Abgang in Bedrängnis
Claudia Nielsens Rücktritt ist ein politisches Erdbeben. Der Stadtrat dürfte dankbar sein.
Heute Mittag um 12.30 Uhr war es vorbei mit der Ruhe im Zürcher Stadtratswahlkampf. SP-Stadträtin und Gesundheitsvorsteherin Claudia Nielsen zieht sich einen knappen Monat vor den Wahlen aus dem Rennen zurück. Es ist ein politisches Erdbeben, wie es Zürich schon lange nicht mehr erlebt hat.
Dass Nielsen die reglementswidrigen Verbuchungen zum Anlass nimmt, um aus dem Stadtrat zurückzutreten, verdient fraglos Respekt. Sie übernimmt die politische Verantwortung für Fehler, die in ihrem Departement geschehen sind. Das ist ehrenvoll.
Es bleiben aber grosse Fragen, welche längst nicht nur Stadträtin Nielsen, sondern die gesamte Stadtregierung betreffen. Die Hauptfrage lautet: Entschied sich Nielsen selber für den Rückzug? Oder wurde sie vom Stadtrat unter Druck gesetzt? Die genannten Verfehlungen für sich allein scheinen auf den ersten Blick nicht derart gravierend, dass ein Rücktritt zwingend gewesen wäre. Doch bei Nielsen kumulierten sich die Probleme, zu den neuesten Fakten kommen die finanzielle Schieflage der Stadtspitäler und die hohe Personalfluktuation in ihrem Departement hinzu.
Das heisst: Claudia Nielsen, die schon vor dem heutigen Mittag arg angeschlagen war, wurde durch die neuen Enthüllungen zu einer zu schweren Belastung für die gesamte rot-grüne Stadtratsmehrheit. Es war nun so viel zusammen gekommen, dass nicht nur Nielsens eigene Wiederwahl höchst gefährdet gewesen wäre - es drohte darüber hinaus der rot-grünen Stadtratsmehrheit ein nachhaltiger Kollateralschaden. Deshalb, so darf man annehmen, haben Nielsens rot-grüne Kolleginnen und Kollegen unter der Führung von Stadtpräsidentin Corine Mauch nun die Notbremse gezogen. Man wollte nicht den Eindruck erwecken, Rot-Grün helfe, stütze und trage sich gegenseitig bis in den Untergang und sehe auch grosszügig über Verfehlungen hinweg. Dass die abtretende Gesundheitsvorsteherin alleine vor die Medien treten musste, ohne Begleitung durch die Stadtpräsidentin oder einen anderen Kollegen, war ein starkes Symbol: Die Stadtratskollegen sind bereits auf Distanz gegangen.
Mauch dürfte zu denken gegeben haben, dass in der zu Ende gehenden Legislatur bereits zwei Skandale den Stadtrat erschüttert haben: der Fall Richard Wolff/Koch-Areal und die Ungereimtheiten rund um Entsorgung und Recycling Zürich mit dem aktuell zuständigen Stadtrat Filippo Leutenegger. Die Skandale erschütterten den Stadtrat als Ganzes, stellten aber auch Mauchs Führungsqualität in Frage. Es entstand der Eindruck, der Stadtrat sei ein Gremium von neun freundlichen Menschen, die sich gegenseitig machen lassen, sich nicht weh tun und sich freuen am netten Einvernehmen.
Bleibt die Frage, ob der Rücktritt von Claudia Nielsen diesen Eindruck zu korrigieren vermag. Nielsen selber vermag sich mit ihrem Abgang aufrecht zu verabschieden. Ob der Stadtrat und die rot-grüne Mehrheit aus dem heutigen Knall gestärkt hervor geht oder geschwächt, werden die Wähler am 4. März entscheiden.
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