«Die Welt braucht Frankreich» «Die Welt braucht Frankreich»
Der frühere Premierminister Dominique de Villepin über die französische Führungsrolle in Libyen, über das gaullistische Selbstverständnis und über seine harte Rivalität mit Nicolas Sarkozy.Der frühere Premierminister Dominique de Villepin über die französische Führungsrolle in Libyen, das gaullistische Selbstverständnis und seine harte Rivalität mit Präsident Nicolas Sarkozy.
Mit Dominique de Villepin sprach Oliver Meiler in Paris Monsieur de Villepin, Frankreich hat die internationale Gemeinschaft zur militärischen Intervention in Libyen gedrängt. War das richtig? Die Initiative war notwendig. Und sie ist richtig, solange sie sich im Rahmen der Resolution der Vereinten Nationen bewegt. Das erklärte Ziel der «1973» ist es ja, die Zivilbevölkerung zu beschützen. Das muss unbedingt so bleiben. Nun scheint es aber, dass der Eingriff weit über das gesteckte Ziel hinausgeht. Eben, das ist das Problem. Manche Mächte halten es für angebracht, in der einen oder anderen Form Bodentruppen nach Libyen zu schicken. Oder sie spielen mit dem Gedanken, die Rebellen zu bewaffnen. Doch wir dürfen nicht direkt eingreifen in den politischen Konflikt Libyens. Dann siegt am Ende aber Ghadhafi. Wir müssen jedenfalls mit allen möglichen politischen und diplomatischen Mitteln versuchen, die Aktion der Militärs abzulösen. Die ersten Schritte der UNO dienten dazu: Die Wirtschafts- und Finanzsanktionen, die Einfrierung der Vermögen von Oberst Ghadhafi und den Seinen und die eingeleitete Prozedur des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag – das sind alles Elemente einer Strategie, mit der das libysche Regime diplomatisch unter Druck gesetzt werden soll. Mit diesem Druck kann Ghadhafi gut umgehen, das hat er jahrzehntelang bewiesen. Schauen Sie, was wir heute in Libyen unternehmen, muss später auch in anderen Ländern möglich sein. Darum ist es wichtig, dass die Regeln respektiert werden, dass der Westen seine Legitimität nicht selber untergräbt. Dann verliert er nämlich die Unterstützung jener Institutionen, auf die er zählen sollte: die Afrikanische Union und die Arabische Liga. Der Westen soll mit seinem Eingreifen keinen Regimewechsel herbeiführen – auch nichtim Geheimen? Nein, die Staaten sind souverän. Das libysche Volk muss über sein Schicksal selber entscheiden können. Es muss seine Revolution bleiben. Wir sollten den Libyern nur helfen, indem wir sie vor dem Missbrauch der militärischen Übermacht durch Ghadhafi schützen. War es richtig, die Nato einzuschalten? Nein, das war das falsche Signal. Ich war von Beginn weg dagegen. Die Nato hat in der arabischen Welt und in Afrika einen schlechten Ruf. Die Gefahr ist gross, dass die Aktion unter ihrer Ägide negativ empfunden wird und Ablehnung hervorruft. Nun müssen wir dafür sorgen, dass die politische Führung der Operation möglichst multilateral bleibt. Wie agierte die Europäische Union in diesem Dossier? Hier haben wir wieder einmal alle Limiten des politischen Europa gesehen – auch die Limiten der gemeinsamen Ambitionen in Verteidigungsbelangen. Am Ende blieb nur die franko-britische Achse übrig, die überdies strikt bilateral aufgebaut wurde. Das ist bedauernswert, aber nicht überraschend: Es zeigt, wie wenig Frankreich erreicht hat mit seinem Engagement für mehr Gemeinsamkeit. Hat Nicolas Sarkozy mit seinem Vorpreschen nicht auch viele brüskiert – die Deutschen vor allen? Klar, die Form war ungeschickt, etwas dilettantisch. Wie er auf der Treppe des Elysée-Palasts die libysche Opposition anerkannte, ohne die Partner informiert zu haben, ist nicht sehr gebräuchlich. Ich frage mich auch, ob der libysche Übergangsrat, wie er jetzt zusammengesetzt ist, tatsächlich das libysche Volk repräsentiert. Trotzdem: Mitten in einer Krise, mitten im Manöver, ist es nun mal schwierig, alle Gemüter zu respektieren und niemanden vor den Kopf zu stossen. War Sarkozys Solo ein Kraftakt? Vielleicht, aber ganz in unserer Tradition. Die Welt hatte seit 1966 genügend Zeit, sich auf Frankreich einzustellen – auf seine einzigartige Stimme und seine spezielle Rolle im Weltkonzert. Als Frankreich der Nato fernstand (zwischen 1966 bis 2009, Red.), hatten wir immer die Möglichkeit, mal mitzumachen, mal fernzubleiben, mal alleine eine Allianz aufzubauen. Jetzt geraten wir aber immer gleich in einen grossen Strudel, der uns, wie nun auch wieder in Libyen, am Ende verschlingt. Ich bedauere, dass wir mit unserem Beitritt zur Nato unsere Originalität verloren haben. Bleiben wir kurz bei diesem französischen Selbstverständnis: diesem moralischen Überlegenheitskomplex, der im Ausland zuweilen irritiert. Wie kommt es, dass sich Paris noch immer für das gute Gewissen der Welt hält? Sie selber wurden mit ihren eindringlichen Reden gegen Bushs Irak-Invasion weltweit bekannt. Dieser Reflex ist tief verankert in der Geschichte: Unser Kulturerbe wurzelt in der Französischen Revolution, und es wurde im letzten Jahrhundert von General de Gaulle neu belebt. Es steht vor allem für unseren ausgeprägten Sinn für Unabhängigkeit. Da geht es nicht nur um Eigenliebe oder um vermessenen Hochmut, sondern um unsere Unabhängigkeit im Denken und im Hinterfragen vermeintlich unverrückbarer Gewissheiten, auch im ständigen Fordern einer neuen Weltordnung, im Verteidigen der Prinzipien des Friedens, der Gerechtigkeit, der Solidarität, der Entwicklung – oder anders gesagt: Es braucht Staaten wie Frankreich, die das Interessenspiel der Grossmächte zuweilen stören, welche die Grenzen der Blöcke und Netzwerke verschieben. De Gaulle tat das zum Beispiel, als er 1964 die Beziehungen zu den Russen und später zu den Chinesen wiederaufnahm. Oder als er mit seiner Rede von Phnom Penh zum Vietnamkrieg 1966 die internationale Gemeinschaft zum Umdenken drängte. So verstehe ich die Rolle Frankreichs. Es ist eine Art Verantwortung vor der Welt. Doch spielt Frankreich nicht auch sein eigenes Spiel der grossen Wirtschaftsinteressen und der Realpolitik – vor allem in Afrika, seinem politischen Hinterhof? Das ist historisch bedingt. In vielen afrikanischen Ländern sind wir die ehemalige Kolonialmacht. Das setzt uns grosser Kritik und Argwohn aus. Aber Frankreich trägt auch eine grosse Verantwortung, nimmt Risiken auf sich ... ... und profitiert in vielen Fällen, weil es sich mit den starken Männern dieser Länder verbündet. Das war lange Zeit so, das stimmt. Manchmal mag es so scheinen, als habe Frankreich auch heute kein Interesse daran, dass sich etwas ändert in Afrika. Doch der Eindruck täuscht: Paris hilft bei der Entwicklung eines neuen Afrika. Wächst der internationale Status Frankreichs nun mit der Rolle, die es in Libyen spielt? Ich denke schon, auch wenn die Initiative spät, ungeordnet und uneinig geboren ist: Fünf Stimmenthaltungen im Weltsicherheitsrat – das ist viel. Doch es war richtig zu insistieren. Sie loben damit indirekt Sarkozy, Ihren Erzrivalen in der rechtsbürgerlichen Familie. Gibt es trotz Ihrer Differenzen in Stil und Politik, trotz Ihrer legendären Zwiste auch Gemeinsamkeiten? Nein, keine. Nichts? Gar nichts (lächelt). Tauschen Sie sich trotzdem zuweilen aus? In den letzten 14 Tagen haben wir uns zweimal getroffen. Er hört mir zu – aber ob er mich auch tatsächlich hört? In einem Jahr sind Präsidentschaftswahlen. Sie haben kürzlich eine eigene sozial-gaullistische Partei gegründet: République Solidaire. Treten Sie auch als Kandidat an? Das ist eine Frage, auf die ich später zu antworten haben werde. Sie könnten es jetzt tun: Das wäre ein schöner Scoop für unsere Zeitung. Geben Sie mir noch einige Monate Zeit. Ich bin jedenfalls entschlossen, den Franzosen mit meiner Partei, meiner Erfahrung, meinen gaullistischen Überzeugungen eine Alternative zu bieten. Ich habe mir die Freiheit genommen, mich ganz von der Regierungspartei zu lösen. Frankreichs Rechte, zusammengefasst in der Sammelpartei UMP, scheint zu implodieren. Ist das Modell am Ende? Frankreichs Rechte war immer schon gespalten. Nun läuft eine schmerzhafte Kraftprobe zwischen den verschiedenen Seelen der Rechten: Die humanistische, republikanische Rechte wird von einer harten, nationalistischen Rechten verdrängt. Für die Gaullisten ist es schwierig, ihren Platz zu behaupten. Einmal mehr versucht die UMP, die Wähler des Front National mit der Forcierung von dessen Themen und mit Debatten zur Immigration, zum Islam und zur nationalen Identität zu umgarnen. Ja, diese Versuchung ist alt. Mittlerweile ist es aber so, dass die Franzosen nur noch über ihre Ängste regiert werden. Das ist eine fatale und ambitionslose politische Strategie. Die wahren Themen, welche die Franzosen interessieren würden, wären Arbeit, Kaufkraft, Wettbewerbsfähigkeit. Und gegen den Front National bräuchte es eine klare und kompromisslose Haltung. Unsere republikanischen Werte sind nicht verhandelbar. Ist Marine Le Pen gefährlicher als ihr Vater? Beim Front National ist ein Generationenwechsel passiert, ein Stilwechsel auch. Und der neue Chef ist eine Frau. Doch die Thesen und Referenzen der Partei bleiben die alten. Auch die geschürten Ängste sind die alten. Sarkozy scheint Frau Le Pen zu fürchten. Glauben Sie, dass er trotz seiner chronisch schlechten Popularitätswerte den Trend nochmals drehen kann? In der Politik ist alles möglich, zumal in Frankreich. Es ist also noch nichts entschieden. Doch für einen Trendwechsel bräuchte es zuerst die Einsicht, dass man etwas falsch gemacht hat. Die Franzosen müssten spüren, dass man sie ernst nimmt, dass die Politik nach mehr sozialer Gerechtigkeit, nach mehr Würde für jeden, nach einer besseren Verteilung des grossen Reichtums des Landes strebt. Das alles hatte Nicolas Sarkozy 2007 versprochen mit seiner «rupture», dem Bruch mit der Vergangenheit. Mit simplen Slogans und halbgaren Reformen verändert man ein Land nicht. Libysche Aufständische mit einer französischen Fahne auf einem zerstörten Ghadhafi-Panzer in Ajdabiya. Foto: Reuters
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