Kaum ein Spital ist voll ausgelastet
Bürgerliche Politiker kritisieren die schlechte Belegung im neuen Triemli-Bettenhaus. Ein Vergleich mit anderen Spitälern relativiert diese Kritik – und zeigt die Tücken der Statistik.

Schon bevor das neue Bettenhaus des Triemli im März 2016 in Betrieb ging, war seine Grösse ein Thema. In Spitalkreisen hiess es, der Bau sei überdimensioniert. Man brauche in Zukunft nicht mehr, sondern weniger Betten, weil die Patienten weniger lang im Spital blieben und immer mehr Operationen ambulant durchgeführt würden. Das alte Triemli-Bettenhaus hatte eine Kapazität von rund 500 Betten, effektiv in Betrieb waren am Schluss 467 Betten. Im neuen hätte es Platz für 550, bereitgestellt wurden allerdings nicht mehr als im alten. Gesundheitsvorsteherin Claudia Nielsen (SP) wies den Vorwurf einer Fehlplanung zurück und zeigte sich bei der Eröffnung zuversichtlich: «Ich bin sicher, dass wir froh sein werden um die Grösse», sagte sie im TA-Interview. Die Stadt wachse, und die Spezialisten des Triemli seien über den Kanton Zürich hinaus gefragt.
SVP: «Ein Flop»
Der Stadträtin war bewusst, dass das Spital wegen des 290-Millionen-Neubaus einige Jahre lang Defizite schreiben wird, denn die Abschreibungen sind sehr hoch. Nielsen rechnete bei der Eröffnung mit jährlichen Defiziten von rund 10 Millionen Franken. Effektiv ist das Minus nun dreimal so hoch. Die bürgerlichen Parteien nehmen die Entwicklung zum Anlass, um Wahlkampf zu machen – Anfang März werden in Zürich Stadtrat und Gemeinderat neu gewählt. Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass sie SP-Stadträtin Claudia Nielsen scharf kritisieren. Die Gesundheitsvorsteherin sei «sichtlich überfordert», stellt die SVP in ihrem jüngsten Communiqué fest und schreibt: «Was sie mit ihrer Führung der Stadtspitäler lanciert, ist ein finanzielles Fass ohne Boden. Der Bau des neuen Bettenhauses ist ein Flop, weil dieses eine ungenügende Auslastung hat.»
Der TA hat versucht, diese Aussage zu verifizieren, und hat nicht nur vom Triemli, sondern auch von verschiedenen anderen Spitälern Angaben zur Bettenbelegung erbeten. Mit unterschiedlichem Erfolg. Die einen lieferten die gewünschten Zahlen, andere taten dies nicht. Aus der Sicht der Spitäler ist die Bettenbelegung heute keine aussagekräftige betriebswirtschaftliche Grösse mehr. Mit der Einführung der Fallpauschalen im Jahr 2012 wurden vielmehr die Fallzahlen zum relevanten Wert: Je mehr stationäre Patientinnen und Patienten ein Spital behandelt, und je rascher diese wieder austreten, das heisst ihr Bett wieder frei machen, desto mehr verdient das Spital.
Früher gab es Tarifabschläge
Vor der Einführung der neuen Spitalfinanzierung lag der offizielle Richtwert bei einer Bettenbelegung von 85 Prozent. Spitäler, die darunterlagen, erhielten einen Tarifabschlag. Heute gibt es laut der Zürcher Gesundheitsdirektion «keine einheitliche optimale Bettenbelegungsquote» mehr. Eine Quote von gegen 100 Prozent sei in der Praxis «unrealistisch und auch nicht wünschenswert», da ein Spital gewisse freie Kapazitäten benötige, um handlungsfähig zu sein und Notfälle aufzunehmen.
Die Gesundheitsdirektion (GD) erfasst die Zahlen aber weiterhin. Die Spitäler, die auf der Zürcher Spitalliste sind und damit grundversicherte Patienten aufnehmen, wiesen 2012 eine Belegung von 75 Prozent auf. Der relativ tiefe Wert erklärt sich mit einer Umstellung in der Statistik: Vor 2012 wurden die Tage gezählt inklusive Eintritts- und Austrittstag, seither die Nächte. In den letzen fünf Jahren steigerten die Listenspitäler laut GD ihre Belegung auf durchschnittlich 79 Prozent. Diese Zahl ist allerdings mit Vorsicht zu interpretieren, da sie auf Angaben der Spitäler beruht und die Betriebe die geforderten Daten zum Teil unterschiedlich erheben.
Bettenwechsel alle fünf Tage
Das Triemli hatte laut eigenen Angaben 2016 eine Belegung von 76,3 Prozent. Im laufenden Jahr dürfte diese gemäss einer Hochrechnung leicht tiefer, bei 75,6 Prozent, liegen. Damit ist das Stadtspital in guter Gesellschaft. Das Kantonsspital Winterthur, das punkto Wirtschaftlichkeit als Vorzeigespital gilt, weist sowohl fürs letzte als auch fürs laufende Jahr eine Belegung von 76,1 Prozent auf. Das Universitätsspital nennt im Jahresbericht 2016 eine Belegung von 76,8 Prozent. Und im Spital Zollikerberg betrug diese 76,3 Prozent. Direktorin Orsola Vettori sagt, dass die Auslastung im neuen System mindestens 75 Prozent betragen sollte. «Unter 75 Prozent gefällt es uns nicht.»
Die ständig kürzer werdende Aufenthaltsdauer wirke sich negativ auf die Auslastung aus, gibt Vettori zu bedenken. «Der Zeitanteil, der mit dem Bettenwechsel verbunden ist, wird immer grösser.» Der ärztliche Direktor des Triemli, Andreas Zollinger, weist auf die gleiche Problematik hin: «Unsere Patienten bleiben heute im Schnitt 5,3 Tage im Spital. Das heisst, dass alle 5,3 Tage ein Tag anfällt, an welchem der Patient noch da ist und gepflegt wird, sein Bett aus statistischer Sicht aber leer steht.»
Eine moderne Bettenbewirtschaftung verlaufe dynamisch, erklärt Zollinger. So könne es sein, dass das Spital einige Zimmer vorübergehend schliesse, weil Pflegepersonal fehle – wegen Krankheit oder Rekrutierungsschwierigkeiten. Oder weil man, wie diesen Oktober, das Operationsprogramm strafft, damit möglichst viele Angestellte in der Schulferienzeit Überzeit abbauen können. Das Triemli mit seinem hohen Anteil an Notfallpatienten – rund 60 Prozent der stationären Patienten treten über die Notfallstation ein – müsse auch «eine erhebliche Zahl» von Betten freihalten, gibt der ärztliche Direktor zu bedenken. Das alles wirkt sich negativ auf die Auslastung aus.
Zollinger betont, das Triemli behandle immer mehr Patientinnen und Patienten. Speziell letztes Jahr gab es ein starkes Wachstum, erstmals behandelte und pflegte das Stadtspital über 25'000 Patienten stationär, 4 Prozent mehr als im Vorjahr. Auch damit liegt das Triemli im allgemeinen Trend: Die meisten Zürcher Spitäler weisen steigende Patientenzahlen auf.
Überkapazität zeigt sich später
Fazit: Das Triemli hat kein besonderes Problem mit der Bettenauslastung. Sein Problem liegt vielmehr woanders: Das ganze Haus ist zu gross gebaut worden. Und das ist nicht der Fehler von Claudia Nielsen; die Planung hat ihr Vorgänger und Parteikollege Robert Neukomm, Gesundheitsvorsteher von 1998 bis 2010, zu verantworten. Wie die letzten Jahre zeigen, können die Spitäler die steigenden Patientenzahlen mit den bestehenden Bettenkapazitäten problemlos bewältigen. Weil die Patienten eben immer weniger lang bleiben und immer mehr Eingriffe nur noch ambulant erfolgen. Diese Entwicklung wird sich aller Voraussicht nach fortsetzen.
Im Moment nutzt das Triemli Teile des neuen Bettenhauses noch für Ambulatorien, auch einzelne Kliniken wie die Urologie und die Augenheilkunde sind vorübergehend dort untergebracht. Ihren definitiven Platz werden sie im Turm haben, wenn dieser fertig saniert ist. Spätestens dann wird sich das wahre Ausmass der Überkapazität zeigen.
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