mit vielen anderen. Sie sehe ich, wenn ich, wie immer in der Fremde, ein Museum besuche. Auf der kleinen Fläche lässt sich noch tiefer in das eintauchen, was der Ort zu bieten hat. Für Fremde in Zürich bietet dies das Landesmuseum. Doch auch als Einheimische kann ich da zwischen Ritterrüstungen, Pitschi und den eindrücklichen Luftaufnahmen der Schweiz von Walter Mittelholzer abtauchen. Erst, als mich eine Japanerin bei den Garderobenkästchen im neuen Museumsteil um Hilfe fragt, merke ich: Ich bin eine von hier. Ich bin nicht weit weg. (ema)
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Busfahrt — Wenn ich im Ausland eine fremde Stadt besuche, schnappe ich mir meistens einen Bus und begebe mich auf eine Stadtrundfahrt. Es gibt kein besseres Mittel, von etwas Unbekanntem einen ersten Eindruck zu bekommen. Wie ist das aber, wenn ich als Stadtzürcher in der eigenen Stadt eine Rundfahrt mache? Bahnhofstrasse, Grossmünster, Bürkliplatz, Schauspielhaus, Chagall-Fenster, vieles weckt Erinnerungen, bevor der Guide im Bus die nächste Sehenswürdigkeit ankündigt. Der Iraner hinter mir will wissen, ob in dieser Stadt der Wohlstand ausgebrochen sei, er sehe nur neue und teure Autos auf den Strassen. Und der ältere Spanier, der die meiste Zeit vor sich hindöst, bekommt Schnappatmung, als wir im Bankenviertel rund um den Paradeplatz kurven. Er erkundigt sich, wie gross der Durchschnittsverdienst der Zürcher ist. Raucherstopp beim Dolder Grand. Plötzlich wenig Beton. Viel Wald. Viel Grün. Die Sonne brennt. Zürich präsentiert sich wolkenlos. Eine Stadt. Meine Stadt. (wsc)
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Katzensee — «Nicht weit von der Stadt und doch mitten in der Natur», schreibt Zürich Tourismus zum Katzensee. Klingt super. Und doch dürfte es nicht leicht sein, Zürich-Reisende dazu zu bringen, mit dem 32er bis zur Endhaltestelle Holzerhurd zu fahren. Und hier noch einen 10-minütigen Spaziergang entlang der viel befahrenen Ausfallachse auf sich zu nehmen. Der Katzensee ist also der Geheimtipp unter den Touristenattraktionen. Das ist umso besser für jene, die wissen, wie gut der Ort zu einem ist. Zwar ist der See derzeit mit seinen 27 Grad so warm wie ein Fussbad. Aber das Sitzen an dessen Ufer weckt Assoziationen mit Schweden oder Kanada. Viel Natur, unaufgeregtes, für Zürich untypisches Gebaren unter den Badegästen. Die Stadt vergessen, Ambitionen loslassen. Das einfache Leben, es scheint nah – man muss es sich nur vorstellen. Vielleicht irgendwo ein Haus auf dem Land? Der idyllische Eindruck verstärkt sich beim Spaziergang durch das Bauerndorf Alt-Affoltern und löst sich erst wieder, wenn man im 32er inmitten von Partypeople zurück in die Stadt fährt. (dsa)
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