Ein Punk mit Zukunft
Was treibt eigentlich Rams? 40 Jahre nachdem der Zürcher dem Swiss Punk das Rocken beibrachte, sind wir dieser Frage nachgegangen.

Als wir vom dritten Untergeschoss ans Tageslicht zurückkehren, saust da oben, am Limmatquai, heftig klingelnd ein Tram vorbei. Das Geräusch reisst uns aus den Gedanken, in die wir versunken waren, sein Blick geht zum Himmel, meiner zur Uhr, sie zeigt zehn nach drei.
Ich muss lachen. Zwar nur innerlich, dies aber laut. Weil diese Punks ja kaum mal einen Song schreiben, der länger dauert als drei Minuten – in Interviews dem «In der Kürze liegt die Würze»-Prinzip jedoch gnadenlos den anarchistischen Mittelfinger zeigen.
Konkret: 2015 sass ich mit Rudi Dietrich in dessen Küche, der sinnige Kaffeeklatsch über das Dies- und Jenseits dauerte zweieinhalb Stunden; ich hatte in den schier endlosen Berufsjahren davor niemals ein annähernd so langes Frage-Antwort-Spiel durchexerziert. Bis Rams, Dietrichs einstiger Nasal-Boys-Bandkollege, die Bestmarke bei unserem Rendez-vous nicht einfach bricht, sondern regelrecht torpediert: Von der Begrüssung vor der Safari-Bar bis zum Moment, in dem alle Themen abgehandelt sind und wir den unterirdischen Übungskeller im Kreis 1 verlassen, verstreichen sagenhafte dreieinviertel Stunden.
«Neil Young für Arme»
Holy shit, Sie sagen es. Und doch sei betont: Ich würde keine dieser 195 Minuten missen wollen. Sie sind auch retrospektiv betrachtet noch immer besser als manch gute Netflix-Serie: Denn es ging um Leben und Tod, um Chancen und Haltungen, um links und rechts, um Rock und Romantik . . . und ja, wer hätte das gedacht: Es ging tatsächlich auch um Koketterie!
Wobei ich denke, Rams habe einen trockenen Witz ausgespuckt, als er beim Fotoshooting bemerkt, er sei aufs Alter doch ein bisschen eitel geworden. Weil sich Punk und Eitelkeit ja ähnlich fremd sind wie Delhi und gesunde Luft. Oder zumindest waren, in meinem Weltbild, bis zum Moment, in dem ich endlich checke – aha, no joke.
Eigentlich hätte ich es ahnen müssen. Denn «Rams» Ramseier ist ja auch niemals «No Future» gewesen (mit der Orthodoxie des Punks hat er nichts anzufangen gewusst, das steht so in den meisten Zeitungsartikeln, da und dort auch zwischen den Zeilen) – dafür 1989 aber plötzlich «Schweizer Rockstar des Jahres» geworden. Dies, obwohl sein erfolgreichstes Stück ein «langsames Lied mit akustischer Gitarre und Schnurregiige» sei, wie er mal einem Promikolumnisten gestanden hat. Sein Produzent habe den Song als «Neil Young für Arme» abgetan und darum gar nicht machen wollen, doch dann ist Helmut Zerlett eingesprungen, bekannt geworden als «Harald Schmidt Show»-Bandleader, und hat den Song auf Vinyl gebracht.
Für immer «Do it yourself!»
Er heisst «Goin' In All the Gears» und ist von 1988. Ist lange her. Und «lange her» passt grad gut, das ist nämlich auch das Motiv für unser Rekordtreffen. Schliesslich haben auch Journis so ihre Ticks. Einer ist beispielsweise die Suche nach allem, was sich in irgendeiner Form als «Jubiläum» verwerten lässt. Und als die gute alte Erinnerung vermeldet, dass sich im Herbst 1977 in der Limmatstadt doch der Punk einnistete und ausbreitete – Initiationsorte waren die Boutique Booster im Niederdorf sowie der Club Hey am Bellevue, zu Ur-Sakramenten wurden das Fanzine «No Fun» und die single «Hot Love» der ersten Schweizer Punkgruppe Nasal Boys –, ist es bis zur Frage «Hey, und was treibt eigentlich Rams?» natürlich nicht mehr weit.
Weil er, wie erwähnt, bei den Nasal Boys den Powerbass spielte (wenn auch nicht von Anfang an; beim legendären Gig von The Clash im Kaufleuten, bei dem «unsere» Pioniere als Vorband auftraten, sprang Rams noch als Fan durch den Saal). Aber auch, weil das zwar heftige, aber doch eher kurze Störmanöver namens Swiss Punk nicht Legionen charismatischer Kerle hervorbrachte, die noch heute bühnenpräsent geschweige denn -fähig sind. Oder, so zumindest die Vermutung: die dem «Do it yourself!» und anderen damaligen Überzeugungen stramm und aufrecht die Treue gehalten haben; allen Verlockungen und gar einer potenziellen Altersmilde zum Trotz.

