Plötzlich ist da ein neuer Balkon über der Limmat
Brot für den Bauch, die Verpackung für den Geist: Einen Sommer lang werden im Helmhaus Brötchen gebacken und Flugblätter gedruckt.

Es sind für einmal die Zürcherinnen und Zürcher, die ihr Handy zücken, um zu fotografieren, und nicht Touristen aus Asien. Diese betrachten die Einheimischen vielmehr irritiert. Weshalb fotografieren die denn von der Münsterbrücke her eine Mauer? Wo doch die Sehenswürdigkeiten überall, ausser dort, sind?
Die Zürcherinnen und Zürcher fotografieren einen kleinen Balkon über der Limmat, der bisher nicht da war. Ein Balkon am Helmhaus. Und bald wird die Einheimischen noch etwas erstaunen: der Duft von frischem Brot.
Trendige Bäcker
Heute um 17 Uhr wird im Foyer des Helmhauses das Informationszentrum für das Jubiläum «ZH-Reformation» eröffnet. Es ist mehr als ein Infodesk, denn das Szenografie-Duo Ortreport, bestehend aus Katrin Murbach und Fabian Jaggi, hat einen Erlebnisraum für Kopf, Bauch und Auge gestaltet: In einem Holzofenbackofen werden Brötchen gebacken und für einen Franken verkauft.

Die Bäckerinnen und Bäcker wechseln monatlich und sind in der Gastroszene zu Hause: Jens Jung, Margaretha Jüngling & Sam Envall Utbult, Sara Witmer, Seri Wada.
Druckfrische Flugblätter
Das Brot für den Bauch, die Verpackung für den Geist: Denn die Brötchen werden in frisch gedruckte Flugblätter eingewickelt, die gleich nebenan auf einer nachgebauten Gutenberg-Druckpresse hergestellt werden. Die Inhalte entstehen im Teamwork zwischen Zürcher Grafikerinnen und Grafikern, Schriftstellerinnen und Geisteswissenschaftlern.
Der perfekte Platz, um die geistige und physische Nahrung zu verdauen, ist zweifellos der temporäre Balkon, der über der Limmat schwebt.
Gutenberg-Presse und Brotlaube
Doch was hat das alles mit Zwingli zu tun? Bei der Druckerpresse ist der Fall klar. Erst dank der Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Metalllettern durch Johannes Gutenberg (gestorben 1468 in Mainz) und der Druckerpresse konnte die Reformation überhaupt so viele Menschen erreichen. Die Bibel war nicht mehr ein kostbares Buch im Besitz weniger, sondern ein Bestseller. Und Flugblätter brachten neue Gedanken schnell unters Volk.

Doch das Brot? Natürlich wäre da mal der Anknüpfungspunkt mit dem letzten Abendmahl. Doch das Duo Ortreport inspirierte etwas anderes dazu, im Helmhaus eine Bäckerei einzurichten. Bei ihren Recherchen sind Karin Murbach und Fabian Jaggi nicht nur darauf gestossen, dass in der frühen Neuzeit hier eine Brotlaube war, wo die Bäcker ihre Ware feilboten.
Das Vorbild der Bäckerei Zürrer
Von 1927 bis 1939 war im Foyer des Helmhauses zudem die Zuckerbäckerei eines Bäckermeisters beheimatet, der viel lieber auf der Bühne als in der Backstube gestanden wäre. Der spätere Volksschauspieler Emil Hegetschweiler verkaufte hier die schönsten Canapés der Stadt und diskutierte am Stammtisch über die Gründung eines neuen politischen Cabarets. Es wurde 1934 als Cabaret Cornichon Realität.
Emil Hegetschweiler hat übrigens seinen Beruf nicht ganz an den Nagel gehängt, als er Schauspieler wurde. Kurt Früh hat ihm den Bäckermeister Zürrer auf den Leib geschnitten. Und auch zu Zwingli gibt es noch einen weiteren Bezug als der rein geografische. In der Verfilmung des Gotthelf-Romans «Die Käserei in der Vehfreud» spielt er einen Pfarrer, der wohl selbst Zwingli zu zwinglianisch gewesen wäre.

«Immer diese Zwinglis»!
Neben Brot und Flugblättern gibt es aber selbstverständlich auch Informationen. Im Zentrum des von Barbara Weber und Martin Heller kuratierten Langzeit-Festivals steht die Aktualität der Reformation. Der Zugang ist sinnenfreudig und undogmatisch, besteht aus Ausstellungen, Performances, Theater, ja sogar ein Animationsfilm ist darunter mit dem Titel: «Immer diese Zwinglis».
Als gemeinsamen Nenner dieser Veranstaltungen könnte man die Aufforderung zum eigenen Denken bezeichnen, was ein zutiefst zwinglianisches Anliegen ist.
«Gerade weil man sich in dem breiten Angebot nicht so leicht zurechtfindet, ist dieses Informationszentrum im Helmhaus so wichtig», sagt Noemi Fraefel, die für die Kommunikation des Festivals zuständig ist. «Im Gespräch mit den Gästen finden wir möglicherweise auch heraus, was diesen auch noch gefallen könnte.»
Das Jubiläumszentrum ist bis am 9. September in Betrieb, jeweils Mi bis So von 10 bis 18 Uhr. Bäckerei: Fr bis So ab ca. 15 Uhr, Druckerei: Mi/Fr 10 bis 12 Uhr, Sa: 14 bis 18 Uhr.
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