Die Menschen der verbrannten Erde
Gestern wurden die Swiss Photo Awards vergeben. Der Hauptpreis ging an Meinrad Schade. Die Bilder sind im EWZ-Unterwerk Selnau zu sehen.
Von Feli Schindler Angesichts der Katastrophe in Japan präsentiert sich Meinrad Schades Bildserie bedrückend aktuell: Der Zürcher Fotograf hat Menschen aus Semipalatinsk in Kasachstan, einem verseuchten Atomtestgelände der alten Sowjetunion, fotografiert. Fast 500 Atombomben zündeten die Sowjets hier zwischen 1949 und 1989 – mit erheblichen Folgen: Die Krebsrate in der Region ist extrem erhöht; viele Kinder kommen mit schweren Behinderungen zur Welt – so wie Schannur, die elfjährige Tochter von Maira Schumageldina (siehe Bild). Trotzdem weiss man beim Betrachten der Serie «Verbrannte Erde» nicht so recht, was einen mehr beelendet – der Anblick der verstümmelten Menschen oder der unbesorgten Hochzeitsgesellschaft vor dem Atomtest-Denkmal. Für seine erschütternde Reportage erhielt Schade den Hauptpreis des Swiss Photo Award (15 000 Franken). Erstmals diskutierte die Expertenrunde die Vergabe gestern an der Opening Night live vor Publikum. Meinrad Schade hatte für seine Arbeit bereits den mit 5000 Franken dotierten Preis in der Kategorie «Redaktionelle Fotografie» erhalten. Die Bildserie ist Teil des Langzeitprojekts «Vor, nach und neben dem Krieg – Spurensuche an den Rändern der Konflikte». Träger der Last der Zivilisation Engagierte Reportagefotografie zeigt im EWZ-Unterwerk Selnau auch der Genfer Fred Merz mit einer surreal illuminierten Serie von einer Abfallhalde in Rio de Janeiro. Merz fotografierte dort «catadores» – Sammler von rezyklierbarem Abfall, die 120 Kilo schwere Säcke zur Wiederverwertung schleppen. Seine Fotostrecke über die Lastenträger wurde mit dem ersten Preis der Kategorie «Free» ausgezeichnet. Spiritueller Gigantismus Sind die grössten Fotografien auch die besten? Man hätte es meinen können, als die Stars der Düsseldorfer Schule, Andreas Gursky oder Thomas Struth, in den 90er-Jahren die internationale Szene dominierten. Die Zürcher Fotografin Andrea Good kultiviert aber keinen Gigantismus, wenn sie jetzt beim Eingang des EWZ-Unterwerks Selnau eine Landschaft in sepiabraunen Tönen auf 50 Quadratmeter Fotopapier zeigt. Die Aufnahme ist eher das Kunstprodukt einer spirituellen Aktion: Die Fotokünstlerin dunkelte eine Kirche in Winterthur als Camera obscura ab, sodass sich während des Gottesdienstes auf einer mit lichtempfindlichem Papier bespannten Wand die Bäume und Büsche aus der Umgebung abzubilden begannen. Noch radikaler fängt Bianca Dugaro den Entstehungsprozess eines Bildes ein. Je länger man vor ihren monochromen Aufnahmen steht, desto mehr zeichnen sich Umrisse einer Menschenfigur ab. Dem Basler Autodidakten namens The Umbrella Kid scheinen die grossen Avantgardisten Pate für seine geometrischen Kompositionen gestanden zu haben. Der Preisträger der Kategorie «Fine Art» integriert in seinen analogen Bildern junge Skateboarder, die der urbanen Betonarchitektur eine verspielte Leichtigkeit verleihen. Wie verändern Bauten die Landschaft? Diese Frage beantwortet Katalin Déer in ihrem sensiblen Fotoessay aus dem Appenzell. Sie gewinnt den Preis in der neuen Kategorie «Architektur». Sven Bänzigers Männermodel mit blauer Badehose und offenem Jeanshemd greift in rauer Nordsee-Landschaft anstatt nach den Sternen nach den Möwen im blauen Himmel. Die ironische Mischung aus Kitsch und Kunst trägt dem Modefotografen den ebenfalls neuen Fashionpreis ein. Zoe Tempest stellt einem Mädchen in Reitstiefeln Holzböckchen als Pferdeersatz zur Seite und gewinnt damit den Preis in der Werbebranche. Insgesamt stellt man fest, dass sich fast alle 18 gezeigten Fotoserien, auch die nicht prämierten, einer wohltuend schlichten Bildsprache verpflichten – nichts Überkandideltes, keine Effekthascherei, aber auch keine Banalität. Die Fachjury hat gut ausgewählt. Bis 29. 5.; www.ewzselection.ch Die Serie «Verbrannte Erde» von Meinrad Schade wurde gestern Abend mit dem Hauptpreis der Swiss Photo Awards ausgezeichnet.
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