Die Uni Zürich platzt aus allen Nähten
Es wird eng an der Universität. Am schlimmsten ist es kurz vor den Prüfungen, wenn alle am Büffeln sind. Betroffene fordern Sofortmassnahmen.

Wer ein Konditionstraining des Akademischen Sportvereins Zürich besucht, wird gezwungen, mit wenig Platz auszukommen. Hunderte Menschen trainieren gleichzeitig in einer Turnhalle und bewegen Arme und Beine im Takt einer Bum-Bum-Musik. Das hat durchaus was Mitreissendes.
Nicht mitreissend, sondern eher lähmend ist, dass sich die Menschendichte längst auf das gesamte universitäre Leben übertragen hat. Lähmend für den Betrieb. Eine aktuelle interne Umfrage unter mehr als 4000 Mitarbeitenden der Uni Zürich zeigt: Viele Vertreter des Mittelbaus sind unzufrieden mit der Arbeitsplatz- und Raumsituation – darunter Professoren, Doktorierende, technische und administrative Angestellte. In gewissen Fakultäten fühlen sich mehr als die Hälfte der Befragten bei der Arbeit gestört: etwa durch herumschwirrende Kollegen oder laute Telefongespräche.
Wettlauf um Lernplätze in den Bibliotheken
Die Probleme sind der Uni bekannt. Stefan Schnyder, Direktor für Finanzen und Personal, sagte kürzlich in einem uniinternen Interview, die Universität platze «bekanntlich aus allen Nähten». In der Lernphase sei die Lage besonders prekär, schildert Polina Pokrovskaya, die gemeinsam mit Isaias Moser den Verband der Studierenden der Universität Zürich (VSUZH) präsidiert. Die nächste Lernphase beginnt im Dezember und dauert bis Januar.
Studentinnen und Studenten schalten dann in den Kampfmodus. Wer sich einen Lernplatz in seiner Lieblingsbibliothek ergattern will, handelt nach Darwin: «survival of the fittest» – das Überleben des Stärkeren. Oder des Schnelleren: Schon eine halbe Stunde vor Öffnung positionieren sich Studierende vor der Bibliothek. Öffnet sich die Tür, stürmen sie zu den Plätzen, die innert kurzer Zeit besetzt sind. Wer sich ein Tischchen geschnappt hat, besetzt es oft den ganzen Tag. «Studierende sind normalerweise zivilisiert und haben sich gern», sagt VSUZH-Präsident Moser. «Doch in der Bibliothek kommt es nicht selten zu hitzigen Wortgefechten.»
Lernplätze sind Mangelware: Studierende in der Zentralbibliothek Zürich. Foto: Reto Oeschger
Weichen Studierende auf andere Bibliotheken aus, werden sie teilweise weggeschickt. In der Bibliothek der Medizinischen Fakultät sind Lernplätze ausschliesslich für Medizinstudenten reserviert. Auch bei der Beschaffung der Literatur schenken sich gewisse Studierende nichts. So ist allgemein bekannt, dass Jusstudierende in der Bibliothek absichtlich Bücher falsch einsortieren, damit andere sie nicht finden können.
Und jetzt kommen auch noch die Gymnasiasten
Der VSUZH fordert Sofortmassnahmen: mehr Lernplätze und mehr Sitzungszimmer. Die Universität Zürich bestätigt das Problem. Die Immobilienentwicklung habe seit den 1990er-Jahren nicht mehr mit den Flächenbedürfnissen von Lehre und Forschung Schritt gehalten, sagt Mediensprecherin Rita Ziegler. Zugleich verweist sie auf zahlreiche Massnahmen, mit denen die Universität versucht hat, den Engpass bei den Lernplätzen zu begrenzen. Aktuell verfüge die Uni in ihren Bibliotheken über rund 3200 Leseplätze. Hinzu kämen rund 900 Leseplätze in der Zentralbibliothek Zürich.
Im Aufbau befindet sich laut Ziegler ein Belegungstool. Damit sollen verfügbare Lernplätze im Internet angezeigt werden. Der VSUZH begrüsst das. «In der Lernphase kommt es vor, dass Studierende pendeln statt lernen», berichtet Pokrovskaya: vom Hauptgebäude rauf zum Strickhof, weiter zum Irchel und dann nach Oerlikon. Auf verzweifelter Suche nach einem freien Platz.
Gut möglich, dass Studierende ab 2023 noch näher zusammenrücken müssen. Dann ziehen nämlich rund 2000 Gymischülerinnen und -schüler auf den Hügelcampus Irchel, wie der Regierungsrat vor zehn Tagen bekannt gegeben hat. Der Grund: Drei Kantonsschulen werden vollständig renoviert, die letzte davon bis 2032. Der Irchel dient als temporärer Unterschlupf.
Wer sich einen Platz geschnappt hat, besetzt diesen oft den ganzen Tag.
