Zürichs iCop
Patrick Jean ist der erste Facebook-Polizist der Schweiz. Was erlebt man in diesem Job? Bilanz nach drei Jahren.

Ein Polizist bleibt ein Polizist. Wenn Patrick Jean als iCop arbeitet und den ganzen Tag auf der Quartierwache Hottingen vor seinem Computer sitzt, sieht er aus wie an anderen Arbeitstagen: Er trägt seine blaue Polizeimontur.
Seit drei Jahren gibt es den iCop, den Internet-Community-Polizisten, in der Stadt Zürich. Jean ist der Erste in der Schweiz. Bislang kennt nur die Stadtpolizei Zürich diese besondere Funktion: Ein Vorbild war Finnland, wo zahlreiche Polizisten seit Jahren online arbeiten. Jean ist, wie seine Kollegin Eleni Moschos, zur Hälfte seines Pensums als iCop tätig. In der anderen Hälfte ist er als normaler Revierpolizist im Quartier unterwegs.
«Der Polizist muss raus zu den Leuten», sagt Jean im Sitzungszimmer der Wache. Dies tut er auch, wenn er den Tag im Büro verbringt, das Fenster im Rücken: Er trifft die Bürgerinnen und Bürger online, in den sozialen Medien.
Der öffentliche Raum, wo Polizisten Präsenz markieren und für Sicherheit sorgen sollen, beginnt längst nicht mehr erst draussen vor der Haustür. Er beginnt bei den Fingerspitzen der Menschen, sobald sie ihre Handys einschalten, die ersten Meldungen auf Facebook posten und ihre Fotos auf Instagram hochladen. Also beginnen auch die Probleme und Konflikte hier. Die Hauptaufgabe des iCops sei es, zu schlichten, sagt Jean. Es hilft, dass er als Polizist virtuell sichtbar ist.
Auf Facebook hat sich Jean ein Profil erstellt, inzwischen ist er mit knapp fünftausend Personen befreundet. Viele Fragen kommen als private Nachricht: «Ich bin geblitzt worden, wie hoch wird die Busse sein?» Oder: «Wie kann ich gegen einen Facebook-Post vorgehen?» Für die meisten ist der iCop ein Auskunftsbüro.
Dann gibt es noch die anderen. Sie schreiben Jean immer wieder, oftmals über mehrere Wochen hinweg. Meistens wollen sie nur wissen, wie es ihm geht, und antworten auf die Gegenfrage knapp mit «Gut, danke». Und plötzlich, beim nächsten Mal Chatten, gestehen sie ihm, dass es ihnen doch nicht so gut gehe. Für sie ist der 34-jährige iCop wie ein guter Freund.
Auch draussen bei den Leuten
Wie er darauf reagiere, folge keinem standardisierten Verfahren, sagt Jean. «Jeder, der mir schreibt, ist für mich ein unbeschriebenes Blatt.» Jean beschafft sich keine Informationen über die einzelnen Personen. Er macht sich ein eigenes Bild; dadurch, was sie ihm erzählen. Wichtig sei, dass die Person sich ernst genommen fühle. Jean will dem Umstand, dass sie Zeit brauchten, um sich ihm anzuvertrauen, gerecht werden.
Das ist wohl der grösste Unterschied zu seiner Arbeit auf der Strasse: die Zeit. Passanten, die ihn oder seine Kollegen unterwegs sehen, müssten bei Fragen schnell reagieren, sonst ist der Moment der Begegnung bereits vorüber. Online hingegen können sie sich jederzeit melden. Es gibt keine Öffnungszeiten wie beim Polizeiposten. Allerdings dauert es über diesen Weg auch länger, bis die Leute eine Antwort erhalten – teilweise bis zu fünf Arbeitstage. «Wir antworten während der Bürozeiten», sagt Jean. Was in dieser Frist nicht erledigt werden könne, werde erst bearbeitet, wenn er oder seine Kollegin wieder iCop-Dienst hätten.
