Verdacht auf Misshandlung bestand schon länger
Pflegende in einem Heim in Adliswil sollen demente Patienten gequält haben. Erste Verdachtsmomente gab es bereits vor zwei Jahren.

Ist in der städtischen Alterssiedlung an der Badstrasse in Adliswil Ungeheuerliches geschehen? Eine demente Patientin soll im Juni körperlich schwer misshandelt worden sein. Sie wies angeblich massive Blutergüsse im Intimbereich auf. Eine Pflegemitarbeiterin meldete die Verletzungen unverzüglich bei der Pflegedienstleitung. Diese soll den Vorfall vertuscht haben. Die Vorwürfe gelangten am Donnerstag an die Öffentlichkeit, nachdem sich die Pflegemitarbeiterin und fünf ihrer Arbeitskolleginnen an den Fernsehsender «TeleZüri» gerichtet hatten.
Misshandlungen vertuscht
Mutmassliche Misshandlungen dementer Patienten sind in Adliswil nicht zum ersten Mal ein Thema. Bereits vor zwei Jahren sollen Mitarbeitende Zeugen von zwei Übergriffen auf Bewohner des Heims geworden sein. Eine Pflegende habe einen Mann verbal derart attackiert, dass dieser bis zu seinem Tod in Angstzuständen leben musste. Eine andere Pflegerin habe einem Patienten einen gefüllten Kehrichtsack auf den Kopf geschlagen. Auch damals blieben Meldungen an die Pflegedienstleitung ohne Folgen. Die beschuldigten Frauen seien sogar befördert worden. Da werden Erinnerungen an den Fall Entlisberg wach, der im Februar 2009 publik wurde. Im Wollishofer Pflegezentrum hatten Mitarbeitende wehrlose Demenzkranke in entwürdigenden Situationen mit dem Handy gefilmt.
Weil die sechs Mitarbeiter in Adliswil die für sie inakzeptable Situation nicht weiter hinnehmen wollen, haben sie seit Donnerstag ihre Arbeit niedergelegt. Adliswils Sozialvorsteherin Susy Senn-Fleischmann (FDP) kündigte eine lückenlose Aufklärung des Falls an. Sie hat bereits eine administrative Untersuchung eingeleitet.
Hotline für die Angehörigen
Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes wollte Senn gestern Freitag weder zu den beschuldigten Personen noch zu den streikenden Mitarbeitern Angaben machen. Die Heimbewohner und deren Angehörige würden jetzt schriftlich informiert. Für die Angehörigen habe man zudem eigens eine Hotline eingerichtet. Die FDP-Stadträtin räumte ein, man habe im Alters- und Pflegeheim Managementprobleme festgestellt. «Diese haben aber mit den angeblichen Vorfällen nichts zu tun», beteuerte Senn.
Dieser Darstellung widerspricht eine Mitarbeiterin, welche die Misshandlungen gemeldet hat und anonym bleiben möchte. Sie lässt kein gutes Haar an der Pflegedienstleiterin, spricht von gravierenden Missständen im Alters- und Pflegeheim und kritisiert Susy Senn: «Die Stadträtin hat uns vor einer Woche zwar zu einem Gespräch getroffen, sie hat uns aber nicht zugehört.» Deshalb hätten sie sich an «TeleZüri» gewandt. Sie und ihre Kolleginnen wollen die Arbeit erst wieder aufnehmen, wenn die Sache geklärt ist und die Konsequenzen gezogen sind. «Es tut mir weh für die Bewohnerinnen und Bewohner.» Sie finde kaum Worte: «Ich bin geschockt, wütend und traurig.»
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Erstellt: 25.09.2010, 08:16 Uhr
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