Kahlschlag im Paradies
Eine Geschichte vom Ende eines wunderschönen Gartens im Höngger Rütihof und vom hemdsärmeligen Vorgehen eines quartierbekannten ehemaligen Landwirts.
Am 9. Dezember klingelt das Telefon bei Marcel Odermatt. Es ist ein Freund: Ob er wisse, was gerade in seinem Garten im Rütihof abgehe. Odermatt, dem Hobbygärtner, schnürt die Frage die Kehle zu. Sofort macht er sich auf den Weg zum Landplätz in Höngg, den er zusammen mit andern Gärtnerinnen seit zwölf Jahren gepachtet hat und der an lauen Tagen zu einem Treffpunkt für das ganze Quartier geworden war.
Odermatt will nicht glauben, was er dort sieht. Das Gartentor, das abgeschlossen war, steht offen, es wurde offensichtlich aufgebrochen. Im Garten sind mehrere Mitarbeiter der quartieransässigen Gärtnerei fast fertig mit ihrer Arbeit. Von den gegen zwanzig Bäumen – Zwetschgen, Mirabellen, Holunder, Tujen, Eschen und Ahorn – steht kein einziger mehr. Nur der einst mächtige Nussbaum ragt noch als Skelett empor. Doch sein Fall ist beschlossen.
«Das ganze gepachtete Grundstück wurde abgeholzt», sagt Odermatt. All die Hortensien, Cassis, Kirschen, Rosen und Flieder, über die Jahre angepflanzt und hochgezogen, sind nicht mehr. Die Pergola mit den schönen Reben ist zerstört, die Brombeeren zerfetzt, der Zaun teilweise eingedrückt. Der «Hort der Artenvielfalt, die Oase für viele Menschen», die Odermatt und seine Mitgärtnerinnen geschaffen hatten, nur noch Erinnerung.
«Es war ein kleines Paradies», sagt Odermatt nicht ohne Stolz. Selbst der benachbarte Profigärtner habe sie dafür gelobt. Kinder hätten gelernt, ihre Spielumgebung aus eigener Fantasie abenteuerlich zu gestalten. Odermatt und seine Gartenkolleginnen Silvia Büchi, Hedi Heutschi, Viviana Velardi und Rachel Jenkins sind schockiert. Auch Wut regt sich. Denn die überraschende Rodung der letzten Dezember verkauften Bauparzelle war – so viel steht fest – «ein ziemlich dreistes Stück».
Seit Jahrhunderten in Höngg
Was suchten die mit Lastwagen und Kran zu Werke gehenden Gärtner überhaupt in seinem Garten?, fragte Odermatt. «Wir führen einfach nur unsere Arbeit aus», erhielt er zur Antwort. Der Eigentümer der Parzelle, Ernst Geering, habe die Parzelle verkauft und ihnen den Auftrag zur Rodung erteilt. Nun, der Name Geering ist in Höngg ein Begriff, ja sogar Geschichte. 500 Jahre lang gabs in der ehemaligen «Civilgemeinde Birch-Rütihof» nur Geerings in der Chronik und keinen einzigen andern Namen. Ernst Geering ist jemand in Höngg-Rütihof. Seit vielen Jahren ist er der Pächter der beliebten Wirtschaft Grünwald am Höngger Waldrand. Sein Wort hat Gewicht. Er war auch mit dabei, als die städtische Ringling-Siedlung gebodigt wurde.
Eine Vorinformation an die Pächter? Hätte nichts geändert. Geering sei der Landbesitzer und könne machen, was er wolle, beschieden die Gärtner Odermatt. Die Inhaber der quartieransässigen Gärtnerei wollten sich gegenüber dem «Tages-Anzeiger» zur Sache nicht äussern. Immerhin: Odermatt wurde einige Wochen vorher von der Gärtnerei mündlich über eine von Geering in Auftrag gegebene Rodung informiert. Es sei ihm damals aber bestätigt worden, sie würde nicht ausgeführt, bevor gebaut werde. Zudem hätten sie als Pächter, solange ihre Pacht laufe, ihr Einverständnis zur Rodung geben müssen. Aber das ist nie geschehen: «Geering selber hat uns weder über die Eigentumsübertragung noch über die Rodung informiert», sagen die Pächter.
«Wir wurden vom Besitzer weder über die Übertragung des Eigentums noch über die Rodung informiert.»
Odermatt vermutet, dass mit der überraschenden Rodung ein Fait accompli habe geschaffen werden sollen. Geering habe ihn schon vor längerem einmal sanft gedrängt, einige Bäume zu fällen – wegen angeblich drohender städtischer Auflagen. Durchs Faktenschaffen, so der nagende Verdacht, habe sich Geering jetzt wohl behördlichen Ärger ersparen wollen.
Alles Quatsch, wenn man Geering glaubt. Und eine Straftat schon gar nicht. Die Pächter, sagt der ehemalige Landwirt, der seit Jahren teilweise in Kanada wohnt, hätten «seit zwei Jahren keinen Pachtzins mehr bezahlt». Damit sei für ihn klar gewesen, dass «das Pachtverhältnis aufgelöst ist».
Tatsächlich floss in den letzten zwei Jahren kein Pachtzins mehr. Aber, wehren sich die Pächter, «wir hatten gar keine Gelegenheit zu bezahlen». Geering habe «weder eine Zahlung des Pachtzinses auf sein Konto akzeptiert, noch wollte er ein Couvert mit dem Geld in seinem Briefkasten haben», sagt Odermatt. Trotz mehrmaliger Telefonate sei es deshalb nie zu einer Übergabe der 300 Franken Pachtzins gekommen.
Doch Geering ist sich keiner Schuld bewusst. Er habe lediglich «aufgeräumt», sagt er. Und überhaupt: Im Garten selbst habe er einzig den Nussbaum fällen lassen, dessen Krone zum Teil «schon abgestorben» war. Beim Fällen habe man dann auch gesehen, dass der Stamm hohl sei. Ein früher Tod, in jedem Fall. Denn noch im Herbst 2015 will Odermatt «gegen hundert Kilogramm beste Nüsse» vom Baum gelesen haben.
Nur «Scharniere abmontiert»
Doch durften Geerings Auftragsleute sich überhaupt Zutritt zum Garten verschaffen und das Tor aufbrechen? Ach, sagt Geering, die Gartenfirma habe doch «nur die Scharniere abgeschraubt und nach getaner Arbeit wieder angeschraubt». Er versteht die ganze Aufregung nicht. Es sei doch «überhaupt kein Schaden entstanden». Alles nur «ein Sturm im Wasserglas». Natürlich habe es vor der Eigentumsübertragung schnell gehen müssen, räumt er ein. Die neue Besitzerin, eine Winterthurer Immobilienfirma, «wollte alles weghaben, was höher als 1,5 Meter ist», auch wenn erst in zwei, drei Jahren Wohnungen entstehen sollen. Da hat der einstige Landwirt, das Zupacken gewöhnt, vorwärtsgemacht.
Die Hobbygärtner wissen, dass sie Strafanzeige erheben könnten. Doch sie verzichten: «Die Bäume sind sowieso nicht mehr zu retten.» Aber sie fordern Geering auf, dass er das, was noch zu retten ist, wieder in den vorherigen Zustand versetzt. Für Geering ist das keine Option: «Ich habe nichts kaputt gemacht, alles steht noch», behauptet er. Deshalb ist für ihn auch klar: «Eine Entschädigung gegenüber den Pächtern kommt nicht infrage.» Aber, bietet er an, sie könnten «ruhig weitergärtnern».
Würden sie sich aber querstellen, dann wolle die neue Eigentümerin auch nicht mehr. Seltsamerweise weiss die neue Besitzerin aus Winterthur allerdings nicht, dass überhaupt ein Pachtvertrag mit Odermatt besteht oder je bestanden hat.
Das Vorpreschen Geerings mag man als hemdsärmelig abtun, aber «so einfach ist das nicht», sagt Felicitas Huggenberger vom Zürcher Mieterverband. Auch wenn die Pacht zwei Jahre lang nicht bezahlt worden sei, erlischt ein Pachtverhältnis nicht einfach so. «Der Vermieter muss den Pachtzins mit einer Zahlungsfrist von mindestens 60 Tagen einfordern», sagt die Expertin. Erst wenn diese Frist unbenutzt abgelaufen ist, könne das Pachtverhältnis fristlos gekündigt werden. Für Huggenberger ist somit klar: «Der Vermieter war nicht berechtigt, das Grundstück einfach platt zu walzen.»
Ein trauriges Ende eines wunderbaren Gartens. «Es war», bilanziert Odermatt, «eine schöne Zeit in einem kleinen Paradies, an dem viele Freunde und Nachbarn Freude hatten.» Man habe es sehr geschätzt, Geerings Parzelle zwölf Jahre lang nutzen zu dürfen. Aber auch wenn sie alle gewusst hätten, dass dieser Tag einst kommen müsse, hätten sie sich doch ein Ende mit Ankündigung gewünscht: «Dann hätten wir in Dankbarkeit und den Tränen nahe mit einem Fest von unserem Garten Abschied genommen. Und Herr Geering wäre unser Ehrengast gewesen.»
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