Auf dem Campus wurde der jugendliche Zuwachs äusserst kritisch aufgenommen: «Wir sind aus allen Wolken gefallen», sagt Alina Widmer, Geografiestudentin und Präsidentin der Studierendenpartei IG-Irchel. Auf dem Campus herrscht schon heute Platznot. Dass die Universität künftig auch eine Kantonsschule sein soll, sorgt für Irritation.
Inzwischen haben sich die Gemüter jedoch etwas beruhigt. Mit einem Informationsanlass gelang es der Unileitung, Zweifel teilweise zu beseitigen. «Sie haben uns einiges versprochen, was uns optimistisch stimmt», erklärt Widmer. So werden sich die Schülerinnen und Schüler in einer eigenen Mensa verpflegen, es entsteht ein provisorisches Bürogebäude, und das jetzige Angebot an Sporträumlichkeiten wird durch ein Provisorium mit zwei Turnhallen und Fitnessräumen ergänzt.
Auch beim öffentlichen Verkehr auf den Irchel wird gehandelt. Denn die Angst ist gross: Was, wenn die 2000 Gymnasiasten zeitgleich mit den Studierenden auf den Campus wollen? Schon heute sind die Busse und Trams am Morgen rappelvoll. Auf TA-Anfrage kündigt die Zürcher Baudirektion als zuständige Behörde Massnahmen an: Taktverdichtung der VBZ-Linien, Einsatz grösserer Fahrzeuge, angepasste Stundenpläne und verbesserte Velokonzepte.
Risse in den Wänden, bröckelnder Verputz
Viele Studierende und Mitarbeitende sind überzeugt: Die Unileitung hat ihr Raummanagement in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten vernachlässigt. Ab der grossen Personalexpansion in den 90er-Jahren sei zu wenig in die Infrastruktur investiert worden. Die Platznot spitzte sich zu, die Gebäudesubstanz litt. 2018 erhob die Universität das Immobilienmanagement zur Chefsache. Sie schuf erstmals ein Direktorat für Immobilien und Betrieb – auch im Hinblick auf die komplexen Bauvorhaben der Universität in den kommenden Jahren.
Die Stelle wurde mit François Chapuis besetzt, dem ehemaligen Aargauer Kantonsbaumeister. «Ein guter, längst notwendiger Schritt», sagt Co-Präsidentin Hannah Schoch von der Vereinigung akademischer Mittelbau der Uni Zürich. Mit Chapuis sei endlich ein kompetenter Ansprechpartner verfügbar, wenn es Probleme mit der Infrastruktur gebe.
Die Gebäudesubstanz sei teilweise bedenklich: bröckelnder Verputz, Risse in den Wänden und Probleme mit der Klimatechnik. In der Philosophischen Fakultät seien im Sommer Temperaturen von über 40 Grad gemessen worden. Das seien schwierige Bedingungen, um bei der akademischen Arbeit kühlen Kopf zu bewahren, sagt Hannah Schoch.
Die Universität war lange blockiert, was die Bewirtschaftung ihrer Infrastruktur betrifft, weil die Steuerungskompetenz im Immobilienbereich bei der Baudirektion lag. Erst 2015 übertrug der Kanton diese auf die Hochschule. Seither kann die Uni die Bauherrschaft für Um- und Neubauten selbst übernehmen. Das ermöglicht laut Mediensprecherin Rita Ziegler, anstehende Grossprojekte «bestmöglich auf den Bedarf von Forschenden, Lehrenden und Studierenden abzustimmen».
Erstellt: 10.11.2019, 21:40 Uhr
Gestiegene Personalkosten
Die Universität Zürich wächst und wächst. Im aktuellen Herbstsemester starteten rund 27000 Studierende ins Studienjahr, so viele wie noch nie. Einige werden allerdings während des ersten Jahres rausfliegen. In der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät starten jeweils rund 1000 Studierende in die zweisemestrige Assessmentstufe, nur knapp die Hälfte schafft den Übertritt ins zweite Studienjahr. Über die letzten Jahre gesehen ist die Zahl der Studierenden allerdings nur leicht angestiegen. Anders sieht es beim Unipersonal aus. Dieses ist innerhalb von zehn Jahren um rund 30 Prozent gewachsen. Beschäftigte die Uni im Jahr 2008 noch etwas über 7000 Angestellte, waren es 2018 bereits 9246 Personen, inklusiv Teilzeitarbeitender. Die Personalkosten stiegen im selben Zeitraum von 667 auf 883 Millionen Franken. Das ist ein Anstieg um 32 Prozent. Davon werden 680 Millionen aus universitären Mitteln bezahlt. Die restlichen Personalkosten werden durch Drittmittel finanziert. Die Universität erklärt den Anstieg mit zusätzlichen Assistenzprofessuren, die in den vergangenen Jahren geschaffen worden seien. (mrs)
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