«Das soziale Netz funktioniert hier»
Bruno Kümin gehört seit 60 Jahren zur Stammkundschaft der Bodega Española in der Zürcher Altstadt. Was macht dieses Restaurant aus?
Jetzt also die Bodega. Der Zürcher Fotograf Christian Schwarz hat Restaurants und Bars als Fotostudios entdeckt: Hier porträtierte er die Gäste und damit die Bewohner dieser Stadt. Schwarz' Bilder sind nahe an den Leuten und am Leben. So auch in seinem neusten Buch über die Bodega Española, diesem Traditionslokal an der Münstergasse. Die Bilder, aufgenommen zwischen 1996 und 2016, erzählen viel über das Restaurant, das 1874 gegründet wurde. Einer, der seit Jahrzehnten zu den Stammgästen zählt, ist Grafiker und Designer Bruno Kümin. Der 77-Jährige verkehrt seit sechzig Jahren in der Bodega.
Wie oft besuchen Sie die Bodega?
Mindestens einmal pro Woche, meistens am Freitag. Wir sind eine bunt gemischte Truppe aus Architekten, Kunstmalern, Psychiaterinnen, Sozialarbeitern. Wenn ich mal länger weg bin, dann fehlt mir die Bodega, mir fehlen die Leute.
Machen Sie jeweils ab?
Nie. Das ist noch genau wie früher. Man geht hin und kennt immer jemanden, man redet und schaut zueinander.
Man schaut zueinander?
Für mich ist die Bodega ein wichtiger sozialer Treffpunkt in meinem Leben. Das soziale Netz funktioniert hier. Fehlt eine Person längere Zeit, dann erkundigen wir uns nach ihr. Ist einer krank, dann kümmern wir uns um ihn. Ich würde die Bodega auch heute noch als Heimat bezeichnen – bloss ist mir der Begriff etwas zu stark SVP-Sprech. Aber hier bin ich gut aufgehoben.
Welche Rolle spielt das Personal?
Eine grosse, ich gehe auch deswegen gerne hin. Die Kellner sind grandios, alles Spanier und Portugiesen, die stolz sind auf ihren Beruf, die mit Charme und Anstand arbeiten. Santiago etwa hat einmal Frau und Kinder, seine ganze Familie, ins Restaurant mitgebracht, um sie uns vorzustellen. Das Wirtepaar setzt sich jeden Mittag zu den Gästen und isst mit ihnen. Wo gibt es das sonst noch?
Das tönt familiär.
Sehen Sie, in der Bodega ist es so: Wenn jemand etwas aus den Ferien mitbringt, dann schneiden die Wirte das auf und servieren es. Neulich kam Edi Brunner aus dem Maggiatal mit einem riesigen Panettone zurück. Der wurde unverzüglich aufgeschnitten und aufgetragen. Das ist hier selbstverständlich.
Ist in der Bodega die Zeit stehen geblieben?
Ich würde weiter gehen und sagen: In der Bodega findet eine Gegenentwicklung statt. Je hektischer und schnelllebiger die Zeit wird, desto mehr wird hier die Zeit nach hinten gedreht. Draussen ist Rambazamba – aber hier drinnen kann man verweilen.
Wie wurde die Bodega zu Ihrem Stammlokal?
Ich studierte an der Kunstgewerbeschule und wir Studenten bewegten uns in unserem Bermuda-Dreieck: Odeon, Bodega, Malatesta.
Was machte die Bodega aus?
Ein Gläschen Rioja kostete damals 90 Rappen. Und man durfte das Essen dazu selber mitbringen, das war ein wichtiger Faktor. Später hatte ich mein Atelier oberhalb des Centrals und war regelmässig über Mittag im Restaurant. Man isst hier ausgezeichnet, und es ist eines der schönsten Lokale in Zürich.
Schaut man sich Schwarz' Fotoband an, stellt man fest, wie viele verschiedene Leute hier verkehren.
Christian hat das Lokal und die Gäste gut eingefangen. Es ist tatsächlich so, dass je nach Tageszeit andere Grüpplein hier sind. Und dass es hier für alle Platz gibt.
Haben Sie einen Stammplatz?
Jein. Etwas vom Besten ist, dass man nicht reservieren kann. Man setzt sich einfach dazu. Sicher, wir haben alle so etwas wie unsere Stammplätze – aber manchmal sind die besetzt. So entstehen immer wieder neue Kontakte und interessante Gespräche. Ich finde das bereichernd. Überhaupt wird hier die Gesprächskultur gepflegt.
Können Sie ein Beispiel dafür nennen?
Früher nahm ich meinen Enkel Pablo jeweils mittwochs mit zum Mittagessen mit. Er war in der Sek und wurde einmal gefragt, was er denn lernen möchte. Möbelschreiner schwebe ihm vor, antwortete Pablo. Also bot der Künstler Albert Mauerhofer an, ihm in seinem Atelier die Kunst des Holzschnitts zu zeigen. Architekt und Kunstmaler Beat Maesch brachte ihm ein Buch über japanische Holzverbindungen mit.
Hat Pablo schliesslich Möbelschreiner gelernt?
Ja. Und seine Abschlussarbeit handelte von japanischen Holzverbindungen, solchen ohne Schrauben und Nägel.
Was verrät diese Geschichte über die Bodega-Gäste?
Dass sie einander zuhören und sich füreinander einsetzen.
Wann eigentlich ist es in der Bodega am schönsten?
Im Sommer. Alle sitzen draussen – und hier drinnen ist es wunderbar kühl und still. Alle Fenster stehen offen und das Licht ist wunderbar.
Christian Schwarz: Bodega, 300 Seiten, auf 200 Exemplare limitierte Auflage, 120 Franken, erhältlich in der Bodega oder unter www.christianschwarz.ch.
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