Zürichs rätselhafte Phantom-Ruinen
Im neuen Bericht der Kantonsarchäologie bleiben einige Fundstellen ungeklärt – wie die «Römischen Ruinen» bei Winterthur.

Es geht um Pfeilspitzen, Keramik oder Fragmente eines Hirschgeweihs: Der soeben veröffentlichte Jahresbericht 2017 der Kantonsarchäologie listet Funde bei aktuellen Grabungen in Zürcher Gemeinden auf. Im 41-seitigen Bericht finden sich Fundstellen aus der Frühgeschichte, der Römerzeit sowie dem Mittelalter und der Neuzeit. Daneben werden auch Fehlschläge – sogenannte «Negativbefunde» – erwähnt.
Der Bericht macht klar: Spuren der Römer gibt es im Kanton Zürich an mehr Orten, als man gemeinhin denkt. Neben bekannten Römerstätten wie der Thermengasse in Zürich, dem Kastell in Pfäffikon oder dem Gutshof Seeb bei Winkel gibt es Dutzende kaum beachteter Nebenschauplätze, an denen ebenfalls Siedlungsreste der Römer gefunden worden sind. So etwa in Dägerlen, wo eine Privatperson im letzten November auf einem Acker auf Reste eines römischen Gutshofs stiess und das der Kantonsarchäologie meldete.
Dem Pflug zum Opfer gefallen
«Neben Leistenziegeln wurden auch Rundziegel und weitere römische Baumaterialien wie Tuffsteine, Tubuli und Marmorstücke geborgen», heisst es im Jahresbericht. Mitarbeiter der Kantonsarchäologie fanden darauf mit dem Metalldetektor zusätzlich noch vier römische Münzen, einen Schwertknauf und Scherben aus Terra Sigillata. Den römischen Gutshof hat die Kantonsarchäologie 1973 erstmals dokumentiert: «Damals wurden beim Pflügen auf den Feldern noch Mauern beobachtet.»
Auch andere kleinere Fundstätten fielen im Verlauf der Jahre dem Pflug zum Opfer, wurden von der Natur zugedeckt oder gerieten in Vergessenheit. Dazu gehört ein Ort in einem Waldstück zwischen Winterthur und Neftenbach mit dem klangvollen Namen Hülibü. Jahrzehntelang waren auf der Landkarte an diesem Ort «Römische Ruinen» vermerkt. Auf aktuellen Karten sind sie verschwunden. Was ist passiert?
Die Suche vor Ort verläuft ergebnislos. Von römischen Gebäuderesten ist auf dem Hülibü weit und breit nichts zu entdecken. Am angegebenen Ort finden sich nur Bäume, Büsche und Gestrüpp. Eine Nachfrage bei der Kantonsarchäologie ergibt: Die Römischen Ruinen sind ein Phantom, sie existierten offenbar gar nie. Renata Windler von der Kantonsarchäologie verweist auf eine Aktennotiz von 1965: «Die im Topographischen Atlas verzeichneten ‹Römischen Ruinen› sind irrtümlich dort eingetragen», heisst es dort, ohne weitere Begründung. «Aus heutiger Sicht ist uns vom Hülibü bisher nichts bekannt, was auf eine Nutzung in römischer Zeit hinweisen würde», sagt Windler.

Allerdings gibt es auf dem Hülibü sehr wohl Spuren aus fernen Zeiten. Dabei soll es sich um Reste einer frühzeitlichen Befestigungsanlage handeln. Im Jahrbuch der Schweizerischen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte ist von «Resten eines Halsgrabens» die Rede, in anderen älteren Berichten von einem Wall. In der Neftenbacher Dorfchronik von 1925 heisst es: «Dort haben nämlich Forscher, die sich speziell der Urgeschichte widmen, in einem um den oben etwas abgeplatteten Berg hinlaufenden Graben Spuren erkannt, die von einem Refugium herrühren dürften.» Unter einem Refugium verstehe man «einen in frühgeschichtlicher Zeit durch Grabarbeiten in Verteidigungszustand gesetzten Platz, der im Krieg als Zufluchtsort benutzt werden konnte».
Eine mögliche Erklärung für den falschen Karteneintrag dürfte die geografische Nähe des Hügels zum ehemaligen römischen Gutshof Neftenbach sein. Östlich des heutigen Dorfes wurde Ende des 18. Jahrhunderts eine römische Niederlassung entdeckt und auch näher untersucht, letztmals in einer Grossgrabung von 1986 bis 1994. Dieser Umstand verleitete frühere Forscher wohl zur Annahme, der nahe Hügel sei von Bewohnern des römischen Gutshofs genutzt worden, sagt Renata Windler.
Tatsächlich heisst es im Buch «Helvetische Denkmäler» von 1869: «In einer geringen Entfernung von diesem Lager etwas südostwärts liegt der Hüllibühel, eine vermutlich vom Lager aus besetzte und von aussen her unzugängliche Anhöhe, auf welcher man noch Spuren der ehemaligen Befestigung sieht.» Daneben dürften auch forschungsgeschichtliche Gründe eine Rolle gespielt haben: «Die Kenntnisse waren damals noch sehr bescheiden und der Blickwinkel eingeschränkt, Altertümer verband man vor allem mit der römischen Epoche», sagt Archäologin Windler.
«Natürlich wüssten wir gerne mehr, es ist eine rätselhafte Anlage.»
Über das Alter des Refugiums auf dem Hülibü rätseln Forscher bis heute. «Es ist völlig unbekannt, aus welcher Zeit die Anlage stammt», sagt Renata Windler. Auch ihre Bedeutung könne man im Moment nicht einschätzen. «Wir wissen ja kaum etwas darüber. Archäologische Grabungen hat es in jüngerer Zeit keine mehr gegeben.
In der alten Neftenbacher Dorfchronik wird spekuliert, dass «die unnatürlichen Einschnitte oben auf der Höhe» sogar aus vorrömischer Zeit stammen und damit bedeutend älter sein könnten. Da aber bei früheren Grabungen keine Gegenstände aus Stein, Bronze oder Eisen gefunden wurden, gebe es leider keine verlässlichen Angaben.
Heute ist vom Refugium im Wald kaum mehr etwas zu sehen. Nur ansatzweise lässt sich im Dickicht eine schanzenartige Stufe ausmachen. Doch trotz vieler offener Fragen: Ob in den nächsten Jahren eine Prospektion durchgeführt wird, ist derzeit offen.
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