Der Preis des Todes
Dignitas-Gründer Ludwig A. Minelli bestreitet vor Gericht, aus Eigennutz beim Suizid geholfen zu haben. Er erklärt die hohen Kosten, die der Staatsanwaltschaft verdächtig scheinen.

Ist es Absicht, ist es Zufall? Gestern erinnerte die Sterbehilfeorganisation «Dignitas – Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben» an ihren turbulenten Start vor exakt zwanzig Jahren. «Kreativität, Engagement und ein immenses gesellschaftspolitisches, juristisches und medizinisches Know-how» hätten Dignitas «zu einer einzigartigen Organisation» gemacht, heisst es in einer Medienmitteilung.
Heute, am Tag nach dem Jubiläum, muss sich ihr Gründer und Generalsekretär, Ludwig A. Minelli, vor dem Bezirksgericht Uster gegen einen Vorwurf wehren, der - würde er schliesslich in einem rechtskräftigen Urteil stehen - dem Verein den schwerstmöglichen Imageschaden zufügen würde: Er habe in mehreren Fällen aus dem eigennützigen Motiv beim Suizid geholfen, sich zu bereichern.
Staatsanwaltschaft habe «keine Ahnung»
Der 85-Jährige kritisierte die Staatsanwaltschaft deshalb vor Gericht seinerseits scharf. Der Kern seiner konzentrierten, teilweise aber ausufernden Rede: Es sei «absurd», ihm vorzuwerfen, dass er aus finanziellen Gründen an möglichst vielen Sterbebegleitungen interessiert sei. Er handle nicht aus Eigennutz. Im Gegenteil, er habe seine persönlichen Interessen für Dignitas oft zurückgestellt.
Die Ermittlungen gegen ihn seien «absolut unverhältnismässig» gewesen. Man habe Hausdurchsuchungen gemacht und Unmengen an Material beschlagnahmt. Mit einem normalen Strafverfahren habe das nichts zu tun. «Man wollte einfach mal alles bei uns anschauen und konstruierte einen Vorwand.»
Die von der Anklage erwähnten Geldbeträge seien zwar korrekt, deren Interpretation aber grundfalsch. Die Staatsanwaltschaft habe offensichtlich keine Ahnung davon, welche Kosten bei der Sterbehilfe anfallen. Insbesondere berücksichtige sie die aufwendigen Vorabklärungen nicht.
«Moralisch besonders verwerfliche Bereicherung»
Der Anklage geht es um zwei Fälle. Beim assistierten Suizid einer 80-jährigen schmerzgeplagten und lebensmüden, aber nicht terminal erkrankten Frau habe Minelli im Jahre 2003 «überwiegend aus eigennützigen Motiven heraus» gehandelt. Und zwar dadurch, dass «er für sich und für den von ihm gegründeten Verein eine in moralischer Hinsicht besonders verwerfliche Bereicherung anstrebte». So steht es in der Anklageschrift.
Die 80-Jährige habe dem Verein über 100'000 Franken zukommen lassen, wobei sich die Bemühungen im Zusammenhang mit der Sterbebegleitung auf lediglich 6171.40 Franken summiert hätten. Die Urne mit ihren sterblichen Überreste habe er nicht im Grab ihres Gatten in Deutschland beisetzen lassen, sondern in den Zürichsee geworfen.
Den doppelten Betrag verlangt?
Auch in einem zweiten Fall aus dem Jahre 2010, für den Minelli nicht nur wegen Beihilfe zum Selbstmord, sondern auch wegen Wuchers angeklagt ist, soll der mittlerweile 85-jährige Rechtsanwalt zwei aus Deutschland stammenden Frauen, Mutter und Tochter, 22'200 Franken in Rechnung gestellt haben, obwohl die effektiven Kosten für die Suizidbegleitung nur 10'400 Franken betragen hätten.
Die geforderte Summe habe die erbrachte Leistung um über 110 Prozent überschritten, womit Minelli «mutwillig in grober Weise gegen die Massstäbe des anständigen Verkehrs» verstossen habe. Die beiden Frauen hätten die stark überhöhten Rechnungen nur bezahlt, weil sie aufgrund ihres desolaten gesundheitlichen Zustandes und ihrer Lebensmüdigkeit sowie mangels anderer ersichtlichen Alternativen für eine schmerzlose und kontrollierte Selbsttötung in einer absoluten und existenziellen Ausnahmesituation befunden hätten.
«Nebelpetarde erster Güte»
Minellis Verteidiger versuchte vor Gericht zunächst zu verhindern, dass es überhaupt zu einem Verfahren kommt. Er verlangte dessen Einstellung. Dies, weil der Gesetzesartikel, der Beihilfe zum Selbstmord unter Strafe stellt, nur angewendet werden könne, wenn die Verstorbenen urteilsfähig waren. Die Anklage habe das nicht nachgewiesen. Man könnte Minelli daher allenfalls wegen fahrlässiger Tötung anklagen – aber die wäre bereits verjährt. Auch die persönliche Bereicherung sei nicht nachgewiesen, floss das Geld doch aufs Konto von Dignitas, nicht auf sein eigenes.
Der Staatsanwalt bezeichnete diese Argumente als «Nebelpetarde erster Güte». Die Verteidigung wolle «auf Teufel komm raus» verhindern, dass sich ein Gericht endlich mit diesem Fall befasse. Aus gutem Grund: Die erste der beiden mutmasslichen Straftaten verjähre schon im kommenden Juli. Das Gericht entschied schliesslich, die Verhandlung fortzusetzen. Es handle sich entgegen der Behauptung der Verteidigung nicht um eine «offensichtlich haltlose Anklage».
Heute Nachmittag hält zunächst der Staatsanwalt sein Plädoyer, dann Minellis Verteidiger. Letzterer will rund vier Stunden reden – mit einem Urteil dürfte daher heute Freitag nicht mehr zu rechnen sein.
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