Zürichs Waldmenschen
Sie haben sich von der Zivilisation abgewandt und ihr Leben ins Gehölz verlegt: Solche Menschen gibt es auch in Zürich. In den städtischen Wäldern leben drei bis vier Waldmenschen.

Ein paar Buben, die sich im Wald-Dickicht hinter dem Bucheggplatz einen geheimen Lagerplatz eingerichtet haben, machten unlängst eine überraschende Entdeckung: Sie stellten fest, dass sie einen Nachbarn haben. Hundert Meter von ihrem Versteck entfernt, tief im Wald, abseits von Wegen und Strässchen und umgeben von dichtem Gestrüpp und Brombeergewucher, hat sich eine Person häuslich eingerichtet. Zwar bekommen die Buben die Person selber nicht zu Gesicht, aber dass hier jemand lebt, ist offensichtlich: ein Schlafsack, eine Plane zum Schutz vor dem Regen, ein Lager mit Lebensmitteln und sonst ein paar Gegenstände stehen sauber drapiert parat.
Leben in den städtischen Wäldern Waldmenschen? Hat also der «Leave No Trace»-Film, der gerade in den Kinos läuft und das Leben eines Vaters mit seiner Tochter schildert, die sich in Portland, Oregon, in einem Wald niedergelassen haben, in Zürich seine reale Entsprechung?
Wir fragen bei Christian Fischer nach, dem Leiter von Sicherheit, Intervention, Prävention, kurz SIP Züri, einer Abteilung des städtischen Sozialdepartements. Fischers Antwort: Seine Mitarbeiter hätten regelmässig Kontakt mit drei bis vier Personen, die in den städtischen Wäldern hausen würden. Hinzu kämen weitere, die punktuell einmal in einem Wald biwakieren würden, dann aber wieder weg seien.
Nicht leicht zu finden
Der Mann im Käferbergwald beim Bucheggplatz gehört zur Handvoll Personen, die SIP-bekannt im Zürcher Gehölz leben. Er sei nicht leicht zu finden, sagt Fischer, in der Nacht noch eher als am Tag, weil er dann ein Feuer zu entfachen pflege.
Seine Mitarbeiter würden die Waldbewohner besuchen und sich bei Kontaktleuten nach ihrem Befinden erkundigen, sagt der SIP-Chef. Die meisten hätten irgend jemanden, bei dem sie gelegentlich vorbeigucken würden, seien es Verwandte oder der Kioskverkäufer in der Nähe ihres Waldstücks. Wie freundlich oder unfreundlich die Waldmenschen auf eine SIP-Visite reagieren, hänge von deren Intention ab. Es gebe Fälle, wo sich eine Person bei einer öffentlichen Waldhütte fest installiert habe. «Wenn wir dann sagen, dass das nicht gehe, schaffen wir uns natürlich keine Freunde», sagt Christian Fischer. In anderen Fällen, etwa wenn die SIP bei gesundheitlichen Problemen helfe, komme hingegen viel Dankbarkeit zurück.
Die SIP erfährt von den Waldbewohnern durch eine Meldung von Grün Stadt Zürich, von Passanten oder auch von der Polizei. Meist handle es sich um Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung. «Es sind Eremiten, welche die Zivilisation meiden», so Fischer, in der Regel seien es ältere Männer, manche würden schon seit Jahrzehnten im Wald leben. Einige seien regulär angemeldet und könnten eine IV-Rente und Ergänzungsleistungen beziehen, würden aber darauf verzichten.
Keine Flucht vor der Kälte
Was die Waldmenschen tun, ist streng genommen verboten. Christian Fischer reagiert auf die Rechtslage pragmatisch: «Wir sind keine Polizei und haben keine polizeilichen Aufgaben.» Die Polizei selber geht mit dem Phänomen ebenfalls pragmatisch um: Solange ein Waldmensch nicht stört und weder sich selbst noch sonst jemanden gefährdet, lasse man ihn in Ruhe, sagt der Sprecher der Stadtpolizei, Marco Cortesi. Die Polizei werde erst aktiv, wenn eine Anzeige eingehe.
Und was, wenn wie in diesen Tagen die kalte Jahreszeit definitiv ankommt und das Biwakieren ungemütlich wird? SIP-Leiter Fischer sagt: «Tiefe Temperaturen haben auf diese Menschen kaum einen Einfluss» – entweder, weil sie gut ausgerüstet seien. Oder dann, weil sie die Umwelt fatalistisch so akzeptieren würden, wie sie halt gerade sei.
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