Heikle Fälle
Wichtiger, als möglichst schnell zu antworten, ist es für die beiden, verlässliche und hilfreiche Informationen zu liefern. Manches wissen sie selbst nicht. Die weiteren Abklärungen dauern. Einmal bekam Jean ein Bild zugeschickt, das auf Facebook gepostet wurde und einen mit einer Waffe zeigte. Bevor Jean darüber entscheiden konnte, ob das illegal ist, musste er mehrere Fragen überprüfen: Wer ist die Person mit der Waffe? Ist es die gleiche, die das Bild geteilt hat? Ist die Waffe überhaupt echt? Wem gehört sie? Und befindet sich die Person auf dem Foto zu Hause oder im öffentlichen Raum? Jean schickte das Bild zur Einschätzung an eine interne Fachgruppe weiter. Diese erkannte, dass die Waffe echt ist. Dann stellte sich Jean jene Frage, die bei solchen Ermittlungen regelmässig auftaucht: Wer kümmert sich um diesen Fall? Wie sonst auch kontaktierte er das örtliche zuständige Korps, das dann den Fall übernahm.
Es kommt vor, dass Jean den Polizisten dort erklären muss, was ein iCop überhaupt ist und wie er zu jenen Informationen gelangte, die er ihnen nun weiterleitet. «Unsere Funktion ist ja noch relativ neu», sagt Jean.
Wenn es darum geht, Anzeige zu erstatten, weisen die iCops die Personen auf die rechtlichen Möglichkeiten hin und auch darauf, dass niemand einen anderen «wider besseres Wissen ungerechtfertigt einer Straftat» beschuldigen darf. Ähnlich verhält es sich mit der Anonymität: Auch sie hat Grenzen. Die Polizei könne diese nur bis zu einem bestimmten Punkt gewährleisten, sagt Jean. Kommt es tatsächlich zu einer Gerichtsverhandlung, erfährt der Beschuldigte im Normalfall, wer hinter der Anzeige steht.
Nur reagieren, nicht ermitteln
Jean selbst durchforstet die sozialen Medien nicht nach Rechtswidrigem. Er reagiert nur auf Hinweise. Oder Bitten: Als sich eine Frau nicht traute, ihre Sachen in der Wohnung ihres Ex-Freundes zu holen, weil dieser sie immer wieder bedrohte und schlug, rief Jean den zuständigen Polizeiposten an und organisierte für die Frau eine Bezugsperson, die sie in die Wohnung begleitete.
Ein anderes Mal half er einem Kollegen vom Detektivposten: Dieser versuchte, einen Mann zu erreichen. Er wollte ihn zu einer bestimmten Angelegenheit befragen, in welcher er der Beschuldigte war. Der Gesuchte nahm das Telefon aber nie ab und öffnete auch die Haustür nicht. Also schrieb Jean ihm auf Facebook eine Nachricht – wenn man sein Profil anschaut, sieht man sofort, dass Jean Polizist ist. Er konnte das Vertrauen des Gesuchten gewinnen, der sich schliesslich beim Detektiv meldete.
Manchmal muss Jean in einem Streit vermitteln, der sich in einer geschlossenen Facebook-Gruppe entzündet hat. Dann verfasst er allgemeine Verhaltensregeln, die der Administrator den Leuten seiner Gruppe weiterleiten kann. Immer wieder postet er Selfies, wenn er unterwegs ist. Bemüht darum, eine kleine Geschichte rund um seine Einsätze zu erzählen und so zu unterhalten. Oder er formuliert Tipps und erstellt Erklärvideos: In den vergangenen Tagen ging es oft um die Fake-Profile, mit welchen Kriminelle auf Facebook versuchen, bei den neu gewonnenen Freunden Geld zu erschleichen.
Bedürfnis ist gross
Sicherheit sei ein grosses Bedürfnis der Leute, sagt Jean. Er sieht seine Arbeit als iCop als niederschwellige Dienstleistung, die bei kleinen Ungerechtigkeiten und Unsicherheiten im Zusammenleben hilft. Wie viele Personen auf die iCops zurückgreifen, hängt davon ab, wie aktiv diese sind: In den Tagen nach einem neuen Facebook-Post kommt es durchschnittlich zu 15 bis 20 neuen Dialogen. Dies zeige, wie gross das Bedürfnis sei, mit der Polizei auch auf diesem Weg in Kontakt zu treten, sagt Jean. Und klar sei diese Arbeit auch PR für die Polizei, wobei ihm der Begriff «Imagepflege» lieber ist. Die mache er aber auch, wenn er mit korrekter Uniform in der Stadt unterwegs sei. Draussen bei den Leuten.
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