Zürichs Prunkstadt auf Zeit
Im Mai 1883 öffnete auf dem Platzspitz die erste Schweizer Landesausstellung ihre Tore. Die Bauten glichen Schlössern, die Vitrinen Tempeln, und nach sechs Monaten war alles wieder weg.
Downtown Switzerland, das war Zürich bereits vom Mai bis zum Oktober 1883. Damals sind 1,7 Millionen Menschen in die Stadt geströmt, was 61 Prozent der Schweizer Wohnbevölkerung entsprach. Sie alle waren gekommen, um die Landesausstellung zu besuchen – die erste, welche diesen Titel für sich beanspruchen konnte.
Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Ära der grossen Weltausstellungen. Mit viel Pomp wurde damals gezeigt, was man hatte. Die Schweiz wollte diesbezüglich der Welt in nichts nachstehen. Die ersten Impulse für die Durchführung einer Landesausstellung in Zürich kamen vom Gewerbeverein und der Kaufmännischen Gesellschaft Zürich.
Ab 1880 begann eine kantonale Kommission, für das Vorhaben auf allen Ebenen zu werben. Ein Jahr später übernahm die Schweizerische Ausstellungskommission unter dem Vorsitz von Bundesrat Numa Droz die Planung für diese Expo, an der die Schweiz ihre Errungenschaften und ihre wirtschaftliche Leistungskraft zur Schau stellte.
6000 Aussteller, 20 Bauten
Und diese Schau war spektakulär. Fast 6000 Aussteller klotzten, was das Zeug hielt, und errichteten ganze Tempel für ihre Waren. Auf dem Platzspitz und beim Sihlquai, wo sich heute der Carparkplatz befindet, ist eine Stadt auf Zeit entstanden. Ein weiterer Ausstellungsbereich befand sich bei der Tonhalle am Seebecken. Über 20 Bauten errichteten die Aussteller und legten zwischen den Häusern ornamentale Beete und Gärten an, die mit kleinen Pavillons gespickt waren.
Der Haupteingang zur Landesausstellung in Zürich: Dort, wo sich dieses Portal befand, gelangt man noch heute auf die Parkanlage des Platzspitzes. Bild: ETH-Bibliothek Zürich / Doris Fanconi
Die Dimensionen der Hallen waren gewaltig. Allein das Hauptgebäude, die Maschinenhalle, hatte eine Fläche von 12'670 Quadratmetern und wurde mit Anbauten ergänzt, die weitere 8000 Quadratmeter umfassten. Die hölzerne Maschinenhalle bestand aus einem Hauptschiff mit Galerie und einem Seitenschiff. Das zweitgrösste Gebäude der Landesausstellung war die Industriehalle mit ihren 10'000 Quadratmeter Fläche und einem stattlichen Portal samt Türmchen.
Grotten, Gärten, Glühbirnen
Wer von dort ins Freie trat, hatte einen herrlichen Blick auf die angrenzende Gartenbauausstellung. «Vollends bezaubernd und von poetischem Reiz durchweht ist der Anblick abends, wenn das electrische Licht seine silbernen Strahlen ausgiesst und tausende von Lämpchen die Blumenbeete umrahmen», hiess es damals in der «Schweizerischen Bauzeitung».
«Vollends bezaubernd und von poetischem Reiz durchweht ist der Anblick abends.»
Gleich hinter den Gärten befand sich das mit Holzrinden verkleidete und mit Baumästen verzierte Alpenclubhaus für Forst, Jagd und Fischerei. Anders als in den übrigen Hallen haben die Aussteller hier die Exponate selbst als Dekoration verwendet. Wie dreidimensionale Stillleben zierten ausgestopfte Tiere die Wände.
Quasi als Appendix der Fischereiausstellung war das Aquarium zu verstehen. Es gab den Besuchern die Gelegenheit, «die Bewohner unserer Gewässer in lebendem Zustande» zu betrachten, hiess es damals. Das Aquarium war aus Beton gefertigt, der Zuschauerraum jedoch mit Tropfsteinen geschmückt, wodurch er wie eine künstliche Grotte wirkte – zu jener Zeit der letzte Schrei der Gartenmode.

Ein wahres Prunkstück war das Keramikgebäude. Wie die Ausstellungswaren im Innern war auch das Haus selbst ganz aus Produkten der keramischen Industrie gefertigt. Einer Zuckerbäckerkreation gleich thronte das kleine Schlösschen an der Spitze der Insel zwischen Limmat und Sihl. Entworfen hat es das Architekturbüro Chiodera und Tschudy, von dem auch die Villa Patumbah und das Schauspielhaus stammt.
Nicht fehlen durfte an der Zürcher Ausstellung natürlich ein Haus der Konditorei Sprüngli. Die kleine Villa stand auf einem Hügel zwischen Bäumen und stach offenbar besonders nachts ins Auge, weil es «durch Edison-Incandescenz-Lampen brillant erleuchtet» wurde, schrieb die «Bauzeitung».
«Ein Höllenspektakel»
Neben dem optischen Spektakel lockten mehrere Bierhallen und ein umfangreiches Rahmenprogramm die Besucher an. Täglich gab es Aufführungen und Konzerte – unter anderem vom Orchester der Scala in Mailand, vom Tonhalle-Orchester und von einer gewaltigen Uhrmachermusik aus La Chaux-de-Fonds. Hinzu kamen Regatten mit Ruderclubs aus Paris, Lyon, München und Frankfurt. «Kurz ein Höllenspektakel», schrieb der Dichter Gottfried Keller im Juli 1883. «Das Beste ist noch eine Kunstausstellung neuer und alter Sachen in einem allerliebst gelungenen Holzbau im griechischen Tempelstyle ganz mit Gipsstuck bekleidet.»
«Das Beste ist noch eine Kunstausstellung neuer und alter Sachen in einem allerliebst gelungenen Holzbau im griechischen Tempelstyle ganz mit Gipsstuck bekleidet.»
Um den ganzen Prunk auf Zeit zu finanzieren, setzte man hauptsächlich auf den Ticketverkauf. Einen Franken kostete der Besuch der Landesausstellung – zum Vergleich: Für ein Kilogramm Brot musste man damals 43 Rappen ausgeben. Rund 1,1 Millionen Franken flossen so in die Kasse. Hinzu kamen Subventionen des Bundes, private Beiträge, Lotteriegelder und Einkünfte durch den Verkauf von Anteilscheinen.
3,6 Millionen Franken kostete die erste Landesausstellung von 1883. Die Organisatoren schlossen mit einem Gewinn von 23'000 Franken ab. Von dem gewaltigen Brimborium war schon kurz nach Ende der Ausstellung nichts mehr zu sehen. Einzig der Musikpavillon sowie Pappel- und Lindenalleen blieben zurück. Wo sich die Industriehalle befand, steht heute das Landesmuseum – und in dessen Sammlung befinden sich noch immer einige Objekte der Landesausstellung von damals. Spurlos verschwunden ist die Prunkstadt also nicht.
Die Brücke zur Landesausstellung befand sich 1883 auf Höhe der Limmatstrasse, heute befindet sich der Mattensteg jedoch am Spitz des Platzes. Bild: ETH-Bibliothek Zürich / Dominique Meienberg
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch