Ein Anwalt gibt gratis Auskunft
Streit mit dem Nachbarn, Knatsch mit dem Arbeitgeber, Puff mit dem Vermieter: Seit einem Jahr bieten Anwälte in Thalwil alle zwei Wochen gratis eine Rechtsauskunft an.
Bezirk - Mehrmals an diesem Abend gibt Anwalt Rolf Kuhn denselben Ratschlag: «Treten Sie selbstbewusst und bestimmt auf und sagen Sie, dass Sie im Recht sind. Sagen Sie, dass Sie sich erkundigt haben.» Danach liege es an der Gegenseite, einen nächsten Schritt zu machen. Was dann meist bedeute, dass diese den Weg zu einem Gericht suchen müsste. «Davor schrecken viele zurück. Denn spätestens ab diesem Zeitpunkt beginnt es zu kosten.»
Um halb sechs Uhr am vergangenen Mittwochabend hat sich Kuhn im Thalwiler Gemeindehaus in der Bibliothek an einen Tisch gesetzt, Gesetzbücher, Obligationenrecht und weitere Rechtsliteratur vor sich hingestellt und Block und Kugelschreiber dazugelegt. Er hat seine automatische Maurice-Lacroix-Uhr ausgezogen und vor sich hin platziert, damit er die Zeit immer im Auge hat. Im Empfang sitzen mehrere Frauen und Männer, sie haben sich auf die Liste für die unentgeltliche Rechtsauskunft eingetragen: Alle haben ein Problem und suchen bei einem Anwalt Rat. Für viele ist es das erste Mal, dass sie sich an einen juristischen Profi wenden. An diesem Abend ist es der Thalwiler Anwalt Rolf Kuhn.
Ein einfaches Problem
Kuhn begrüsst ein Paar, beide etwa um die 50 Jahre alt, und fragt sie, welches ihr Problem sei. Sie seien kürzlich zusammengezogen und hätten auch bereits einen Zusammenlebensvertrag abgeschlossen. Beide hätten ein Auto. Falls nun der eine mit dem Auto des andern einen Unfall habe, würden die Prämien erhöht. Wie sie das nun im Vertrag regeln müssten, damit im Streitfall rechtlich alles richtig sei, wollen die beiden wissen. Kuhn liest den Vertrag der beiden, gibt ihnen noch einen Tipp, wie sie die Liste des Mobiliars im Vertrag erwähnen müssten, stellt zwei, drei Fragen und formuliert einen Satz, der das Problem des Paars lösen dürfte.
Für Kuhn war es ein einfaches Problem, Literatur oder Gesetz musste er dafür nicht in die Hand nehmen. Er ist selber in Thalwil aufgewachsen und wohnt heute noch dort. In Zürich hat er Rechtswissenschaften studiert, seine ersten Berufserfahrungen machte er am Bezirksgericht Horgen. Er ist im Wirtschaftsrecht spezialisiert und Partner einer Kanzlei in Zürich.
Fast alle Anwälte machen mit
Kuhn ist mitverantwortlich, dass es im Bezirk Horgen seit knapp einem Jahr wieder eine unentgeltliche Rechtsauskunft gibt. Bis 2004 bot die Gemeinde Thalwil eine solche an, laut Gemeindepräsidentin Christine Burgener (CVP) wurde sie aber den Sparmassnahmen geopfert. «Die Rechtsauskunft ist nicht eine Kernaufgabe der Gemeinde.» Kuhn fand aber, dass eine unentgeltliche Rechtsauskunft zum Bezirk gehört und wandte sich darum an den Zürcher Anwaltsverband, der diese Dienstleistung in Zürich, Bülach, Dübendorf und Niederhasli anbietet. «Diesen Dienst an der Bevölkerung bietet der Anwaltsverband bereits seit rund hundert Jahren an», sagt Vizepräsident Georg Rauber. Die Anwälte leisten die Beratungsarbeit gratis. «85 Prozent aller angefragten Zürcher Rechtsanwälte machen mit - die meisten sehr gerne, mit Freude und Engagement», sagt Rauber. Die Gemeinde Thalwil stellt heute das Sitzungszimmer gratis zur Verfügung, koordiniert die Einsätze der Anwälte und führt die Statistik.
Diese zeigt auf: Pro Beratungsabend kann ein Anwalt, eine Anwältin sechs bis elf Fälle behandeln, durchschnittlich sind es acht. Viele Leute, die eine Rechtsauskunft suchen, wohnen in Thalwil, es kommen aber Personen aus allen Gemeinden des Bezirks. Ihre Probleme decken verschiedenste Rechtsgebiete ab: Sie drehen sich ebenso ums Straf- wie ums Mietrecht. Viele arbeitsrechtliche Probleme werden behandelt, immer wieder aber auch ehe- und konkubinatsrechtliche Fragen. Kuhn selber rechnet damit, dass sich die Anwälte bei der unentgeltlichen Rechtsauskunft künftig vermehrt mit dem Arbeits- und dem Sozialversicherungsrecht auseinandersetzen müssen. Die Wirtschaftslage wird auch hier ihre Spuren hinterlassen.
Einen Weg aufzeigen
Kuhn verabschiedet das Konkubinatspaar, das Fragen zum Zusammenlebensvertrag hatte, und begrüsst ein Ehepaar, das mitten in einer Auseinandersetzung mit Nachbarn steht. Über den Fall kann der Journalist nicht berichten, da die Nachbarn sofort erkennen würden, dass das Ehepaar den Ratschlag eines Anwalts suchte. Und die Zeitung würde damit auch die Chancen und Risiken des Vorgehens, das Kuhn vorschlägt, veröffentlichen. Genauso ist es mit der Rechtsfrage, die eine Unternehmerin hat. Kuhn lässt die Ratsuchenden in beiden Fällen zuerst sprechen, studiert die Unterlagen, fragt gezielt nach und gibt seine Ratschläge.
Nach knapp zwei Stunden verabschiedet Kuhn den letzten Ratsuchenden. Sieben verschiedene Fälle hat er sich angehört und analysiert. Er sagt, dass die Arbeit anstrengend sei. «Die meisten Rechtsfragen kann man nicht in zehn, fünfzehn Minuten lösen», sagt er. «Ich kann den Leuten aber einen Weg für das weitere Vorgehen aufzeigen. Sie vielleicht an eine spezialisierte Beratungsstelle verweisen. Oder ihnen raten, einen Anwalt zu engagieren. Manchmal kommen auch Leute, die kein rechtliches Problem haben, sondern ein persönliches. Auch hier helfen wir gerne.» Der Thalwiler Anwalt Rolf Kuhn gibt eine Rechtsauskunft. Foto: Silvia Luckner
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