Eine Stadt, die der Kanton nicht wollte
Vor fünfzig Jahren beschlossen die Dietiker – noch ohne Dietikerinnen –, dass ihr Dorf eine Stadt sein solle. Das war nicht allen genehm.

Schmeichelhaft war es nicht, was der reformierte Pfarrer Karl Tanner 1918 über seinen Wohnort sagte: «Mich erinnert Dietikon immer an ein Landmädchen, das sich in bäurischer Geschmacklosigkeit mit städtischem Flitterstaat aufgeputzt hat.»
Die Limmattaler Gemeinde hatte damals gerade ihren ersten Wachstumsschub hinter sich, doch dauerte es noch gut fünfzig Jahre, bis das Landmädchen tatsächlich zur Städterin wurde. Am 30. November 1969 entschieden die Dietiker – noch ohne Dietikerinnen –, dass ihr Dorf künftig eine Stadt sein solle. Mit nur gerade 124 Stimmen Mehrheit.
Viel Politprominenz
Das 50-Jahr-Jubiläum wurde heute Samstag, auf den Tag genau fünfzig Jahre danach, mit viel Politprominenz gefeiert. Regierungspräsidentin Carmen Walker Späh (FDP) begrüsste heiter unzählige amtierende und ehemalige Präsidentinnen und Präsidenten von Behörden.
Als sie schliesslich noch den Präsidenten des Gemeindepräsidentenverbands erwähnte, meinte sie, «wow, was für ein hochkarätiger Anlass». Dass mit Jacqueline Fehr eine zweite Zürcher Regierungsrätin anwesend war, unterstrich diesen Eindruck noch.
Stürmisches Wachstum
Die Historikerin Verena Rothenbühler erzählte von den stürmischen Jahren zwischen 1950 und 1970, in denen die Gemeinde von 7000 auf gegen 23'000 Einwohnerinnen und Einwohner wuchs. Bereits 1953 überschritt sie die offizielle Schwelle von 10'000 Einwohnerinnen und Einwohnern, welche für die Aufnahme in den Schweizerischen Städteverband gilt.
Dank einer fortschrittlichen Bauordnung habe sich das Landmädchen mit dem städtischen Flitterstaat damals zum anständig gekleideten Agglo-Fräulein gewandelt, erklärte Rothenbühler.
Dietikon 1967: Das alte Bahnhofsgebäude wurde 1978 nach dem Bau des neuen Bahnhofs abgerissen. Bild: Ortsmuseum Dietikon
1958 entschied Dietikon als vierte Zürcher Gemeinde nach Zürich, Winterthur und Uster, ein Parlament einzuführen. Und der heutige Stadtpräsident Roger Bachmann (SVP) zitierte die offizielle Rückmeldung der kantonalen Aufsichtsbehörde, als 1969 die Idee diskutiert wurde, sich Stadt zu nennen: Es sei nicht wünschenswert, dass es neben Zürich und Winterthur weitere Städte im Kanton gebe – abgesehen von jenen mit historischem Stadtrecht. Die Dietiker schlugen das in den Wind.
«Ein mutiger Schritt»
«Ein wichtiger und mutiger Schritt, selbstbewusst hinzustehen und sich Gehör zu verschaffen», fand Jacqueline Fehr. Gerade sie als Winterthurerin wisse, was es bedeute, im Schatten der Grossen zu stehen. Carmen Walker Späh lobte den Branchenmix, den die Dietiker Wirtschaft aufweise: Von Luxemburgerli (Sprüngli) über Schuhe (Tiefenbacher) bis Orgelpfeifen (Metzler). Auch die älteste Familien-AG des Kantons habe ihren Sitz in Dietikon (Pestalozzi).
Regierungspräsidentin Carmen Walker Späh im Dietiker Gemeinderatssaal. Bild: net
Natürlich blieb die Limmattalbahn nicht unerwähnt, welche in Dietikon zwiespältig aufgenommen wird. Sie sei überzeugt, die Stadtbahn werde viele positive Inputs bringen, sagte Walker Späh. Bei der Glattalbahn habe sich jeder investierte Franken 25-fach ausbezahlt.
Amtskollegin Fehr ermunterte die vergleichsweise noch junge Stadt, weiterhin das Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen und sich wie bisher dagegen zu wehren, als «Überlaufbecken der Stadt Zürich» wahrgenommen zu werden.
Dietikon ist heute mit etwas über 27'000 Einwohnerinnen und Einwohnern die fünftgrösste Stadt des Kantons. Und hat, laut Stadtpräsident Bachmann, die zweit grösste Trychler- und Geisselchlöpfer-Gruppe des Landes. Eine Städterin mit bäuerlichen Accessoires.
Erstellt: 30.11.2019, 15:22 Uhr
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