Zum Glück geht es beim in Schwamendingen wohnhaften Altmeister gänzlich ohne Testfragen, um aus der Vermutung eine Gewissheit zu machen: Nach wenigen Minuten ist nämlich klar, dass er sich – bis auf die Eitelkeit! – keine kuurligen Sachen angewöhnt hat. Ebenso wenig hat er sich auf einen Jammeri-Groove eingetunt, der ja sonst bei Menschen, die bald mal Richtung Pensionsalter abbiegen, keine Seltenheit ist. Und schon gar nicht ist er zum nostalgischen Silberrücken mutiert, der Gewesenes überhöht und verklärt und schliesslich den bittersüssen Abgesang auf kommerziell verseuchten Punkrock (oder gleich auf die ganze Musikbranche) anstimmt. Nein, Rams ist auch vier Jahrzehnte später «what you see is what you get»: geerdet, geradeaus, gefitzt und gewitzt.
Diese Adjektive beschreiben zugleich den Modus Operandi, in dem wir unseren Tour d'Horizon absolvieren. Und dabei von Böcken (The Bucks, seine bekannteste Formation, mit der er dem Züri-Punk das Rocken beibrachte) zu «Röcken» (das Thema gehört nun mal zum anständigen Rock-'n'-Roll-Gespräch) hüpfen. Oder vom soundenden Filius («Mein strengster und wichtigster Kritiker») zur kickenden Tochter («Ich bin stolzer Vater einer Nationalspielerin»). Dann von Bern (wo er 1984 mit den Bucks doch noch das Vorprogramm von The Clash bestreiten durfte) ans Mittelmeer (wo er beim Schwimmen vor einigen Jahren das «natürliche High» entdeckte).
An weiteren Stationen begegnen wir Corine Mauch und Kuno Lauener (sowohl Zürichs Bass spielende Stadtpräsidentin als auch der Züri-West-Sänger outen sich im 2011 erschienenen Dokfilm «Rams Life» als Fans) und Iggy Pop («Sein Stück ‹The Passenger› habe ich an Konzerten schon sooo oft gecovert, dass ich manchmal glaube, ich hätte es selber geschrieben»), bis wir via der Sauberkeit im Proberaum («All die Bierdosen und Weinflaschen hier unten sind im Fall nicht von uns, wir sind die Ordentlichen») zur Sauberkeit beim Spielen («Punk in Ehren, doch ich will es nicht nur wuchtig, sondern auch präzis») und von da zurück zum Ausgangspunkt gelangen.
Gleich zwei Schicksalsschläge
Wenn es um Bands geht, geht es um Musiker. Womit wir das schwerste Kapitel dieser Story aufschlagen. Dass es um den scheinbar rastlosen Punkrocker in den letzten Jahren ruhiger geworden ist – dem Album «Beaten Up Dogs Don't Dance» (2014) und einem Dutzend Live-Gigs steht viel Funkstille gegenüber –, hat nämlich traurige Gründe: 2009 erleidet Drummer Päde Scherrer, mit dem Rams (O-Ton) «eine fast lebenslange musikalische Ehe führte» – man lernte sich 1977 bei den Nasal Boys kennen und schätzen –, einen Hirnschlag und muss aufhören (er ist heute wieder topfit und arbeitet als passionierter Schlagzeuglehrer).
Sechs Jahre später ereilt Philip Zeman, Rams «treusten Gitarristen», das gleiche Schicksal. Er will darüber reden, gerät aber ins Stocken. Plötzlich sagt er: «Als das passierte, hab ich zum ersten Mal überlegt, ob ich aufhören soll.» Genauso innig, wie er ins folgende Reflektieren hineingeht, kommt er auch wieder heraus. Und weiss, dass es weitergeht. Weitergehen muss. Weil Schlagzeuger Pidi Leuenberger, Gitarrist Boris Müller und er eine tolle Truppe bilden würden. Weil da schon noch ein bisschen Musik in ihm stecke. «Und weil ich die Bühne noch nicht satthabe . . . und sie mich glaub auch nicht.» Er lacht.
Abschied von Martin Stricker
Wie wahr das ist, zeigt sich Wochen nach unserem Interview, beim «Karaoke From Hell» im Mascotte vom 31. Oktober – mit diesem Anlass beschert man dem verstorbenen Club-Mitinhaber und Celtic-Frost-Bassisten Martin «Ain» Stricker ein adäquates Farewell, viele Kumpels und Weggefährten performen auf der Bühne einen Abschiedssong. Rams geht als einer der Letzten rauf. Und haut Iggys (oder eben seinen) «Passenger» raus. Diese Energie! Diese Phrasierung! Eine Wucht! Im Saal ist man am Pogen, und als er sich des T-Shirts entledigt, auch am Kreischen.
Kein Zweifel, Rams ist «Future», ein Punk mit Zukunft. Das lässt sich auch am Schlusssatz im Übungskeller ablesen, er lautet: «Hey, schreib doch für die Veranstalter da draussen, dass man uns buchen kann und dass wir ein paar heisse neue Sachen haben. Das wäre flott.»
Nächstes Konzert: Rams mit Band, 21. 12., Kon-Tiki-Bar. Wer die Band kontaktieren möchte: www.facebook.com/ramszueri
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch