Wie ETH-Professor Leibundgut die Energiewende schaffen will
Mit tiefen Wärmesonden und Turbowärmepumpen sollen die alten Häuser der Schweiz saniert werden.
Von Martin Läubli Das Haus an der Bolleystrasse, mitten im Zürcher Hochschulviertel, hat Hansjürg Leibundgut manche schlaflose Nacht bereitet. Viel Geld und noch mehr Zeit hat er in das Mehrfamilienhaus B35 gesteckt. Nun ist das Haus mit der intelligentesten Haustechnik der Schweiz gebaut. Noch bereitet ihm die ausgeklügelte Energiesteuerung einigen Kummer, doch eine Gewissheit hat er: «Das thermodynamische System funktioniert einwandfrei – und ohne CO2-Emissionen», betont der ETH-Professor für Gebäudetechnik. Auf einen einfachen Nenner gebracht: Er erntet nun, was er im Sommer gesät hat: Sonnenkollektoren auf dem Dach und ein Lüftungssystem in den Wohnräumen haben die überschüssige Sommerwärme über Sonden in den bis zu 380 Meter tiefen Erdspeicher unter dem Gebäude geführt (siehe Grafik). Trotzdem spricht Leibundgut noch immer von einem Experiment. Die Haustechnik sei zu kompliziert, um Standard in der modernen, nachhaltigen Architektur zu werden. Aber er ist überzeugt: «B35 kann eine Erfolgsgeschichte werden.» Und sei bedeutend für die Energiewende. Mit dem Optimismus eines Visionärs rechnet er das theoretische Potenzial für die Schweiz vor: Rund 700 000 Öl- und Gasheizkessel leisten heute 40 Gigawatt und produzieren 80 Terawattstunden Wärmeenergie. Müsste man diese Spitzenleistung durch Elektroheizungen erbringen, würden dazu 40 AKW der Klasse Gösgen benötigt. Das Herz ist die Wärmepumpe «Seit je dreht sich die Diskussion nur um Energie, selten um Leistung», sagt Leibundgut. Der Energiebedarf liesse sich durch Dämmung bis zum Jahr 2050 halbieren. Doch selbst dann wären laut Leibundgut am kältesten Tag in der Schweiz immer noch 20 Gigawatt Wärmeleistung nötig, um die Temperatur in den Wohnstuben bei 21 Grad zu halten und Wasser auf 50 Grad zu erwärmen. Für ihn gibt es deshalb nur eines: «Soll die Wärmeproduktion ohne CO2-Ausstoss funktionieren, muss die Leistung überwiegend durch Wärmepumpen bereitgestellt werden, die durch Strom aus einer emissionsfreien Quelle betrieben werden.» Sinnvoll ist das allerdings nur, wenn nicht mehr Wärme aus dem Boden entzogen wird, als reingesteckt wurde. Leibundgut erzählt von einem Haus in Zumikon, Baujahr 1955. Die Erdsonden kühlten den Untergrund nach zehn Jahren derart ab, dass sie im Winter in vereistem Boden steckten. Das ist bei B35 anders: «Die geerntete Wärme im Sommer kompensiert im Boden den Wärmeverlust im Winter», sagt Leibundgut. Was der Ingenieur mit seinem Haus B35 und auch mit der Sanierung des ETH-Bürogebäudes HPZ auf dem Hönggerberg belegen wollte: Das «Ernte-Konzept» verlangt keine umfassende Fassadenerneuerung mit Dämmstoffen. Zentral sei letztlich nicht der Energiebedarf, sondern die Reduktion der Emissionen des klimaschädlichen Treibhausgases CO2 auf null. Sein Konzept sieht er vor allem als Modell bei Sanierungen und Modernisierungen der alten Gebäude in der Schweiz. 1,5 Millionen Häuser müssen hierzulande in den kommenden 40 Jahren renoviert werden, um die CO2-Emissionen drastisch auf 1 Tonne pro Kopf und Jahr zu verringern. Heute verbraucht der Schweizer im Durchschnitt 6 Tonnen; gar 11 Tonnen sind es, wenn die «grauen Emissionen» mitgerechnet werden, die bei der Produktion der Importgüter entstehen. Minergie ist kein Allheilmittel Der von den meisten Kantonen geförderte Baustandard Minergie P sei ein gutes Label für Neubauten, die Dämmvorschriften würden jedoch den Aktionsradius bei Modernisierungen stark einschränken, sagt der ETH-Professor. Die Bolleystrasse in Zürich ist für Leibundgut das beste Beispiel. Das Wohnquartier wurde mehrheitlich in den Jahren 1900 bis 1925 erbaut. Die Häuser müssen künftig aufwendig energetisch saniert werden. Minergie ist jedoch für ihn nicht der Weg, um diese Häuserzeile zu modernisieren. Diese Fassaden so zu dämmen, dass das Haus nach der Sanierung einen Heizbedarf aufweist, der mit dem angestrebten Ziel einer 1-Tonnen-CO2-Gesellschaft vereinbar ist, sei ästhetisch und kostenmässig nicht vertretbar, sagt der Ingenieur. Der Kanton Zürich zahlt kein Fördergeld an sein System, weil Gebäudeerneuerungen à la Leibundgut keine Dämmvorschriften einhalten. Minergieverfechter kritisieren, allein die Bohrungen für die tiefen Erdsonden würden viel Energie verschlingen. Diese sogenannte graue Energie sei beim Bau und bei Sanierungen nicht entscheidend, kontert Leibundgut. «Ist die Energie CO2-frei, spielt das keine Rolle», sagt der ETH-Professor. Und ergänzt: «Ich muss nicht beweisen, dass mein System funktioniert.» Er müsse nur die Industrie von seinen Ideen überzeugen. Das heisst: Das Konzept muss auf dem Markt konkurrenzfähig sein. Das ist letztlich abhängig von drei Schlüsselkomponenten: Zu ihnen gehören Wärmesonden, die bis in 400 Meter Tiefe reichen. Herkömmliche Sonden funktionieren bis 250 Meter Tiefe. Für eine Wärmegewinnung in tieferem Untergrund braucht es robusteres Material, weil der Wasserdruck in den Sonden bedeutend höher ist. Die internationale Firma Rehau gehört auf diesem Gebiet zu den Vorreitern. Sie hat eine Aussenhülle der Sonde aus Stahlgewebe entwickelt. Solche Sonden machen die Energieversorgung effizienter, da in dieser Tiefe deutlich höhere Temperaturen vorherrschen. Allerdings betreten die Entwickler Neuland, denn noch gibt es wenig Erfahrungswerte, wie effektiv die Sonden funktionieren. Das gilt auch für die Fotovoltaik-Hybridkollektoren, die nicht nur Strom produzieren, sondern die verpuffte Wärme bei der Energieumwandlung in den Erdspeicher abgeben (siehe Grafik). Obwohl Ingenieure seit einigen Jahren an der Entwicklung dieser Technik feilen, kommen erst jetzt taugliche Systeme auf den Markt. Vorne dabei ist die Schweizer Firma 3S Photovoltaics, die erste Kollektoren Mitte dieses Jahres auf den Markt bringt. Verdopplung der Leistung Grosse Hoffnung für sein Konzept setzt Hansjürg Leibundgut in eine ungewöhnlich effiziente Turbowärmepumpe, das Herz der Energieversorgung. Erste Tests auf dem Prüfstand der Hochschule Luzern sind verheissungsvoll. Allerdings stehen die Entwickler erst am Anfang. In Leibundguts Haus B35 hätte diese elektromotorisch betriebene Wärmepumpe eine Leistungszahl von über 10. Das heisst: Mit einer Kilowattstunde Strom können 10 Kilowattstunden Nutzwärme hergestellt werden. Aktuelle Wärmepumpen weisen eine Leistungszahl von 4 bis 5 aus. «Die Turbowärmepumpe wäre ein Entwicklungssprung», sagt Beat Wellig, Leiter des Kompetenzzentrums Thermische Energiesysteme und Verfahrenstechnik der Hochschule Luzern. Wann sie auf den Markt kommt, kann Wellig heute noch nicht sagen. Auch wenn sich sein System noch in der Debütphase befindet, ist ETH-Professor Leibundgut optimistisch und rechnet vor, dass sich die Kosten einer Sanierung der alten Häuser in der ganzen Schweiz nach seinem System auf etwa 160 Milliarden Franken belaufen würden. «Verteilt auf 50 Jahre sind das weniger als 0,6 Prozent des Bruttoinlandproduktes», sagt der umtriebige Energievisionär. Der Kanton Zürich zahlt keine Fördergelder an Gebäudesanierungen à la System Leibundgut. Professor Hansjürg Leibundgut vor dem ETH-Bürogebäude HPZ (links) auf dem Zürcher Hönggerberg, das nach dem von ihm erarbeiteten Energiekonzept saniert wurde. Foto: Sophie Stieger
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