Die Bobbahn im Gebüsch
In einer ehemaligen Kiesgrube bei Winterthur versteckt sich eine alte Trainingspiste des Zürcher Bob-Clubs. Auf der Bahn trainierte auch Hausi Leutenegger – vor dem Olympiasieg 1972.

Die Szenerie hat etwas Surreales: Neben einem Wanderweg bei Dinhard tauchen in einem Waldstück plötzlich zwei Schienen auf. Sie verlaufen rund hundert Meter auf einem asphaltierten Strässchen schnurgerade zwischen Büschen und Bäumen. Auf dem moosbewachsenen Schienenstück verkehren keine Züge, sondern Bobschlitten. Es handelt sich um die Rollbob-Trainingspiste des Zürcher Bob-Clubs (ZBC), eine Anschubbahn, die vor rund 45 Jahren in einer ehemaligen Kiesgrube hinter dem Ausflugsrestaurant Riedmühle angelegt wurde, wie es auf einer Infotafel an einem Stein neben der Bobbahn heisst.

Die Bahn macht einen eher verlassenen Eindruck. Laub liegt auf den Kunststoffmatten. Doch das täuscht: «Die Anlage ist immer noch in Betrieb», sagt Stefan Marty vom Zürcher Bob-Club. Die Piste sei zwar etwas in die Jahre gekommen, aber grundsätzlich noch gut im Schuss. In einem Schuppen neben der Bahn stehen zwei Rollbobs bereit. Vor den Trainingsfahrten müsse man jeweils das Laub wegwischen und die Tartanmatten richten. Im Schnitt einbis zweimal pro Woche trainieren Athleten auf der Anschubbahn, meist am Wochenende, vor allem jetzt im Herbst. Neben Athleten des Zürcher Bob-Clubs trainieren auch solche des Bobclubs Frauenfeld dort.
Sturz in den Froschteich
Die Bobpiste im Gebüsch hat eine bewegte Geschichte. 1971 suchte der Zürcher Bob-Club nach neuen Möglichkeiten, um den Bobstart ganzjährig trainieren zu können. «Man wusste, dass ohne schnelle Starts keine Siege zu holen waren», sagt Stefan Marty. Die erste Rollbobpiste des ZBC in Stürzikon war nicht mehr zeitgemäss, also suchte man ein Stück Land, um das neue Projekt zu verwirklichen. Fündig wurde der ZBC in der ehemaligen Kiesgrube in Dinhard, die der Baufirma Toggenburger gehört. Sie stellt das Land dem Club bis heute gratis zur Verfügung.
1971 begann der Bau der Trainingsbahn. Marty: «Die Zeit drängte, die Olympischen Spiele 1972 in Japan standen vor der Tür.» Das Trassee wurde eigens so angelegt, dass die Neigung genau jener der Olympia-Bobbahn in Sapporo gleichkam. Darauf wurden die Schienen verlegt und das Ganze asphaltiert. An einem alten Bob montierten die Piloten Rollen und eine spezielle Bremse. «Aber diese Bremse funktionierte oft nicht richtig, und der Bob flog mitsamt der Mannschaft Richtung Froschteich hinunter», steht in der ZBC-Chronik.
In Dinhard trainierten auch die späteren Viererbob-Olympiasieger von Sapporo, Jean Wicki, Hans Leutenegger, Werner Camichel und Edy Hubacher. «Es war eine harte, aber schöne Zeit», erinnert sich Hans «Hausi» Leutenegger (77). Von September bis Dezember 1971 habe der Wicki-Vierer regelmässig auf der Rollbobpiste bei Dinhard trainiert, erzählt der Unternehmer, Ex-Bobfahrer und -Filmstar.
«Jeden Mittwoch um 16 Uhr hiess es: Antreten zum Anstossen. Wicki war der Chef, man musste folgen, ob es regnete oder schneite.» Nach den Trainings gönnten sich die Athleten im nahen Ausflugsrestaurant Riedmühle jeweils einen Cervelatsalat und einen sauren Most, wie Leutenegger sagt. «Und wir haben mit unseren Fahrten geprahlt.» Der Konkurrenzkampf unter den Schweizer Bobpiloten sei damals gross gewesen. Neben dem Wicki-Team trainierten auch der Stadlerund der Candrian-Vierer auf der Rollbobpiste – jeder für sich, teils heimlich und darauf bedacht, ja keine Geheimnisse zur Starttechnik preiszugeben. Leutenegger: «Uns hat das Anschubtraining in Dinhard viel gebracht, beim Start erzielten wir immer Spitzenergebnisse.»
Schienen verkauft für Sanierung
Anfang der 90er-Jahre traten an der Bahn grössere Schäden auf. Die Wurzeln rissen den Asphalt auf, die Schienen waren verkrümmt, und der Bob entgleiste ständig, wie Marty sagt. Eine Totalsanierung drängte sich auf, doch die Finanzierung war schwierig. Da hatte der damalige Clubpräsident eine Idee: Jedermann konnte symbolisch ein Stück alte Schiene zum Preis von 1000 Franken pro Meter kaufen. Der Plan ging auf, die rostigen Schienen verkauften sich gut, die Bahn konnte saniert werden. Diesmal wurde ein solides Betonfundament erstellt, die neuen Schienen wurden aufgeschraubt und die Bahn mit einer Kunststoffmatte belegt. Im Herbst 1996 wurde sie in Betrieb genommen.
Um die Rollbobbahn für die Zukunft zu sichern, wünscht sich der Zürcher Bob-Club eine breitere Trägerschaft. Derzeit werde diskutiert, ob sich auch der Zürcher Kantonalverband für Bob, Skeleton und Rodeln daran beteiligen könnte, sagt Stefan Marty. Entschieden sei noch nichts. Auch Swiss Sliding, der Dachverband für den Bobsport in der Schweiz, ist noch immer froh um die Bahn in Dinhard, wie Thomas Lamparter, Chef Leistungssport, sagt. Die Piste sei sicher nicht vergleichbar mit Trainingsanlagen wie etwa in Andermatt, wo Profis trainieren. «Aber wir sind froh um jede Bahn, die es gibt, und um jeden Club, der Trainings anbietet.»
Ex-Olympiasieger Hausi Leutenegger denkt mit einer gewissen Wehmut an die Rollbobpiste zurück. Letztmals dort gewesen sei er vor etwa 15 Jahren, sagt er. «Jedes Mal, wenn ich auf der Autobahn in der Nähe vorbeifahre, denke ich an diese Zeit zurück. Und ich habe mir fest vorgenommen: Das nächste Mal, wenn ich in der Gegend bin, schaue ich dort vorbei.»
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