«Es gibt in der Zürcher Sozialhilfe kein Wirrwarr»
Die frühere Sozialvorsteherin Monika Stocker (Grüne) reagiert auf den Expertenbericht über Zürichs Sozialhilfe: Reformen seien nötig und bereits unter ihrer Ägide eingeleitet worden.

Frau Stocker, eine Studie der Universität St. Gallen übt vernichtende Kritik an der Organisation der Stadtzürcher Sozialhilfe. Das System biete viele Risiken für Pannen, sei zu wenig transparent und ineffizient. Was sagen Sie dazu, sehen Sie jetzt Ihr Lebenswerk in Trümmern?Nein. Ich finde die Studie spannend, ich habe sie ja auch, zusammen mit dem Stadtrat, in Auftrag gegeben. Nur: Es ist eine theoretische Studie, die man jetzt auf die real existierende Politik im Kanton Zürich mit seinem Sozialhilfegesetz herunterbrechen muss. Das soll man jetzt anpacken, und es ist auch gut, dass dies neue Leute tun. Klar ist für mich: Es gibt Reformbedarf.
Sie waren 14 Jahre lang verantwortlich für Zürichs Sozialhilfe, in der die Experten jetzt Doppelspurigkeiten, fragwürdige Kontrollen und unklare Zuständigkeiten orten. Warum haben bei Ihnen nicht früher die Alarmglocken geläutet?Moment, ich gelte ja nicht gerade als reformfaul. Es gab in den 14 Jahren drei Reformen des Gesamtsystems; eine kurz vor meinem Amtsantritt, 1993/94. Dann kam 2003 eine Reform der Geschäftsordnung der damaligen Fürsorgebehörde, schliesslich gab es 2006 die Reform mit der Einführung des Sozialinspektorats und dem klaren Entscheid, eine grosse Reform mit einer allfälligen definitiven Verankerung des Inspektorats solle folgen. Eines muss man sehen: Die Reformen in der operativen Arbeit – Schaffung von Sozialzentren, Arbeit statt Fürsorge – standen bei mir stets im Vordergrund; sie waren zur Bewältigung der stark gestiegenen Fallzahlen dringend und für die Betroffenen zentral.
Aber hätten Sie nicht schon viel früher energisch auf Änderungen hinwirken sollen?Die Strukturen der Sozialhilfe waren immer wieder ein Thema. Die grosse Reform wurde aber mit guten Gründen erst für die laufende Legislatur geplant. In der Legislatur davor stand die neue Verfassung des Kantons zur Diskussion, die Auswirkungen auf das Sozialwesen hatte. Auf kantonaler Ebene wurde die Revision des Sozialhilfegesetzes beraten; darauf musste die Stadt warten. Das Ziel, auf die Legislatur 2010 mit einer neuen Struktur zu starten, halte ich für realistisch.
Hat der Wirrwarr nicht den Missbrauch der Sozialhilfe wesentlich erleichtert?Wirrwarr ist nicht gerade ein wissenschaftlicher Begriff; er erstaunt mich als zentrale Aussage der Verfasser des Berichts. Ein Wirrwarr gibt es in der Zürcher Sozialhilfe nicht, man kann schon durchblicken, wenn man wirklich will. Aber: Es gibt in der Sozialhilfe sehr viele Anspruchsgruppen und historisch gewachsene Doppelstrukturen: der Kanton als Gesetzgeber, die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe SKOS, dann die politischen Instanzen in den Kommunen, und eben die Sozialbehörde. Sie alle haben «ihren» Blick auf die Sozialhilfe. In der Folge all dieser Ansprüche und der politischen Einflussnahme gibt es wohl eher zu viele als zu wenig Kontrollen, interne und externe. Der Bericht der Geschäftsprüfungkommission (GPK) hat empfohlen, eher die Überregulierung abzubauen, die wenigen Regeln dann aber konsequenter zu kontrollieren.
Gibt die Studie nicht Ihren jahrelangen Kritikern, SVP und «Weltwoche», Recht?Das ist ein Missverständnis. Die politische Kritik zielt auf die Art der Hilfe und die Höhe der Unterstützungsleistungen. Hier aber geht es um die Abläufe im Sozialhilfeprozess, denen die Studie ihr Managementmodell gegenüberstellt. In politischen Führungsbereichen gibt es gewachsene Strukturen, die der modernen Managementpraxis entgegenstehen. Es ist ein Dilemma: Einerseits wollen alle die politische Legitimation möglichst breit verankert wissen, nicht nur bei den Sozial-, sondern auch bei den Schulbehörden. Gleichzeitig will man in den Ämtern schlanke Abläufe, schnelle Entscheide und klares Controlling.
Mehrere frühere Berichte, zuletzt der Bericht Arbenz, kamen zum Schluss, in der Zürcher Sozialhilfe gebe es zwar einzelne Schwachpunkte, aber grundsätzlich funktioniere sie gut.Den Berichten lagen unterschiedliche Aufträge zugrunde. Die GPK und der Bericht Arbenz hatten zu klären, ob gravierende Fehler unter den bestehenden Gesetzen passiert seien, wie dem Departement vorgeworfen wurde. Beide Berichte hielten fest, dass die Arbeit der Zürcher Sozialhilfe grundsätzlich gut funktioniere. Der Bericht der Uni St. Gallen sollte einen zukunftsorientierten Blick auf die Sozialhilfe werfen unter dem Aspekt «Good governance». Da erstaunt es nicht, dass es Divergenzen gibt.
Ihr Nachfolger Martin Waser (SP) hat Reformen angekündigt. In welche Richtung müssten diese gehen? Soll die Sozialbehörde abgeschafft werden?Ich gebe keine Zukunftsempfehlungen ab. Die Arbeit liegt nun bei den amtierenden Instanzen. Ich bin sicher, dass es eine gute «zürcherische» Lösung geben wird.
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