Der urbane Liebesblick
Seit den 90er-Jahren fotografiert Andrea Helbling Häuser in der Stadt Zürich. Das Seltsame dabei: Das Grau in Grau verströmt auf ihren Bildern viel Charme.
Wenn jemand beim Interview bemerkt, er sei in Zürich geboren und aufgewachsen, wird das vom Journalisten in aller Regel in die Kategorie «Beigemüse» verfrachtet; in den meisten Storys ist das schliesslich höchstens ein Nebenschauplatz. Bei Andrea Helbling aber ist das anders, und zwar im doppelten Sinn. Allein schon wie sie diese Tatsache betont, zeigt: Zwischen Fotografin und Stadt besteht eine offenbar existenzielle Beziehung.
Und wenn sie dann am Telefon erzählt, wie sie bereits 1991, als sie an der Schule für Gestaltung die Fotoklasse besuchte, mit fiebriger Begeisterung alle Arten von Architektur entlang des Schulwegs eingefangen habe, und dass diese Versuche quasi die ersten Schritte ihres Langzeitprojekts gewesen seien, dem sie nun seit über zwei Jahrzehnten viele Gefühle und Stunden widme, streicht man «existenziell» wieder durch und notiert stattdessen: «Amour fou!»
Vieles existiert nicht mehr
Diese Liebe zur Architekturfotografie hat die heute 50-Jährige natürlich auch zur wichtigen Chronistin gemacht: Wie niemand sonst in Zürich hat sie mit ihrer Kamera auch etliche Gebäude, Strassen und Häuserkonglomerate abgelichtet, die zumindest in der damaligen Form oft nicht mehr existieren – oder die wir Normalsterblichen wegen vermeintlicher «Hässlichkeit» immerzu ignoriert hatten.
Für ihre eigenwillige «Werterhaltung» wurde sie im Frühjahr mit dem Swiss Photo Award in der Kategorie «Architektur» geehrt; Autorin und Kunstkennerin Nadine Olonetzky schrieb dazu im würdigenden Projektbeschrieb: «Mit unaufgeregtem, neugierigem Blick wird das übersehene Gesicht der Stadt Zürich in den Fokus genommen.» Der Preis war ein «Nebeneffekt» des Buchs mit 180 von Andrea Helblings prächtigsten Bildern, das 2015 konzipiert wurde und nun beim Verlag Scheidegger & Spiess erscheint – unter dem ironisch-lakonischen Titel «Vertreter der Gattung Haus. Zürich 1993–2016».
Menschenleer, aber anziehend
Besonders schräg wirkt die schmucklose Knappheit des Titels, wenn man im Gespräch miterleben darf, wie sinnlich die Künstlerin ihre Liaison zu fotografierten Bauwerken beschreibt. Wie sie über «urbane Landschaften» schwärmt. Und als Antwort auf die Frage, welcher technische Kniff dafür sorge, dass dieses meist menschenleer inszenierte Grau in Grau, diese faktisch kalte und starre Materie, derart viel anziehende Wärme ausstrahle, dass man unmerklich darin ein- und abtauche, keck sagt: «Das hat nichts mit Technik zu tun, es liegt an der Person, in dem Fall also an mir: Die urbane Umgebung hat bei mir einen Liebesblick bewirkt, auf den ich reagiert habe. Wenn man die Stadt nämlich als Organismus erkennt, bringt man sie zum Strahlen.»
«Das hat nichts mit Technik zu tun, es liegt an mir: Die urbane Umgebung hat bei mir einen Liebesblick bewirkt.»
Dennoch, das gesteht Helbling gern ein, sei die Ausrüstung wichtig. Fotografieren tut sie ausschliesslich mit einer sogenannten Fachkamera (anfänglich mit einem analogen Modell, seit einigen Jahren mit einem digitalen). Das sind schwere Apparate, bei denen man wie anno dazumal den Kopf unters Tuch steckt und bei denen der Prozess etwas länger dauert: «Manchmal brauche ich eine ganze Stunde vom Aufbau der Kamera über das Justieren, das Suchen der passenden Perspektive bis zum ein- oder zweimaligen Auslösen.» Wie bitte? Das ist doch der Witz an der Digi-Kamera, dass man drauflos knipsen und am Ende das beste Sujet rauspicken kann. Helbling widerspricht dezidiert: «Wenn ich mit halber Konzentration 50-mal auslöse, ist das Risiko, das gute Bild nicht einzufangen, weit grösser, als wenn ich voll auf den einen magischen Moment fokussiere.»
So (und nur so!) geht wahre fotografische Leidenschaft.
Vernissage: Morgen Mittwoch, 19 Uhr, Buchhandlung Never Stop Reading, Spiegelgasse 18, 8001 Zürich.
Andrea Helbling: Vertreter der Gattung Haus. Zürich 1993–2016. Scheidegger & Spiess, Zürich 2017. Texte von Beatrice von Matt, Nadine Olonetzky und André Bideau. 192 Seiten, 180 Fotos, ca. 70 Fr.
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