Ein Apéro-Hit aus den 50er-Jahren ist zurück
Eine halbe Million Flaschen Jsotta-Wermut sind einst pro Jahre verkauft worden. Das Trendgetränk aus Zürich verschwand 1999. Jetzt wird es in Winterthur wieder hergestellt.
Früher war vielleicht nicht alles besser, Einiges aber schon. Zum Beispiel die Werbung für Apérogetränke. Der Clown, der auf einer Jsotta-Flasche rumklettert und mit einem Glas in der Hand dem Himmel zuprostet, wäre heute nicht mehr möglich. Werbung für Alkohol hat neutral zu sein – Emotionen sind gesetzlich verboten. Was geht: eine Flasche. Oder ein gefülltes Glas. Mehr nicht.
Genau so bewirbt die Winterthurer Firma Lateltin ihren Jsotta-Wermut. Nach einem Unterbruch von 18 Jahren hat sie die Produktion des ehemals so erfolgreichen Aperitifs wieder aufgenommen. Das Unternehmen setzt damit auf die steigende Beliebtheit, die der Wermut derzeit erlebt.
Die Geschichte des Jsotta-Wermuts ist faszinierend: In den 50er- und frühen 60er-Jahren gab es kaum einen Schweizer Haushalt, in dem nicht eine Flasche des roten oder weissen Gebräus stand. Eine halbe Million Flaschen verliessen jährlich die Fabrikhallen in der Zürcher Binz. Jsotta war so bekannt wie Ovo oder Aromat. Und der Name allgegenwärtig: Lastwagen kutschierten mit Jsotta-Werbung durch die Städte, Zisternenwagen mit Jsotta-Schriftzügen brachten auf der Schiene Wein aus dem Süden, Tageszeitungen und die «Schweizer Illustrierte» waren voll mit Jsotta-Werbung. Der Feuilletonist und Regisseur N. O. Scarpi – hinter dem Pseudonym versteckte sich Fritz Bondy – schrieb für Jsotta kleine Anekdoten und Witze für Zeitungsannoncen und ein Büchlein, die immer gleich anfingen: «Bei einem Glas Jsotta erzählt man sich . . .» In Zürich gab es am Haus an der Ecke Militärstrasse/Kasernenstrasse ein riesiges Jsotta-Gemälde. Es steht heute nicht mehr; im Neubau wirtet das Restaurant Cucina.
Leute wurden international
«Der Niedergang des Schweizer Wermutgetränks begann mit dem Aufstieg der internationalen Marken Martini und Cinzano», sagt Berthold Pluznik. Der heute 71-Jährige steht der Firma Lateltin als Verwaltungsratspräsident vor, von 1975 bis 2013 war er Geschäftsleiter. Das Unternehmen ist zu 100 Prozent in Familienbesitz der Pluzniks. «Die Leute begannen zu reisen und nahmen nicht nur Eindrücke mit nach Hause, sondern auch kulinarische Erlebnisse.» Man wollte damals als modern gelten, gab sich weltoffen und international – und demonstrierte das auch beim Genuss. Beim Aperitif griffen die Leute zu Flaschen «jenseits der Grenze», wie Pluznik sich ausdrückt. Dieser Wandel traf den Zürcher Wermuthersteller hart.
Für das definitive Aus des Zürcher Gebräus sorgte allerdings das Gesetz. Mit dem neuen Alkoholgesetz wurden 1999 einheimische Alkoholgetränke von einem Tag auf den anderen gleich hoch besteuert wie ausländische – der Heimatschutz für Kirsch und andere gebrannte Wasser und weniger starke Alkoholika fiel weg. Dadurch wurden Cognac, Whisky und Grappa, aber auch Sherry oder Wermut bis zu 50 Prozent billiger. «Im letzten Produktionsjahr verkauften wir nicht einmal mehr einen Zehntel der Menge der Rekordjahre, es gingen vielleicht noch 30'000 bis 40'000 Flaschen Jsotta weg», sagt Pluznik. Doch er blieb zuversichtlich: «Ich ging 1999 davon aus, dass unser Wermut irgendwann wieder auf den Markt kommt. Für das Unternehmen Lateltin war es das wichtigste Produkt, das es je im Sortiment hatte.»
Wann die Firma den Wermut zum ersten Mal hergestellt hat, ist unbekannt. «Als mein Vater 1934 ins Unternehmen eintrat, gab es den Jsotta schon.» Eingeführt worden sei er vom damaligen Chef, dem deutschstämmigen Max Lichtenberger. Dieser habe ein Auto der Marke Isotta Fraschini besessen, zu der Zeit eine Art italienischer Rolls-Royce. Mit dem Namen des Wermuts wollte er seiner geliebten Automarke die Referenz erweisen. Anders als Berthold Pluznik rechnete in der Firma niemand mehr mit einem Revival des Jsotta-Wermuts. Dazu brauchte es einen Geschäftsleiter, der von aussen kam: Sandro Vetterli steht Lateltin seit vier Jahren vor und trug die Idee vor etwas mehr als zwei Jahren in eine Geschäftsleitungssitzung. «Ich erntete nur ‹ghüsleti› Blicke dafür», sagt er. Doch er überzeugte seine Kollegen, die schon lange in der Firma mitarbeiten.
«Unser heutiger Wermut ist klar trinkfreudiger.»
Alte Rezepturen wurden hervorgekramt, ausprobiert und angepasst. Das alles braucht Zeit: Die Kräuter müssen für Wochen oder Monate in Wein und Weinbrand eingelegt werden. Im Gegensatz zu früher werden Schweizer Zutaten verwendet: bei Wein, Weinbrand und den 25 Kräutern. Die Zusammensetzung ist natürlich geheim. Herausgekommen ist ein modernes Getränk. So jedenfalls nennt es Berthold Pluznik. «Früher war unser Wermut sehr traditionell und klassisch: bitterer und etwas schwerer auf der Zunge. Der heutige ist klar trinkfreudiger.» Er soll die jüngere Kundschaft ansprechen, die nicht mehr so sehr auf Bitteres steht. Vor allem die rote Variante zeichnet sich durch eine fruchtige, tiefe Süsse aus.
Dem Retrotrend folgend beliess die Firma das Design der Flaschenetikette. Eine Ausnahme machte sie allerdings: Heute ziert eine Grafik der Stadt Zürich das Bild und nicht mehr das alte Fabrikgebäude mit schlotendem Kamin.
Der Jsotta-Wermut ist in Zürich unter anderen bei J. B. Labat und bei Intercomestible erhältlich, Drinks damit machen die Old Crow Bar und die Tales Bar.
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